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Wie Zwerggalaxien ihr Licht verloren  
  Astronomen gehen davon aus, dass viele Galaxien eine Reihe kleiner Satelliten haben. Diese so genannten Zwerggalaxien bestehen zum Großteil aus Dunkler Materie, weswegen sie fast unsichtbar sind. Eine neue Theorie zeigt nun, wie ihnen das Licht abhanden kam.  
Ursprünglich waren auch die Zwerggalaxien von Sternen und hellen Gasen erfüllt. Gravitation und andere physikalischen Kräfte entrissen ihnen jedoch im Lauf der Jahrmilliarden das leuchtende Material, berichtet ein Team um Lucio Mayer von der ETH Zürich. Zurück blieben finstere Materiestümpfe.
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"Early gas stripping as the origin of the darkest galaxies in the Universe" von L. Mayer et al. ist in "Nature" (Bd. 445, S. 738; doi: 10.1038/nature05552, 15. Februar 2007).
->   Abstract
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Klein und dunkel
Draco, Ursa Minor und Andromeda IX haben drei Dinge gemeinsam: Sie sind klein, kugelförmig und außergewöhnlich lichtschwach.

Zwei dieser Zwerggalaxien, Draco und Ursa Minor, hat man nur deswegen entdeckt, weil sie quasi vor unserer Haustüre liegen. Sie umkreisen die Milchstraße in 220 bzw. 280.000 Lichtjahren Entfernung. Was astronomisch betrachtet fast ein Katzensprung ist.

Etwas weiter, nämlich zwei Millionen Lichtjahre, liegt Andromeda IX von der Erde entfernt. Aber die Distanz zu ihrer Muttergalaxie M31 (besser bekannt als Andromedagalaxie) ist ähnlich gering wie bei den anderen beiden.
Physikalische Extratouren
 
Bild: Robert Lupton, SDSS Consortium

Astronomen interessieren sich schon seit einigen Jahren verstärkt für die drei kugeligen Zwerge, die ungewöhnlich enge Bahnen um ihre großen Verwandten ziehen.

Zum einen, weil sie physikalisch aus der Reihe tanzen. Das beginnt etwa mit dem Verhältnis von Masse und Leuchtkraft (kurz: M/L). Nachdem die Sonne ein wichtiger Bezugspunkt für Astronomen ist, gibt sie auch in diesem Fall die natürlichen Einheiten vor: Ein Körper, der die selbe Masse und die selbe Leuchtkraft wie die Sonne aufweist, hat für M/L den Wert 1. Diese Maßzahl ist unabhängig von der absoluten Masse, weswegen sie sich auch für größere Materieballungen, wie etwa ganze Galaxien, anwenden lässt.

Typische Galaxien haben einen Wert von 10 bis 30, d.h. sie beinhalten eine Menge Materie, die nicht so hell strahlt - sofern sie überhaupt strahlt. Draco (Bild oben), Ursa Minor und Andromeda IX haben hingegen ein M/L höher als 100. Das ist so finster, dass sie - aus der Ferne betrachtet - fast schon unsichtbar sind. Andromeda IX ist überhaupt die lichtschwächste Galaxie die man gegenwärtig kennt.
Kaum Gase und Sterne
Ebenfalls ungewöhnlich ist die Tatsache, dass die drei Zwerggalaxien kaum Gase und äußerst wenige Sterne enthalten. Sie bestehen zum Großteil aus der berüchtigten Dunklen Materie, die laut Schätzungen von Astronomen 23 Prozent der Gesamtenergie des Universums auf sich vereinigt.

Zum Vergleich: Die handelsübliche Materie, so wie wir sie von der Erde kennen, macht lediglich vier Prozent aus. (Der Rest geht im Übrigen auf das Konto der nicht minder rätselhaften Dunklen Energie, einer Art Anti-Gravitationskraft.)

Der hohe Anteil von Dunkler Materie erklärt jedenfalls, warum Draco, Ursa Minor und Andromeda IX gar so lichtschwach sind. Denn Dunkle Materie kennt keinen Elektromagnetismus, daher auch kein Licht, sie ist schlichtweg unsichtbar. Nur ihre Schwerkraft gibt Hinweise darauf, dass sie da ist. Und existieren muss sie, darüber sind sich die Astrophysiker mittlerweile einig.
Konventioneller Beginn
Allerdings wirft das einige andere Fragen auf: Warum haben die drei Zwergsatelliten so wenig von der "normalen", hellen Materie? Kam sie ihnen irgendwie abhanden? Ja, bestätigt nun der Astrophysiker Lucio Mayer von der ETH Zürich.

