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Warum uns Bauchredner täuschen  
  Bisher glaubte man, dass Seh- und Hörreize auf weitgehend getrennten Bahnen durchs Gehirn laufen. Dem widersprechen nun US-Forscher: Ihren Versuchen zufolge "blinzelt" auch ein Hörzentrum, wenn sich etwas im Blickfeld verändert.  
Dieser Befund könnte unter anderem erklären, warum uns Bauchredner mit ihren Tricks so einfach täuschen.
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"Visual- and saccade-related signals in the primate inferior colliculus" von Kristin Kelly Porter et al. wird zwischen 29.10. und 2.11.07 auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" erscheinen (doi: 10.1073/pnas.0706249104).
->   Abstract (sobald online)
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Nervenbahnen ohne Austausch
"Die vorherrschende Meinung unter Hirnforschern war bislang die, dass unsere fünf Sinne - Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken - von den jeweils zuständigen Hirnzentren gesteuert werden", sagt Jennifer Groh vom Duke's Center for Cognitive Neuroscience. "Dieser Ansicht zufolge verarbeiten die Areale Informationen unserer Sinnesorgane - und zwar unabhängig voneinander. Dann senden sie diese Informationen in die Hirnrinde, die dann alles zusammensetzt."

Anders ausgedrückt: Nach dem klassischen Modell der Wahrnehmung wandern (die Repräsentationen von) Textur, Farbe, und Duft einer Rose auf mehr oder weniger getrennten Kanälen durch das Hirn. Erst später wird das Stückwerk wieder zusammengesetzt. Das erst verleiht der Rose jene "Ganzheit", die wir als ganz selbstverständlich empfinden: Sie erscheint uns als klar umrissenes Objekt, unteilbar, stabil - eben als Rose.
Urtümliche Kreuzungen bei Eulen
"Nun beginnen wir zu verstehen, dass die Sache nicht ganz so einfach ist", so Groh. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die einzelnen Pfade im Gehirn einander sehr früh beeinflussen. Das bedeutet: Die Integration der Sinne könnte primitiver sein als bisher angenommen. Möglicherweise ist sie gar nicht so stark von der Mitarbeit höherer Gehirnregion abhängig."

Erste Zweifel am Modell der späten Zusammenführung der Sinne kamen in den 1990ern auf, als der US-Neurobiologe Eric I. Knudsen eine kleine unscheinbare Region im Mittelhirn untersuchte, den sogenannten Colliculus inferior (CI). Der CI ist eine Schaltstation zwischen dem Innenohr und den Hörzentren der Hirnrinde, hat also vor allem mit der Verarbeitung von Schallwellen zu tun.

Aber offenbar nicht nur. Knudsen fand nämlich heraus, dass junge Eulen ihre Neuronenverbindungen neu ausrichten, sofern man ihr Sichtfeld durch Prismen verändert. Auch im Colliculus inferior - womit bewiesen war, dass die kleine kugelförmige Region im Mittelhirn vielseitiger ist als gedacht.
Affenhirn und Bauchreden
Eines konnte Knudsen jedoch nicht beantworten: Gilt dieses Ergebnis auch für Säugetiere - oder ist das nur eine Eigenart von Eulen? Um das herauszufinden, führte Groh nun ähnliche Versuche mit drei Affen durch.

Das Ergebnis: Auch der Affen-CI fährt quasi zweigleisig. "64 Prozent aller Neuronen im Colliculus inferior können sowohl visuelle als auch auditorische Informationen verarbeiten", sagt Groh. "Das bedeutet, dass sie sehr früh kombiniert werden, lange bevor sich der 'denkende Teil' des Gehirns damit beschäftigt."

Die US-Forscherin vermutet, dass Bauchredner mit ihren "sprechenden" Puppen genau aus diesem Grund mitunter so verblüffende Effekte erzielen: "Die Augen verarbeiten die Mundbewegungen und die Ohren den Schall - dann kommt das Hirn ungehend zu dem Schluss, dass das eine die Ursache des anderen ist."

[science.ORF.at, 31.10.07]
->   Laboratory of Jennifer Groh
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01.01.2010