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Angst wird schneller wahrgenommen als Freude  
  Emotionen unterscheiden sich nicht nur auf der Empfindungsseite, sondern auch hinsichtlich ihrer äußeren Wahrnehmung: US-Psychologen haben herausgefunden, dass wir ängstliche Gesichter offenbar schneller registrieren als glückliche.  
David Zald und seine Kollegen von der Vanderbilt University vermuten dahinter einen evolutionären Schutzmechanismus, der von einer Hirnregion namens Amygdala gesteuert wird.
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Die Studie "Fearful expressions gain preferential access to awareness during continuous flash suppression" von E. Yang et al. wird in der Novemberausgabe des Journals "Emotion" erscheinen.
->   Emotion
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Kommunikation ohne Worte
"Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das Gehirn im Lauf der Evolution die Fähigkeit entwickelt hat, Bedrohungen in der Umwelt zu erkennen", sagt David Zald. "Wir glauben, dass das Gehirn gewisse Fingerzeige registriert, noch bevor sie uns bewusst werden. Auf diese Weise können wir unsere Aufmerksamkeit auf jene Dinge lenken, die für uns potenziell bedrohlich sind."

Der Ansatz ist freilich nicht ganz neu. Schon das Konzept des Ausdrucksverhaltens, ursprünglich von Psychologen entwickelt, später von Ethologen auch auf das Tierreich übertragen, ging davon aus, dass Mimik, Gestik und Verhalten dazu dienen, mit Artgenossen zu kommunizieren.

So gibt es etwa die Hypothese, dass sich der Gesichtausdruck für Ekel von jenem motorischen Reflex ableitet, der unser Gesicht beim Erbrechen erfasst. Das klingt plausibel und lässt sich in ähnlicher Form auch auf andere Emotionen übertragen.
Hypothese: Emotionale Tempi unterschiedlich
 
Bild: Vanderbilt University

Zald indes interessiert sich eher für die zeitliche Ordnung der nonverbalen Kommunikation. Er vermutete schon länger, dass man manche Emotionen schneller wahrnimmt als andere. Nur der Beweis dafür wollte ihm nicht gelingen.

Der Grund: Wir brauchen lediglich 40 Millisekunden, um von der Wahrnehmung eines Gesichts auf das Innenleben seines Besitzers zu schließen. Unterschiede in einem so engen zeitlichen Fenster festzustellen ist technisch nicht ganz einfach.
Zeitvergleich durch "Bildblitze"
Da hatte Zalds Doktorandin Eunice Yang eine gute Idee. Sie schlug vor, eine Technik einzusetzen, die die menschliche Wahrnehmung erheblich verzögert - bzw. genauer: die den Zugriff des Bewusstseins auf Sinnesinformationen bremst. Mit Hilfe der sogenannten continuous flash supression dauert der Schluss vom Gesichtsausdruck auf das Innenleben seines Besitzers unter Umständen bis zu zehn Sekunden.

Im Experiment lief das folgendermaßen ab: Zald, Yang und ihr Kollege Randolph Blake setzten Testpersonen vor einen Apparat, der wie das Augenstück eines Stereomikroskops aussieht, also im Wesentlichen zwei mit Linsen ausgestattete Röhren, durch die man mit je einem Auge blicken kann.

Am anderen Ende dieser Röhren präsentierten die Forscher Fotos - auf einem Auge ein stabiles Bild eines Gesichts, auf dem anderen Auge eine schnell wechselnde Folge beliebiger Motive. Letzteres diente als "visuelles Rauschen", das die eigentliche visuelle Information - das Gesicht - überlagern sollte.
Das grobe Weltbild der Amygdala
Das gelang auch: Die Probanden brauchten mitunter mehrere Sekunden, um zu erkennen, in welcher emotionalen Stimmung sich die dargestellten Personen befanden. Am raschesten gelang ihnen das bei ängstlichen Gesichtern, gefolgt von neutralem und fröhlichem Mienenspiel.

Zald und Kollegen vermuten, dass die Amygdala, eine neuronale Schaltstelle für Furcht und Aggression im Hirn, für diese Differenz verantwortlich ist: "Die Amygdala empfängt visuelle Informationen, bevor diese zur Großhirnrinde gelangen", sagt Zald. "Wir glauben, dass sie die Fähigkeit besitzt, visuelle Stimuli zu verarbeiten und anderen Regionen mitzuteilen, worauf sie sich konzentrieren sollen."

Ebenfalls wichtig dürfte auch die besondere Form der Augen in angsterfüllten Gesichtern sein. "Im Fall von Furcht sieht man relativ viel vom weißen Anteil der Augen. Das könnte eine Eigenschaft sein, die auch die Amygdala verarbeiten kann, weil sie nur ein sehr grobes Bild der Außenwelt erhält. Das ängstliche Auge könnte etwas sein, das gewissermaßen in der neuronalen Verdrahtung dieser Region angelegt ist." Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, ob dieser Mechanismus auch unser Verhalten beeinflusst.

[science.ORF.at, 15.10.07]
->   David Zald - Vanderbilt University
->   Amygdala - Wikipedia
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01.01.2010