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"Israel-Lobby" am Pranger - und bald vor Gericht  
  Die Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt haben mit ihrem Buch gegen die Macht der "Israel-Lobby" weltweit provoziert. Nun wird der Streit auch vor einem US-Gericht ausgetragen.  
Pro und Contra
Politiker wie Ex-US-Präsident Jimmy Carter bestätigten den "einschüchternden" Einfluss der "Israel-Lobby" - so der Titel des Buches -, Wissenschaftler wie der Historiker Tony Judt sprachen von einer "längst überfälligen Debatte" über ihre Macht.

Kritiker wie Ex-US-Außenminister George Shultz stellten das Buch allerdings in den Zusammenhang des Jahrhunderte alten "Katalogs der Lügen" und "Verschwörungstheorien" über Juden.

Wissenschaftler von links bis rechts - wie Noam Chomsky und Eliot Cohen - warfen den Autoren fragwürdige Quellenauswahl und Einseitigkeit vor. Mearsheimer und Walt bestätigten trotz des wissenschaftlichen Anspruchs lediglich gängige anti-semitische Vorurteile über die Macht der Juden in der Welt - ohne dies wirklich belegen zu können.
Vor Gericht: Schmuggel von Geheimunterlagen
Nun beschäftigt der Streit auch ein US-Gericht: sogar US-Außenministerin Condoleezza Rice und US-Sicherheitsberater Stephen Hadley sollen aussagen. Dies beschloss ein Gericht in Alexandria (Virginia).

Angeklagt sind die Israel-Lobbyisten Keith Weissman und Steven Rosen, die der Spionage beschuldigt werden. Sie haben laut Staatsanwalt geheime US-Papiere über Terrorismus und den Iran nach Tel Aviv geschickt.

Rice und Hadley sollen nun bestätigen, dass die US-Regierung Israel-Lobbyisten in ihre Nahost-Politik eng eingebunden hat und an der Weitergabe der Papiere nichts Ungewöhnliches sei.
US- und Israelinteressen ident?
Weissmann und Rosen waren Mitarbeiter des "American Israel Public Affairs Committee" (AIPAC), das auch in dem Buch "Die Israel-Lobby" im Focus steht. AIPAC sei es gelungen, so Walt und Mearsheimer, die US-Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass amerikanische und israelische Interessen identisch seien.

US-Präsident George W. Bush habe nur wegen des massiven Einflusses der Israel-Lobby und der Neokonservativen - unter denen es auffallend viele jüdische Intellektuelle gebe - den Irakkrieg begonnen. Der aber nütze vor allem Israel.

Selbst die Anschläge vom 11. September 2001 seien vor allem mit Amerikas Unterstützung für Israel zu erklären. Und auch die Anstrengungen, Iran von Atomwaffen abzuhalten, liege mehr in Israels Interesse; die USA könnten doch mit einer Atommacht Iran leben.
Andere Lobbys viel wichtiger
Die gewagten Thesen haben viele Empörung ausgelöst, auch wenn niemand den Einfluss der Israel-Lobby bestreitet - sehr wohl aber wird das beschriebene Ausmaß als maßlos übertrieben kritisiert. Harvard-Professor Alan Dershowitz nannte seine Kollegen "Lügner" und "Fanatiker".

Der Ex-Berater mehrerer US-Präsidenten, David Gergen, schrieb: "In vier Amtszeiten im Weißen Haus habe ich nicht eine einzige Entscheidung zu Gunsten Israels auf Kosten von US-Interessen erlebt". Die Lobbyisten der US-Waffenindustrie, der Evangelisten oder der Lehrergewerkschaften hätten eine ganze andere Macht im Lande.
Einzige Demokratie im Nahen Osten
Mearsheimer und Walt wird vorgeworfen, die US-Unterstützung Israels in den Geruch finsterer Machenschaften zu rücken, anstatt gemeinsame Interessen und Werte zu berücksichtigen. Schließlich sei Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten.

Der winzige Staat sei mehreren arabischen Angriffskriegen - und später Terroranschlägen - ausgesetzt gewesen. Bis heute halle der Ruf nach der "Vernichtung Israels" durch die islamische Welt. Fast alle US-Spitzenpolitiker sind sich einig, dass die Unterstützung Israels im ureigensten Interesse der USA ist.
Vorbild Nazi-Publikation?
"Wenn Anti-Semitismus eine zwanghafte, irrationale Feindseligkeit gegenüber Juden bedeutet, wenn sie der Illoyalität, der Subversion und des Verrats beschuldigt werden, ...geheimer Bündnisse und der Manipulation von Regierungen, wenn jemand systematisch Juden als unfair, hässlich und falsch darstellt, dann ist dieses Papier antisemitisch", schrieb Prof. Cohn.

Pikanterweise hat der deutsche Verlag mit einem provozierenden Umschlag den Vorwurf des Antisemitismus noch gefördert: Die US-Flagge wird da entfremdet und statt der Sterne für die US-Bundesstaaten sind Davidsterne zu sehen. Ähnliches hätten Nazi-Publikationen gemacht, bemerkte der Kommentator der US-Wochenzeitung "Jewish Press" bitter.

Laszlo Trankovits, dpa, 5.11.07
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Das Buch
John J. Mearsheimer/Stephen M. Walt: Die Israel-Lobby, Campus Verlag, Frankfurt/Main
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->   Die Israel-Lobby (oe1.ORF.at)
->   Rezensionen des Buches (Perlentaucher)
 
 
 
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01.01.2010