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Zweifel an der Existenz Schwarzer Löcher  
  Zwei US-Physiker warten neuerdings mit einer revolutionären These auf. Sie behaupten, dass Schwarze Löcher gar nicht existieren. Stattdessen sei das Universum von anderen Objekten bevölkert, so genannten Schwarzen Sternen. Die Fachwelt reagiert verhalten bis skeptisch.  
Schwarze Löcher sind Glatzenträger
Astrophysik ohne Schwarze Löcher? Kaum vorstellbar. Nicht nur Lehrbücher müssten umgeschrieben werden, auch Hollywood müsste seine dramaturgischen Standards im Weltraumgenre wohl neu überdenken. Vorausgesetzt freilich, Lawrence Krauss und Tanmay Vachaspati von der Case Western Reserve University behalten Recht mit ihrer These, dass es Schwarze Löcher gar nicht gibt.

Ihr revolutionäres Konzept geht auf ein altes Rätsel zurück, das als "Informationsverlustparadoxon" bekannt ist. Es gibt in der Astrophysik einen allgemein akzeptierten Lehrsatz, der besagt, dass schwarze Löcher durch nur drei Größen vollständig beschrieben werden können: Masse, Ladung und Drehimpuls - sonst nichts.

Der US-Physiker John Archibald Wheeler, dem wir im Übrigen die Begriffe "Schwarzes Loch" und "Wurmloch" verdanken, umschrieb diesen Satz einmal so: "Black holes have no hair." Was er mit der launigen Bemerkung meinte, war: Schwarze Löcher haben keine physische Individualität, sie mögen sich zwar in den drei genannten Parametern bisweilen unterscheiden, ansonsten sieht das eine aus wie das andere.

Das Statement ging in den allgemeinen Sprachgebrauch über, heute spricht man vom "No-hair theorem" bzw. vom "Glatzensatz".
Hawking-Strahlung überwindet Ereignishorizont
Schwarze Löcher verschlingen alles, was einen gewissen Mindestabstand zu ihnen - Ereignishorizont genannt - unterschreitet, ganz gleich um welche Art von Materie es sich dabei handelt. Für jedes Teilchen, das die magische Grenze einmal übertreten hat, gibt es kein Zurück mehr.

So lautete zumindest die Lehrmeinung bis in die 1970er Jahre. Dann zeigte jedoch Stephen Hawking, dass auch Schwarze Löcher mitunter Energie verlieren - und zwar in Form der (heute so benannten) Hawking-Strahlung. Der Effekt hat mit virtuellen Teilchen-Antiteilchen-Paaren zu tun, die in der bizarren Welt der Quanten entstehen, und führt dazu, dass Schwarze Löcher unter bestimmten Bedingungen sogar schrumpfen können.
Information geht verloren
Das führt zu einem Problem: Gesetzt den Fall, ein Schwarzes Loch verliert durch Hawking-Strahlung so viel Energie, sodass nichts von ihm übrig bleibt. Was ist dann mit der Information über die Art von Materie geschehen, die das Schwarze Loch Milliarden Jahre zuvor verschlungen hat?

In der Hawking-Strahlung kann sie nicht stecken, denn die ist rein thermisch, sprich: chaotisch, ohne Ordnung, ohne Information. Schwarze Löcher arbeiten demnach so ähnlich wie ein Reißwolf: Vorne steckt man Materie rein, hinten kommt (nach langer Zeit) etwas raus, mit dem man nichts mehr anfangen kann.
Widerspruch zur Quantentheorie
Genau das ist aber laut der Quantentheorie verboten: "In der Quantentheorie ist die Information so etwas wie eine Erhaltungsgröße" erklärt Peter C. Aichelburg von der Uni Wien: "Man kann sich das so vorstellen: Für jedes Teilchen gibt es eine Wahrscheinlichkeit, es an einem bestimmten Ort zu finden. Diese Wahrscheinlichkeit ist nicht zerstörbar, sie muss erhalten bleiben. Laut Hawkings Konzept passiert das aber doch - das ist der Kern des Informationsverlustparadoxons."
Hawkings Kehrtwendung
Wie löst man das Paradoxon? "Ich habe 30 Jahre über das Problem nachgedacht. Nun habe ich die Lösung dafür", erklärte Hawking vor drei Jahren auf der 17. International Conference on General Relativity and Gravitation in Dublin.

