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Blutorgien: Burschen erfinden Ende eines Märchens  
  Bilder aus Kino und Fernsehen prägen massiv die Fantasie von Kinder und Jugendlichen, wie deutsche Wissenschaftler in einer Studie herausfanden: 13- und 14-jährige Schülerinnen und Schüler sollten zu einem klassischen Märchenanfang einen Schluss schreiben.  
Vor allem die Burschen fanden oft extrem gewalttätige Enden, an denen sich der Einfluss von Filmen und Computerspielen ablesen lässt. Sogar Verona Feldbusch brachte es zu einem Gastauftritt.

Auch die Mädchen ließen sich von den Medien inspirieren: Ihre Märchen endeten zwar meist gewaltfrei, dafür spiegelten sich aber Klischeebilder aus Seifenopern. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in Buchform erschienen.
"Die Königstochter im Zauberschloss"
Volker Ladenthin, Jessica Wülfing und Claudia Kamps von der Universität Bonn händigten den Schülerinnen und Schülern den Anfang des Märchens "Die Königstochter im Zauberschloss" aus. Darin wird eine Prinzessin von einer Hexe gefangen genommen. Die Jugendlichen sollten dazu einen Schluss schreiben.

Die Forscher führten ihr Experiment an reinen Mädchen- und Jungenschulen durch, sowohl an Gymnasien als auch an Realschulen (vergleich den österreichischen Hauptschulen). Insgesamt 125 Schülerinnen und 155 Schüler nahmen teil.
Verona Feldbusch als Killerin
Die Fantasien der Burschen und Mädchen unterschieden sich deutlich: So ließen Schüler ihre Märchen oft in wahren Blutorgien enden - und sprengten dabei ohne Hemmungen die Grenzen des Genres: Da trampelt King-Kong die Königstochter nieder, die Amerikaner werfen die Atombombe, und die Helden kämpfen mit Messern, Uzis oder Präzisionsgewehren. Sogar Verona Feldbusch hat einen Auftritt, in dem sie als Autofahrerin kaltblütig die Hauptfiguren des Märchens überfährt. In einem Ende wurde "der Hexe das Gehirn rausgeblasen".

Die Schülerinnen kamen bei der Befreiung der Prinzessin dagegen meist ohne Gewalt aus. Stattdessen nahmen sie gerne Anleihen an romantischen "Daily Soaps".
Kraft von Medienbildern
"Unsere Studie kann und will nicht nach den Ursachen von konkreten Gewaltverbrechen jugendlicher Täter fragen", betont die Bonner Medienwissenschaftlerin Jessica Wülfing. Das Experiment zeige jedoch immerhin, wie sehr Medienbilder die Vorstellungswelt Heranwachsender prägen.

"Das ist eine gefährliche Entwicklung", warnt der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin: "In der Jugend lernt man das Vokabular, mit dem man die Welt begreift. Wenn darin bestimmte Vokabeln fehlen - Mitgefühl, Liebe, aber auch Mitleid oder Schuld -, führt das zu Defiziten in der Wahrnehmung und in letzter Konsequenz auch im eigenen Verhalten."
Positive Alternativbilder nötig
Ladenthin warnt aber vor Kurzschlüssen: Die Burschen mit den brutalsten Märchen seien keine potenziellen Gewalttäter. "Zumal nicht auszuschließen ist, dass die Schüler sich durch eine besonders blutige Geschichte vor ihren Klassenkameraden profilieren wollten."

Gefährlich werde es aber dann, wenn positive Alternativbilder fehlten. Aufgabe der Schule sei es daher, derartige Gegenbilder anzubieten. "Es gibt genügend Literatur, in denen die Charaktere differenzierte Probleme haben und sie auch differenziert lösen. Lehrer können aber derartige Texte aber nicht im husch-husch-Verfahren behandeln - sie brauchen Zeit dafür", so Ladenthin.

[science.ORF.at/IDW, 14.11.07]
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Das Buch zur Studie
Gewalt der Medien. Studien zu Gewalt an Schulen. Empirische Hinweise und bildungstheoretische Konzepte. Volker Ladenthin und Jessica von Wülfing unter Mitarbeit von Gabriella Schmitz. Ergon Verlag Würzburg.
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01.01.2010