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Dunkle Materie - direkter Nachweis gelungen  
  Das Rätseln hat ein Ende: Die Dunkle Materie ist nicht nur eine theoretische Hilfsannahme von Astronomen - es gibt sie wirklich. Ein internationales Forscherteam wies in einem vier Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxiencluster erstmals direkte Effekte der mysteriösen Materieform nach.  
In der "1E0657-56" genannten Region waren vor rund 100 Millionen Jahren zwei Galaxiencluster kollidiert. Bei dem kosmischen Zusammenstoß wurden offenbar "normale" und Dunkle Materie voneinander getrennt. So ließ sich ein so genannter Gravitationslinseneffekt nachweisen, der allein auf das Konto der Dunklen Materie geht.
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Die Studie "A direct empirical proof of the existence of dark matter" von Douglas Clowe et al. erscheint demnächst in den "Astrophysical Journal Letters". Die Studie ist bereits jetzt auf dem Preprintserver "arXiv" erhältlich.
->   Abstract
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Mit Newton in die Bredouille
Ginge es nach Isaac Newton, dann dürfte es keine Galaxienhaufen geben. Wenn Galaxien lediglich aus der Materie bestünden, die man im Weltraum sieht - im Wesentlichen Sterne und heiße Gase -, dann könnten sich Galaxien eigentlich gar nicht zu größeren Haufen vereinen, sie besäßen dafür zu wenig Masse. Aber sie tun es dennoch.

Folglich muss entweder unsere Vorstellung der Gravitation falsch sein oder das herkömmliche Konzept der Materieverteilung im Universum. Die meisten Astronomen neigen der zweiten Variante zu: Sie nehmen an, dass es neben der handelsüblichen Materie noch eine andere, dunkle Materieform gibt. "Dunkel" deswegen, weil sie sich nicht durch Licht oder andere Formen von Strahlung zu erkennen gibt.

Schätzungen zufolge bestehen Galaxien wie etwa die Milchstraße zu 90, vielleicht sogar zu 95 Prozent aus dieser Dunklen Materie.
->   Dunkle Materie - Wikipedia
Alternative zur Dunklen Materie
Eine Alternative zu diesem Bild ist die so genannte MOND-Theorie: Der Name hat nichts mit kosmischen Trabanten zu tun, sondern leitet sich vielmehr von "Modified Newtonian Dynamics" ab. Zu Beginn der 1980er vom israelischen Physiker Mordehai Milgrom vorgestellt, rüttelt die MOND-Theorie an dem Grundfesten der klassischen Physik und stellt die Gültigkeit des zweiten Newtonschen Bewegungsgesetzes in Frage.

Demzufolge ist die Wirkung der Schwerkraft nicht unabhängig von der vorhandenen Massendichte, wie Hans Michael Maitzen vom Institut für Astronomie der Universität Wien erklärt: "Milgrom gab allerdings gleich bei der Vorstellung seiner Theorie zu, dass das eine Ad-hoc-Annahme ist."

Nur hat sie einen Vorteil: Mit dieser Annahme kann man das nicht minder willkürliche Postulat der Dunklen Materie umgehen, für deren Existenz es bis dato lediglich indirekte Hinweise gab.
->   Modified Newtonian Dynamics - Wikipedia
Galxien-Kollision trennt Materieformen
Bild: NASA/SAO/CXC/M.Markevitch et al
Das könnte sich nun ändern. Ein Team um den US-Astronomen Douglas Clowe entdeckte im Galaxiencluster 1E0657-56 Regionen, in denen Dunkle und herkömmliche Materie in Reinform auftreten (Bild rechts). Das ist deswegen ungewöhnlich, weil die beiden Materieformen normaler Weise nur in gemischter Form anzutreffen sind.

Nicht so bei 1E0657-56, der aufgrund seiner an ein Geschoss erinnernden Form "Bullet Cluster" genannt wird: Dort rasten vor rund 100 Millionen Jahren zwei Galaxiencluster ineinander, um danach wieder getrennte Wege zu gehen.

Da die Dunkle Materie lediglich via Gravitation mit anderen Teilchen in Wechselwirkung tritt, die sichtbare Materie hingegen auch auf elektromagnetische Kräfte reagiert, wurde die beiden Komponeten bei der Kollision offenbar entmischt (siehe Video: Dunkle Materie blau, sichtbare Materie rot).
->   Video der Galaxien-Kollision
Gravitationslinse belegt Konzept
Clowe und Kollegen wiesen nun mit dem Röntgenteleskop Chandra heiße Gase nach, die den Hauptbestandteil der sichtbaren Materie bilden. Gleichzeitig fanden die Astronomen heraus, dass es in dieser Region ein starkes Gravitationsfeld gibt, dessen Zentrum aber außerhalb der Gaswolken liegt.

Dieser Nachweis gelang durch einen Gravitationslinseneffekt, der auftritt, wenn massereiche Objekte Strahlung von dahinter liegenden Lichtquellen ablenken. Schluss der Forscher: Die Gravitationslinse muss auf die Anwesenheit Dunkler Materie zurückgehen, mit der MOND-Theorie könne man den Effekt jedenfalls nicht erklären.

Dem stimmt auch Sean Caroll von der University of Chicago zu: "Die Idee, dass eine modifizierte Gravitation die Dunkle Materie ersetzen kann, ist damit mehr oder weniger widerlegt", so Caroll gegenüber dem Magazin "New Scientist". Nicht auszuschließen sei allerdings, dass Milgroms Variante des zweiten Newtonschen Bewegungsgesetzes dereinst in einem Theorienuniversum mit Dunkler Materie ein Comeback feiern könnte.

Robert Czepel, science.ORF.at, 22.8.06
->   Bullet Cluster - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Erste Galaxie aus dunkler Materie entdeckt (24.2.05)
->   Woraus besteht Dunkle Materie? (26.11.04)
->   Licht ins Dunkel: Wie man Dunkle Materie nachweisen kann (25.3.04)
 
 
 
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01.01.2010