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90. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution  
  Die russische Revolution hat die Welt verändert. Mit dem Sturm auf den Winterpalast in Petrograd begann sie vor 90 Jahren in der Nacht auf den 25. Oktober. Die Revolution brachte die alte Ordnung im größten Staat der Erde zum Einsturz und das weltweit erste kommunistische Regime hervor, das sich in Folge als globales Machtzentrum etablierte.  
Sie markiert deshalb gemeinsam mit dem Ersten Weltkrieg den Beginn des "kurzen 20. Jahrhunderts", schreibt Wolfgang Mueller in einem Gastbeitrag. Das Ende dieses Jahrhunderts wird mit jenem der Sowjetunion 1991 angesetzt.

Die Daten beziehen sich auf den in Russland bis 1918 gebräuchlichen Julianischen Kalender. Nach unserem, dem Gregorianischen Kalender sind jeweils 13 Tage hinzuzuzählen.
Die russische Revolution 1917
Bild: Albert Rhys Williams
Plakat der Bolschewiken mit dem Spruch "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" (aus: A.R. Williams: Through the Russian Revolution)
Von Wolfgang Mueller

Das Reich der Romanov-Dynastie stellte in Rechtstaatlichkeit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit ein Schlusslicht Europas dar. Der Zar regierte autokratisch, der Gegensatz zwischen Reich und Arm war größer als irgendwo sonst in Europa. Zwar wurde 1861 die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben, die Industrie boomte und die Bildung machte Fortschritte, doch wuchs das revolutionäre Potenzial weiter.

Zu den Gründen dafür zählten die Industrialisierung und die Urbanisierung. Fabriken entstanden, ehemalige Leibeigene strömten in die Industriestädte. Verdreckte Slums, überbelegte Arbeiterbaracken, schlechte Ernährung und Hygiene, Elendslöhne und Wuchermieten ließen die soziale Frage akut werden.

Auch die Agrarfrage war ungelöst: Die Bauern waren zwar nun frei, doch mussten sie für ihr Land Ablöse zahlen, waren verschuldet und unzufrieden.

Schließlich schwelte noch die nationale Frage, denn zahlreiche nicht-russische Völker strebten nach Unabhängigkeit.
Japan-Krieg: Katalysator der Unzufriedenheit
Die Entstehung einer neuen Intellektuellenschicht, die zum Teil radikalen nationalistischen, marxistischen oder anarchistischen Ideen folgte, trug ebenfalls zur Vorbereitung der Revolution bei. Viele Revolutionäre wurden nach Sibirien verbannt, andere gingen in den Untergrund oder ins Exil.

Zum Katalysator der Unzufriedenheit wurde der Krieg. Während des Konfliktes mit Japan 1905 hatte die Versorgungskrise zu einer ersten Revolution geführt. Nur durch Wahlen konnte Zar Nikolaj II. die Lage beruhigen.

Die Niederlagen der russischen Armee im Ersten Weltkrieg schädigten sein Ansehen aber weiter. Brennstoffmangel, Hunger und Inflation ließen den Zorn im Volk steigen.
Demokratische Februarrevolution
Seit Jänner 1917 flammen in Petrograd, dem heutigen St. Petersburg, Hungerstreiks auf. Am 23. Februar versammeln sich Arbeiterinnen zu Demonstrationen. Sie fordern Brot, ein Ende des Krieges und die Abdankung des Zaren. Am dritten Tag befiehlt dieser die Niederschlagung der Revolte. Doch die Kosaken weigern sich zu schießen und solidarisieren sich mit dem Volk.

Als Vertretungsgremien wählen die Arbeiter und Soldaten Räte. Diese so genannten Sowjets werden von einer Nachfolgepartei der Sozialdemokraten, den Menschewiken, und von den Sozialrevolutionären, die für eine Landreform kämpfen, dominiert. Der Petrograder Sowjet entwickelt sich rasch zu einem neuen Machtzentrum.

Auf Druck der Generäle und ehemaliger Abgeordneter stimmt Nikolaj II. der Bildung einer gemäßigt-liberalen provisorischen Regierung zu und dankt wenig später zugunsten seines Bruders ab. Der will die Krone erst nach einer Volksabstimmung annehmen, wozu es aber nicht mehr kommt.
Neue Regierung und alte Probleme
Die sechsmonatige Doppelherrschaft der provisorischen Regierung und des Sowjets leitet den Umbau Russlands in eine demokratische Republik ein.

