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Nabelschnüre als Zukunftsinvestition  
  Während Bundeskanzler Schüssel (ÖVP) eine Bioethik-Kommission einsetzt, die Richtlinien für die umstrittene Nutzung von embryonalen Stammzellen erarbeiten soll, bieten Forscher eine ethisch unbedenkliche Alternative: Eltern können das Nabelschnurblut ihrer Babys als "Stammzellvorsorge" für ihre Kinder einlagern.  
Erste private Nabelschnur-Blutbank Österreichs
Die Firma Lifecord in Graz soll - sobald die letzten Genehmigungen erteilt sind - die erste private Nabelschnur-Blutbank Österreichs beherbergen.

Und obwohl die Firma ihren Betrieb noch nicht offiziell aufgenommen hat, gibt es bereits eine Flut von Anfragen werdender Eltern. Sie haben meist von ihrem Gynäkologen oder über das Internet von der Möglichkeit erfahren, Nabelschnurblut als Quelle wertvoller Stammzellen aufzubewahren.
Investition in die Zukunft: 18.500 Schilling
Sie sind bereit, sich diese "Stammzellvorsorge" 18.500 Schilling inklusive Lagerung für die ersten fünf Jahre kosten zu lassen.

"Die Lagerung von Stammzellen aus Nabelschnurblut ist eine Investition in die Zukunft, die durchaus eine wissenschaftliche Basis hat", ist der 44-jährige Firmengründer und Humangenetiker Karl-Heinz Preisegger überzeugt.
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Stammzellen
Stammzellen beherrschen derzeit wie kein anderes Feld der biomedizinischen Forschung die öffentliche Diskussion, werden sie doch als Allheilmittel der Zukunft gepriesen. Nahezu wöchentlich gibt es Meldungen, dass sie sich zumindest im Tierversuch tatsächlich nach Wunsch der Mediziner in Nerven-, Blut-, Leber- oder etwa Herzmuskelzellen verwandeln, wenn man sie nur mit den geeigneten Wachstumsfaktoren dazu animiert. Optimistische Forscher sprechen sogar von ganzen Organen, die dereinst daraus gezüchtet werden sollen.
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Herstellung verboten
Problematisch ist allerdings die Herstellung von Stammzellen. Ihre Gewinnung aus wenige Tage alten Embryos ist nicht nur moralisch umstritten, sondern in den meisten Ländern der Welt verboten. So auch in Österreich.
Alternative: Adulte Stammzellen
Doch längst suchen Wissenschaftler in ihren Labors nach weniger problematischen Alternativen. Sie setzen ihre Hoffnungen in die so genannten adulten Stammzellen, die im Körper jedes Menschen Zeit seines Lebens die Funktion eines Nachschub- und Reparaturdienstes übernehmen. Bis jetzt wurden sie in etwa 20 Organen fündig, inklusive Muskeln, Knochen, Haut, Plazenta, Nervensystem und sogar Fettgewebe.

Die Heilkraft dieser Stammzellen beginnen die Forscher erst zu erahnen. Erstaunliche experimentelle Ergebnisse legen nahe, dass auch sie sich chamäleonhaft in eine Vielfalt von Zellen verwandeln können.

"Seit wenigen Jahren weiß man, dass diese Blutstammzellen auch können, was embryonale Stammzellen bewerkstelligen. Sie können ebenso zu Herzmuskeln, Lungengewebe, Gehirn, Lebergewebe, Knorpel, Knochen differenzieren und stellen so eine Zellquelle für Organerneuerungen dar", erläutert Preisegger.
Nabelschnurblut-Stammzellen: Wandlungsfähiger
Dasselbe gilt für Stammzellen, die aus Nabelschnurblut gewonnen werden, die aber zusätzlich eine Reihe von Vorteilen aufweisen. Sie finden sich im Nabelschnurblut in höherer Konzentration als im Blut Erwachsener und sind vor allem jung und unverbraucht, was sich positiv auf ihre Wandlungsfähigkeit auswirkt.
Vorsichtige Zukunftsprognosen
Gewonnen werden sie nach der Geburt aus der Nabelschnur, die üblicherweise als wertloser Abfall im Krankenhausmüll landete. Jetzt steht sie im Ruf, eine wahre Schatztruhe zu sein.

