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Linguistik in der Südkurve  
  Manfred Glauninger ist Dialektforscher. Im Vorfeld der Euro 2008 hat sich der Germanist von der Akademie der Wissenschaften speziell des Fußballerslangs angenommen. Ein Gespräch über Gurkerln, Schupferln und Knödelreiter.  
science.ORF.at: Wie kamen sie als Germanist zum Thema Fußballersprache?

Manfred Glauninger: Slang und Fachsprachen sind wesentliche Teile der deutschen Sprache. Die Fußballersprache ist unter anderem deswegen interessant, weil sie beides ist - ein Slang und eine Fachsprache. Ein weiterer Grund: Nachdem die Fußball-EM ins Haus steht, habe ich mich mit dem Thema nun intensiver beschäftigt. Wenn man sich für die Wechselwirkung von Gesellschaft und Sprache interessiert, liegt das Thema gewissermaßen in der Luft.

Wie sieht ihre Arbeitsweise aus? Betreiben Sie empirische Forschung in der Südkurve?

Auch. Man kann das Thema sicher nur bearbeiten, wenn man sich für Fußball interessiert. Das ist bei mir der Fall. Ich sammle schon seit längerer Zeit bestimmte Erscheinungen der Fußballsprache sowie der medialen Berichterstattung und archiviere das in einer privaten Datenbank, habe also durchaus empirisches Material zur Hand.

Wobei ich mich besonders auf den Fußballerslang konzentriere, d.h. die Fach- und Gruppensprache der aktiven Spieler und Fans. Sprachwissenschaftlich interessant ist etwa, dass da sehr viel Dialektales drinnen ist. Dialekte sind auch das Thema, mit dem ich mich hauptberuflich in der Forschung beschäftige.
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Manfred Glauninger hält im Rahmen der Reihe "University Meets Public" einen Vortrag mit dem Titel "Wenn Zangler den Ballesterern ein Gurkerl geben". Daten: 13.11.07, 19 Uhr (Urania) sowie 10.12.07, 18 Uhr (VHS Brigittenau).
->   University meets Public
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Stichwort Datenbank: Können Sie einige dialektale Perlen nennen?

Grundsätzlich findet sich im Fußballerslang aus historischen Gründen sehr viel Wienerisches. Man muss bedenken, dass die österreichische Fußballmeisterschaft bis in die 1930er Jahre eigentlich eine Wiener Meisterschaft war.

Mit der Verbreitung des Fußballs hat sich dann die Sprechweise im Land verbreitet und wurde auch in Westösterreich übernommen. Das Wienerische ist jedenfalls eine sehr bildhafte, metaphorische Sprechweise. Man sagt also etwa das Gurkerl geben für: den Ball durch die Beine spielen.

Woher kommt das Gurkerl?

Das Gurkerl ist ein Ausdruck aus dem allgemeinen Slang. Wenn man jemanden bloßstellt, dann "gibt" man ihm eine "Gurke", man gibt ihm sozusagen Saures. Das dürfte in diesem Fall die Wortherkunft sein.
Auch andere Begriffe wie Ferserl, Schupferl, Scheiberl enden auf -erl. Kommt die Verkleinerungsform im österreichischen Fußballerjargon recht häufig vor?

Da haben Sie einen zentralen Punkt getroffen. Das ist nämlich etwas typisch Österreichisches, genauer: etwas speziell Ostösterreichisches und etwas ganz spezifisch Wienerisches. Die Verwendung von Verkleinerungsformen ist im Wienerischen sowohl quantitativ als auch qualitativ extrem ausgeprägt. Und das findet sich auch im österreichischen Fußballerslang. Natürlich gibt es in Deutschland und der Schweiz auch einen Fußballerslang, nur eben mit den lexikalischen Elementen der jeweiligen Region. Das -erl ist auf jeden Fall etwas spezifisch Ostösterreichisches, der Bankerldrucker ("Reservespieler") ist ein weiteres Beispiel dafür.

Was fällt ihnen zum Begriff Knödelreiter ein?

Der Knödelreiter ist eine Art von Foul, eine körperliche Attacke, die es auch außerhalb des Fußballplatzes gibt, insofern ist das nicht so fußballspezifisch.

Ist der Knödelreiter nicht ein Tritt mit dem Knie ins Gesäß?

Ja. Obwohl, es muss nicht unbedingt das Gesäß sein, häufig ist es auch der Oberschenkel.
Der Spitz, also der Schuss mit Schuhspitze, wird bzw. wurde mitunter auch Jud' und Isaak genannt. Es liegt nahe anzunehmen, dass das mit der Geschichte des Antisemitismus zusammenhängt.