Ständische Privilegien und Diskriminierungen sowie die Todesstrafe werden abgeschafft, die bürgerlichen Freiheiten ausgeweitet und Wahlen vorbereitet. Der Regierung gelingt es jedoch nicht, die Lage zu beruhigen.

Innenpolitisch machen ihr die Bolschewiken, eine sozialistische Splitterpartei, zu schaffen, deren Anführer aus dem Exil zurückgekehrt ist. In seinen Aprilthesen ruft Lenin zu einer zweiten, "sozialistischen Revolution" auf und erklärt der provisorischen Regierung den Kampf.
Lenin: Land, Brot, Frieden
 
Bild: Albert Rhys Williams

Lenins Forderungen "Land, Brot, Frieden" und "Alle Macht den Sowjets" werden rasch populär. Obwohl im Mai die Menschewiken und die Sozialrevolutionäre der Regierung beitreten, bleiben die Probleme ungelöst: Krieg, Versorgungskrise und Hunger halten an; die von den Bauern erhoffte Landzuteilung wird auf nach der Wahl verschoben.

Die Unzufriedenheit entlädt sich in einer Streikwelle, in den Dörfern kommt es zu Landbesetzungen, die Matrosen revoltieren.

Um einen Umsturz zu verhindern, bittet die Regierung General Kornilov, Truppen nach Petrograd zu senden. Der willigt ein und fordert diktatorische Vollmachten. Als man dies ablehnt, befiehlt er, Petrograd einzunehmen. Er wird jedoch zurückgeschlagen - nicht zuletzt durch bolschewistische Rotgardisten.
"Roter" Oktoberputsch
 
Bild: Albert Rhys Williams

Lenin will die Regierungskrise und die steigende Popularität seiner Partei nützen und drängt, die Regierung zu stürzen. Als der Sowjet ein Militärkomitee einrichtet, übernehmen Bolschewiken die Kontrolle und geben Order an die Soldaten, nur noch ihren Befehlen zu gehorchen.

Ohne auf große Gegenwehr zu stoßen, besetzen bolschewistische Rotgardisten in der Nacht auf den 25. Oktober strategische Punkte. Am 26. Oktober um drei Uhr früh wird der Winterpalast eingenommen, die Minister werden verhaftet.

Inzwischen ist Lenin zum Kongress der Vertreter aller russischen Sowjets gefahren. Etwa die Hälfte sind Bolschewiken. Die andere Hälfte, Menschewiken und rechte Sozialrevolutionäre, verurteilt den Staatsstreich und fordert eine Allparteienregierung. Als dies abgelehnt wird, verlassen sie den Kongress und ebnen damit ungewollt den Weg für Lenin, der nun eine Regierung aus Bolschewiken und linken Sozialrevolutionären bildet.
Bolschewiken bei Wahlen nur Zweite - aber Sieger

Zwei der Bücher von Wolfgang Mueller
In der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung am 12. November landen die Bolschewiken mit etwa 25 Prozent nur auf Platz zwei. Die absolute Mehrheit geht an die Sozialrevolutionäre. Die Versammlung wird aber bereits nach einem Tag von Rotgardisten an der Weiterarbeit gehindert. So endet die Tätigkeit des einzigen demokratisch gewählten Parlaments in Russland vor 1993.

Als Lenin im März 1918 dem von Deutschland und Österreich-Ungarn diktierten Frieden von Brest-Litovsk zustimmt, verlassen die linken Sozialrevolutionäre aus Protest die Koalition.

Ihre rechten Parteigenossen und die Menschewiken werden später aus dem Sowjetkongress ausgeschlossen. Damit beginnt nach dem Staatsstreich vom Oktober die eigentliche Revolution: der Umbau des Staates im Sinne bolschewistischer Vorstellungen.

[24.10.07]
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Über den Autor
Wolfgang Mueller ist Historiker und Russlandexperte an der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Bücher: "Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945-1955" und "Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende".
->   Historische Kommission der ÖAW
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Die Bücher:
->   "Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945-55"
->   "Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende"
->   "Sowjetische Politik in Österreich 1945-55: Dokumente"
Mehr zu dem Thema:
->   Albert Rhys Williams: Through the Russian Revolution
->   John Reed: Ten Days that Shook the World
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Radio-Hinweis
In der Ö1-Sendung "Betrifft: Geschichte" spricht Wolfang Mueller am 24. und 25. Oktober über "Die russische Revolution von 1917" (17.55 Uhr, Radio Ö1).
->   oe1.ORF.at
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01.01.2010