Er und drei weitere Kollegen haben ein Modell entwickelt, das erstmals die Existenz solch eigenartiger dunkler Flecken auf der astronomischen Landkarte erklärt. Finstere Zwerggalaxien begannen demzufolge ihre Karriere vor rund 10 Milliarden Jahren ganz konventionell: Sie beinhalteten zunächst sowohl gasförmige Materie als auch Sterne.
Staudruck entfernt Gase
Damals war der Raum noch von der so genannten UV-Hintergrundstrahlung erfüllt, von der es heute nur mehr geringe Reste gibt. Diese kurzwellige Strahlung erhitzte die Gase in den Zwerggalaxien, berechneten Mayer und sein Team mit einigen Supercomputern in Zürich und Pittsburgh. Das und ein zweiter Faktor setzte die Gase in Bewegung, sodass sie in die Weiten des Weltalls geschleudert wurden.

Bei dem zweiten Effekt handelt es sich um das so genannte "Ram Pressure Stripping" - ein Staudruck, der sich durch fortwährende Kollision mit im Raum verteilter Materie aufbaut. Wie Sabine Schindler vom Institut für Astrophysik der Uni Innsbruck erklärt, kann man sich das "Ram Pressure Stripping" folgendermaßen vorstellen:

"Wenn man etwa einen Schwamm durchs Badewasser bewegt, strömt auf dessen Vorderseite neues Wasser ein. Gleichzeitig wird das bereits im Schwamm vorhandene Wasser auf der Rückseite nach außen gedrückt."

Ganz ähnlich war es offenbar bei den Urformen der Zwerggalaxien, nur mit dem Unterschied, dass sich die Gasmasse in deren Inneren sukzessive verdünnte, bis fast nichts mehr übrig blieb. Die Dunkle Materie blieb davon völlig unberührt, schreiben die vier Astrophysiker: Erstens, weil sie in nicht-gasförmiger Form vorliegt. Und zweitens, weil sie die Wirkung der UV-Strahlung prinzipiell kalt lässt - und zwar im wahrsten Sinne.
Verlust der Sterne durch Gezeitenschock
Bleibt noch das Problem der überzähligen Sterne. Diese kamen den Zwergalaxien laut Mayer und Kollegen durch eine Art Gezeitenschock ("Tidal Shocking") abhanden.

Damit ist folgender Effekt gemeint: Draco, Ursa Minor und Andromeda IX umrundeten damals wie heute ihre Muttergalaxien auf elliptischen Bahnen, weswegen die Schwerkraft - ähnlich wie bei den irdischen Gezeiten - rhythmisch schwankte. In Phasen besonders starker Anziehung kamen so den drei Galaxien immer wieder Sterne abhanden.

Nicht viele zwar, aber im Lauf der Jahrmilliarden summierte sich der schrittweise Verlust, sodass leuchtende Materie heute in Ursa Minor und Co. absolute Mangelware darstellt.
Direkter Nachweis Dunkler Materie
Das Modell kommt im Übrigen gerade zur rechten Zeit. Vor ein paar Monaten entdeckten Forscher des Projekts "Sloan Digital Sky Survey" in unmittelbarer Nähe der Milchstraße einige ultraschwach leuchtende Galaxien. Sollten diese Funde durch andere Experimente bestätigt werden, hat man nun eine Theorie zur Hand, die erklärt, warum es sie überhaupt gibt.

Stelios Kazantzidis von der Stanford University richtet indes seinen Blick auf zukünftige Projekte: "Die Erforschung der Dunklen Materie ist eine der ganz großen Herausforderungen der modernen Kosmologie", sagt der Ko-Autor der Studie: "In den nächsten Jahren werden viele Forscher versuchen, Dunkle Materie direkt nachzuweisen. Die kugelförmigen Zwerggalaxien sind bei diesem Unternehmen das erste Ziel."

[science.ORF.at, 15.2.07]
->   Lucio Mayer - Universität Zürich
->   Sabine Schindler - Uni Innsbruck
->   Dunkle Materie - Wikipedia
->   Draco-Zwerggalaxie - Wikipedia
->   Ursa Minor Dwarf - Wikipedia
->   Andromeda IX - Wikipedia
->   Sloan Digital Sky Survey
 
 
 
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01.01.2010