Es ist zu vermuten, dass hier zwei Aspekte eine Rolle spielen. Zum einen ist der Spitz bzw. Jud' keine besonders goutierte, weil unkontrollierte Schusstechnik. Und es ist wahrscheinlich, dass diese pejorative, sprich: abwertende Komponente ihre Wurzeln im Antisemitismus hat.
Es könnte aber auch sein, dass es sich dabei um eine Anspielung auf die in der Zwischenkriegszeit sehr aktive jüdische Sportvereinsszene handelt. Der SC Hakoah Wien war zum Beispiel 1925 österreichischer Fußballmeister.

Dann gibt es noch den sogenannten Eisenbahnerschmäh. Wie geht der?

Man müsste eigentlich selbst Fußballspielen, um den zu erklären. Es geht darum, dass Sie andeuten, über den Ball zu steigen, um ihn aber schlussendlich weiter am Fuß zu führen. Also eine Körpertäuschung. Vielleicht hat der Eisenbahner metaphorisch auch etwas mit der Weichenstellung zu tun, sie stellen den Gegenspieler quasi "aufs falsche Gleis", sprich: falsche Bein. So lassen Sie ihn "stehen" und "fahren" weiter.
Sie sehen, ich bin bei der Wortherkunft oft sehr vorsichtig, Etymologien sind in der Sprachwissenschaft generell ein heikles Thema. Man kann dabei oft falschen Deutungen auf den Leim gehen.
Zumal die bisher genannten Etymologien alle auf dem Wortsinn - und nicht auf der Form des Wortes aufbauen.

Fast durchgehend, das ist ein Merkmal dieses Slangs. Eine andere Tendenz in der Fußballersprache ist eine Koppelung von Abstraktion und Vereinfachung. Sie nehmen zum Beispiel ganz alltägliche Verben - gehen, kommen, stehen -, denen erst durch den Kontext die eigentliche Bedeutung zugewiesen wird. Also etwa: Die Mannschaft kommt über die linke Seite. Die Verteidigung steht gut.

Wobei ja auch Kommentatoren im Fernsehen so reden.

Ganz richtig, das ist nicht nur im Slang, sondern auch in der medialen Berichterstattung so - auch in Deutschland. Dadurch, dass man den entsprechenden Kontext vor Augen hat, kann man sich eben das sprachliche Auffüllen der Bedeutung ersparen. Fußballslang ist im Übrigen auch ein schönes Beispiel dafür, dass sich Fremdsprache und Dialekt sehr gut vertragen.
Beispiele für solche gemischte Wortbildungen sind der Goal-Esel (sprich wienerisch: goe-eesl) für "Tormann" oder der Out-Wachler ("Schiedsrichter-Assistent"), bei denen englische Wörter integriert wurden.
Wir haben uns bisher nur auf der Wortebene bewegt. Wie sieht's denn aus mit Phrasen? Etwa: Schiedsrichter zum Telefon! oder - neueren Datums - Schiri, wir wissen wo dein Auto steht!

Da gibt es natürlich legendäre Wendungen und Phrasen. Flach spielen, hoch gewinnen als taktische Anweisung, oder wenn Spieler zu wehleidig agieren, ruft man gerne: Geht's Schachspielen! Berühmt-berüchtigt ist auch die Aufforderung von Gustl Starek als GAK-Trainer: Wenn's net kicken könnt's, dann haut's eine!

Hier gibt es einiges, das sich später dann als Redewendung verfestigt hat. Was den Schiedsrichter betrifft, gibt es durchaus Derberes. Zum Beispiel Ausse mit der Sau! schön rhythmisch gesungen.
Gibt es Entwicklungstendenzen? Wird das berühmte Meidlinger "l" seltener?

Auf jeden Fall. Die schichtenspezifische Zuordnung der Fans ist heute nicht mehr so stark wie früher, der Fußball hat ja schon fast das Wetter als Gesprächsthema Nummer eins abgelöst. Und mindestens so wichtig ist: Nachdem viele junge Spieler aus dem Immigrantenmilieu stammen, wird sich das vermutlich auch auf der sprachlichen Ebene bemerkbar machen.

Zum Beispiel?

Auf lexikalischer Ebene ist mir noch nichts bekannt, aber es gibt Grammatisches, z. B. das Weglassen der Artikelwörter. Diese Jugendlichen sagen etwa: Ich fahr mit Bus. Dementsprechend hören sie auf Trainingsplätzen immer öfter Sätze wie Schieß mir Ball her! oder Her mit Ball! Ich könnte mir vorstellen, dass sich das verfestigt, weil es auch von Jugendlichen ohne Immigrationshintergrund als "interessant" übernommen wird.

Abschlussfrage: Welchem Verein halten Sie die Daumen?

Sturm Graz, ich bin nämlich Grazer.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at, 13.11.07
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Zur Person
Manfred Glauninger hat an der Universität Graz Deutsche Philologie, Philosophie sowie Geschichte studiert und im Jahr 2003 mit einer Dissertation abgeschlossen. Seit diesem Jahr forscht er am Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika der Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Universität Wien.
->   Manfred Glauninger - Uni Wien
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->   Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika
 
 
 
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01.01.2010