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Evolution: Erfolgsrezept Enthaltsamkeit  
  Rädertierchen sind erstaunliche Tiere. Sie leben seit rund 100 Millionen Jahren ohne Sex - und waren dennoch in der Evolution erfolgreich. Der Grund: Obwohl Rädertierchen Klone als Kinder haben, können auch sie die genetische Vielfalt in ihrem Erbgut erhöhen.  
Das macht die in Lacken, Moos und Bäumen lebenden Tierchen anpassungsfähig, berichtet ein Team um Dirk Hincha vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam.
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"Functional divergence of former alleles encoding LEA proteins in a desiccation-tolerant, ancient asexual invertebrate" von Natalia N. Pouchkina-Stantcheva et al. ist "Science" erschienen (Bd. 318, S. 268; doi: 10.1126/science.1144363).
->   Science
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Warum Sex?
Warum pflanzen sich eigentlich nahezu alle Organismen sexuell fort? Ginge es nur um die Zahl der Nachkommen, wäre Sex schon längst von der Bildfläche verschwunden - oder erst gar nicht entstanden.

Denn gemessen am Reproduktionserfolg ist sexuelle Fortpflanzung der asexuellen weit unterlegen. Der Grund: Letztere verzichtet auf Männchen, die sich nicht fortpflanzen können. Das hebt die Quote.
Sexualität erhöht die genetische Vielfalt
Allerdings hat sexuelle Fortpflanzung einen großen Vorteil. Sie führt zu einer größeren genetischen Variabilität. Väterliches und mütterliches Erbgut werden bei den Nachkommen neu kombiniert, positive Mutationen werden zusammengeführt, negative überdeckt. Genetische Variabilität ist in gewisser Weise eine Versicherung für die Zukunft, weil sie die Anpassung an veränderte Lebensbedingungen ermöglicht.

Die Nachkommen asexueller Fortpflanzung sind dagegen genetisch identisch, sie sind Klone ihrer Mutter. Ihre Anpassungsfähigkeit ist aufgrund der geringeren genetischen Vielfalt erschwert. Zahlreiche sich asexuell fortpflanzende Organismen schieben deshalb immer wieder einen sexuellen Fortpflanzungszyklus ein, wie zum Beispiel die Wasserflöhe.
Rädertierchen gegen den (Evolutions-)Strom
 
Bild: Natalia N. Pouchkina-Stantcheva

Doch selbst darauf verzichtet das kleine Rädertierchen, Adineta ricciae (Bild oben). Und zwar bereits seit 100 Millionen Jahren. Ein internationales Biologenteam hat nun untersucht, wie das überhaupt möglich ist. Ausgangspunkt für die Forscher war der sogenannte Meselson-Effekt.

Er besagt, dass Allele (das sind Varianten ein und desselben Gens) im Zuge der asexuellen Vermehrung Mutationen anhäufen und im Lauf der Zeit immer unterschiedlicher werden. Das kann unter Umständen von Vorteil sein, sofern die eine oder andere Mutation die Fitness erhöht.
Mutation statt Meiose
Dirk Hincha und seine Kollegen suchten daher nach einem Gen, bei dem sich dieser Effekt nachweisen lassen würde. Sie wurden fündig: Und zwar bei zwei Genen, die die Austrocknungstoleranz der Rädertierchen beeinflussen. Ein Gen namens "Ar-lea-1a" stellt ein Protein her, das die anderen Proteine in der Zelle daran hindert, bei Austrocknung zu verklumpen.

Dessen vormalige "Zwillingsschwester", das Gen"Ar-lea-1b", stellt hingegen ein Protein her, das eine etwas andere Aufgabe hat: Es schützt die Zellmembran vor Schäden bei Austrocknung, indem es an sie bindet und ein Reißen verhindert.

Diese unterschiedlichen Funktionen spiegeln sich auch in genetischer Hinsicht. Die molekulare "Buchstabenfolge" der beiden Gene unterscheidet sich um 13,5 Prozent, haben Hincha und Kollegen herausgefunden. Das ist ungewöhnlich hoch.

Die einzige Erklärung dafür: Die Rädertierchen haben nicht nur - wie es der Meselson-Effekt vorsieht - viele Mutationen angehäuft, sondern sie auch für das Überleben nutzbar gemacht. Vermutlich deshalb kann Adineta ricciae seit Millionen Jahren auf Sex verzichten.

[science.ORF.at, 11.10.07]
->   Jungfernzeugung - Wikipedia
->   Rädertierchen - Wikipedia
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01.01.2010