"Bevor wir die Firma gegründet haben, war meine Sorge immer, dass wir etwas anbieten, was die Leute nicht wirklich brauchen können. Aber Nabelschnurblut ist jetzt wirklich eine Alternative zu embryonalen Stammzellen", findet der optimistische Firmengründer, der nicht müde wird, trotz aller Euphorie immer wieder darauf hinzuweisen, dass so gut wie alle Anwendungen im Moment noch reine Zukunftsmusik sind.
Nabelschnur-Blutbanken: Durchaus umstritten
Denn in der Praxis werden Stammzellen aus Nabelschnurblut derzeit hauptsächlich an Stelle von
Knochenmarktransplantationen bei Kindern verwendet.

Der Hämatologe und Vorstand der Abteilung für Transfusionsmedizin am Wiener AKH, Paul Höcker, ist über die Entstehung privater Nabelschnur-Blutbanken nicht sehr glücklich. Einerseits hält er Eigenvorsorge nicht für notwendig, da die Chance, an Leukämie zu erkranken, nur vier zu 100.000 beträgt.

Andererseits seien diese Erkrankungen gut mit herkömmlichen Mitteln zu behandeln; auch sei, so Höcker, die Chance, einen Knochenmarkspender zu finden, heute relativ gut.

Außerdem ist bei manchen bösartigen Erkrankungen der "Transplantat versus Host"-Effekt erwünscht, der nur bei Fremdspenden eintritt. Es kann auch nie ausgeschlossen werden, dass bei der Geburt bereits ein genetischer Defekt vorhanden ist, auf Grund dessen sich in Kombination mit speziellen äußeren Einflüssen eine Leukämie entwickelt.
Öffentliche Nabelschnur-Blutbanken zu teuer
Öffentliche Nabelschnur-Blutbanken, die Fremdblut einlagern, das sie bei Bedarf zur Verfügung stellen, würden dieses Problem umgehen. In Mailand und Düsseldorf stehen bereits solche Einrichtungen. In Österreich wurde darüber nachgedacht, aber wegen der astronomisch hohen Kosten schließt Höcker diese Variante aus.

Bleibt die selber zu bezahlende Eigenvorsorge, die der Transplantationsspezialist derzeit noch für problematisch hält. "Es sind noch einige Jahre Forschung nötig, um eine abgesicherte wissenschaftliche Basis zu haben. Das Dumme ist, dass in solchen Grauzonen kommerzielle Interessen eine Rolle spielen und damit Wissenschaft und Geschäft nicht mehr sauber voneinander zu trennen sind", beklagt er.
Weitere Firmen folgen Lifecord
Seit die Firma Lifecord als erstes derartiges Unternehmen private Investoren davon überzeugen konnte, 15 Millionen Schilling in eine zukunftsträchtige Idee zu investieren, scheint in Österreich der Damm gebrochen. Mittlerweile gingen eine Hand voll weiterer Anträge ähnlicher Firmen im zuständigen Gesundheitsministerium ein.

Lifecord rechnet damit, die Zulassung für die tiefgefrorenen Stammzellen als biologisches Medikament nach dem Arzneimittelgesetz in den nächsten Wochen erteilt zu bekommen und die ersten Röhrchen, gefüllt mit wertvollen Zellen, auf unbestimmte Zeit in der eisigen Kälte des Stickstofftanks verschwinden zu lassen.

Ob und wann sie wieder daraus auftauchen, hängt von den medizinischen Fortschritten in den nächsten Jahrzehnten ab.

Gina Kirchweger, Universum-Magazin
->   Lifecord: Nabelschnur-Blutbank
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Der gesamte Artikel erscheint am 6. Juni in der neue Ausgabe des Universum-Magazins.
->   Universum Magazin
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->   Blutstammzellen aus dem Bioreaktor
 
 
 
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01.01.2010