Die Lösung ist im Wesentlichen eine Liberalisierung des Gefräßigkeitsprinzips Schwarzer Löcher: Seinen neuen Berechnungen zufolge könne in der Hawking-Strahlung nun doch Information erhalten bleiben, erklärte der britische Physiker im Juli 2004.
Neue, umstrittene Lösung
 
Bild: NASA/JPL-Caltech

Alle Theoretiker hat er mit dieser Kehrtwendung allerdings nicht überzeugt, und so wurden in den letzten Jahren immer wieder neue Lösungsansätze für das Paradoxon vorgeschlagen.

Ein besonders radikaler ist jener von Lawrence Krauss und Tanmay Vachaspati: Die beiden stellten nun im Fachjournal "Physical Review D" (Preprint) neue Kalkulationen vor, die die kosmische Landschaft komplett umgestalten. Nach Ansicht der beiden Physiker existieren Schwarze Löcher im herkömmlichen Sinn gar nicht.

Sobald Sterne so schwer sind, dass ihre Materie unter dem eigenen Gravitationsdruck kollabiert, würden dieselben eine neue Form von Strahlung abgeben, die sie "Prä-Hawking-Strahlung" nennen. Damit verliere der Stern sukzessive Energie, ein echter Ereignishorizont - quasi das Echtheitssiegel von Schwarzen Löchern - könne sich nicht ausbilden.

"So etwas gibt es gar nicht", sagt Vachaspati: "Es gibt nur Sterne, die auf dem Weg zu Schwarzen Löchern sind - aber sie kommen dort niemals an." Die Gebilde, die dabei entstehen, nennen die beiden "Schwarze Sterne".
Ablehnende Reaktion
In Fachkreisen wird das neue Konzept eher skeptisch aufgenommen. Nobelpreisträger Gerard 't Hooft von der Universität Utrecht meinte etwa kürzlich gegenüber der Zeitschrift "New Scientist": "Ich kann den Autoren überhaupt nicht zustimmen. Der in dieser Arbeit beschriebene Prozess kann aus meiner Sicht nicht genug Strahlung herstellen, um die Entstehung des Ereignishorizontes zu verhindern."
Überprüfung durch den LHC?
So revolutionär das Konzept in der Theorie klingt: Sollten Krauss und Vachaspati dennoch Recht behalten, würde sich in der Praxis kaum etwas ändern. Für entfernte Beobachter wären nämlich Schwarze Sterne von Schwarzen Löchern kaum zu unterscheiden. Der Grund: Erstere würden Licht, das in ihren Einflussbereich kommt, zu so großen Wellenlängen verzerren, dass es kaum zu entdecken wäre.

Eine Überprüfung der Theorie scheint dennoch nicht ausgeschlossen. Mit dem neuen Teilchenbeschleuniger im Forschungszentrum CERN, dem "Large Hadron Collider", möchten Physiker in den nächsten Jahren Miniausgaben Schwarzer Löchern herstellen.

Diese unterscheiden sich von ihren großen Verwandten unter anderem dadurch, dass sie kurz nach ihrer Geburt unter Abgabe von Strahlung wieder von der Bildfläche verschwinden.

Die Strahlung könnte nach Ansicht von Krauss und Vachaspati Aufschluss darüber geben, ob das Objekt einen Ereignishorizont besessen hat - oder nicht. Sollte letzteres zutreffen, wird vielleicht auch Gerard 't Hooft sein skeptisches Urteil noch einmal überdenken.

[science.ORF.at, 22.6.07]
->   Tanmay Vachaspati - Case Western Reserve University
->   Lawrence Krauss - Case Western Reserve University
->   No hair theorem - Wikipedia
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01.01.2010