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Nach 150 Jahren rehabilitiert?  
  Auch Wissenschaftlern unterlaufen Fehler: Jener Pilz, der rund eineinhalb Jahrhunderte lang für die Kartoffelfäule und deren katastrophale Auswirkungen ¿ etwa die Hungersnot in Irland um 1850 - verantwortlich gemacht wurde, ist möglicherweise ''unschuldig''.  
Als Verursacher der verheerenden Pflanzenkrankheit wurde bislang ein bestimmter Stamm des Erregers Phytophthora infestans genannt, der Haplotyp 1b.

Doch Jean Ristaino und ihre Kollegen von der North Carolina State University waren davon nicht überzeugt. Aus diesem Grund haben sie Kartoffelblätter aus den Jahren 1845 bis 1847 untersucht, die im Herbarium des ''Royal Botanic Garden'' in England aufbewahrt worden sind. Die Ergebnisse veröffentlichten sie in dem Fachmagazin 'Nature'.
Die Antwort liegt in der Vergangenheit
''Wir haben beschlossen, die alten Blätter zu untersuchen, weil dort die Antwort zu finden ist'', sagte Ristaino. Ihr Team hat aus insgesamt 123 verschiedenen Blättern die DNA extrahiert und mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) vervielfältigt.

Zum Vergleich wurden Proben jener Pflanzen herangezogen, die erst in jüngster Zeit der Kartoffelfäule zum Opfer gefallen waren. Die Untersuchungen haben ergeben, dass der Haplotyp 1b als Auslöser der Krankheit nicht in Frage kommen kann: Seine Erbinformation ließ sich in den alten Blättern nicht aufspüren.
->   Mehr über die PCR
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Wer ist der Schuldige?
Ristaino vermutet nun, dass Irland seinerzeit von einem anderen der drei Phytophthora-Stämme heimgesucht worden sein könnte. Sie hält es aber auch für möglich, dass ein bis dato unbekannter Haplotyp die Epidemie ausgelöst hat ¿ und danach entweder ausgestorben oder mutiert ist.
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Auch Ursprung fraglich?
Die amerikanische Forscherin zweifelt darüber hinaus auch Mexiko als Ursprungsland des Pilzes an. Der Haplotyp 1b konnte bislang fast überall auf der Welt gefunden werden ¿ bloß nicht in Mexiko. Sie vermutet seine Herkunft daher vielmehr in Südamerika, von wo auch die Kartoffel stammt.
Einspruch
Doch Stephen Goodwin von der Perdue University in West Lafayette, Indiana, bezeichnet dieses Argument und das Ergebnis der Studie als ''nicht überzeugend genug''. Die Mexiko-Theorie stütze sich immerhin auf 70 Jahre Forschung. Nachdem Phytophthora infestans in diesem Land die größte genetische Vielfalt aufweise, sei es naheliegend, dass der Erreger hier auch am längsten existiert hätte.

Juan Landeo vom International Potatoe Center in Lima, Peru, widerspricht: Die genetische Vielfalt des Pilzes weise Mexiko noch lange nicht als seinen Ursprungsort aus. Ristaino ist ebenfalls dieser Ansicht und hat damit begonnen, mehrere Hundert historischer Kartoffelproben zu untersuchen - darunter auch welche aus Südamerika.
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Phytophthora infestans
ist ein Pilz, der zahlreiche Formen der Fäule auslösen kann. Auf Blättern, Stängel und Früchten bilden sich braune Flecken, die sich rasch ausbreiten. Die Pflanze stirbt dann oft sehr schnell ab.
->   Mehr über Phytophthora infestans
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Die irische Hungersnot (1845-1850)
hat mit der Kartoffelfäule begonnen, die einen Acker nach dem anderen verwüstet hat. Auch die bereits eingebrachte Ernte fiel ihr zum Opfer. Jene, die die verdorbenen Knollen gegessen haben, sind erkrankt ¿ ganze Dörfer und Städte wurden von Cholera und Typhus heimgesucht.
Obdachlosigkeit und Armut
Durch den Ausfall ihrer Ernte waren die Bauern auch nicht mehr in der Lage, ihren Gutsherren die Pacht zu bezahlen. Hunderttausende Menschen wurden in der Folge auf die Straße gesetzt. Oftmals haben die Gutsherren ihre Pächter auch zum Auswandern in englischsprachige Länder ermutigt und ihnen die Überfahrt bezahlt.

Insgesamt sind von 1845 bis 1850 eine Million Iren verhungert oder an Krankheiten gestorben. Gleichzeitig sind weitere zwei Millionen ausgewandert und haben so eine Immigrationswelle ausgelöst, die auch die Geschichte etwa der Vereinigten Staaten stark beeinflusst hat.
Genereller Umschwung
Die Hungersnot hat neben einem kulturellen und politischen Umschwung in Irland auch einen Wechsel in der Landwirtschaft gebracht. So ist man von den äußerst kleinen Familienbetrieben abgegangen, deren Struktur lediglich eine (Kartoffel-)Monokultur erlaubt hat.

Auch heute noch ist die Kartoffelfäule weltweit gefürchtet: Allein in den Entwicklungsländern richtet sie jährlich Schäden von bis zu drei Milliarden Dollar an.
Der Artikel in Nature von Jean B. Ristaino, Carol T. Groves und Gregory R. Parra vol 411, pp. 695-697 (kostenpflichtig)
->   PCR amplification of the Irish potato famine pathogen from historic specimens
->   Mehr über die irische Hungersnot
 
 
 
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01.01.2010