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Die Ökonomie des Versprechens
Forschungsalltag im Wandel
 
  Wachsender Wettbewerb um Forschungsmittel, verstärkter Ruf nach Anwendbarkeit der Resultate, aber auch mehr Pochen auf ethische Aspekte: Die Anforderungen an die Forschung haben sich in den vergangenen Jahren zum Teil drastisch geändert. Am Beispiel der Lebenswissenschaften untersucht die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt von der Universität Wien diese geänderten Rahmenbedingungen in einem aktuellen Projekt.  
Mit Hilfe von teilnehmender Beobachtung in Forschungsgruppen und Labors, Auswertungen von Forscherbiographien sowie Interviews mit Wissenschaftlern aus der Genetik versucht sie in den kommenden drei Jahren, die "neue Forschungswelt" genauer zu beschreiben.

Zu Projektbeginn erläutert sie im science.ORF.at-Interview die Zielsetzungen und fasst die bereits beobachteten Änderungen zusammen.
science.ORF.at: Was steht im Mittelpunkt Ihres Forschungsprojekts?

Ulrike Felt: Wir schauen uns an, wie sich im universitären Bereich die Schnittstellen von Wissenschaft und Gesellschaft geändert haben, die Veränderungen des Arbeitsalltags für Wissenschaftler, und auch, was den Studierenden an ethischen und sozialen Fragen nahe gebracht wird, wie etwa Ethikkurse und wirtschaftliche Grundkurse.

Uns interessiert, welche Werte und Vorstellungen den Studierenden dort weitergegeben werden, was Lebenswissenschaft heutzutage eigentlich ist. Weiter beobachten wir, wie sich das wissenschaftliche Feld vernetzt, das heißt, wer mit wem zusammenarbeitet und wie Zitationsnetzwerke funktionieren.
Was hat sich für die Forscher in den vergangenen Jahren verändert?

Wissenschaftliche Karrieren sind heute wesentlich fragmentierter. Man muss zu viel mehr Mobilität bereit sein. Wissenschaft betreiben heißt heute, sich in einen Arbeitsmarkt zu begeben, was vor 20 Jahren durchaus nicht so gesehen wurde. Es reicht auch nicht mehr, einfach ein guter Wissenschaftler zu sein. Forschen heißt mittlerweile auch, Manager zu sein.
Und die Änderungen im System der Lebenswissenschaften?

Die Politik nimmt heute einen größeren Einfluss, besonders in der Frage, welche Art von Forschung gefördert wird und welche eventuell weniger. Es taucht auch viel früher die Frage des Nutzens im wissenschaftlichen Arbeitsprozess auf. Auch im universitären Bereich wird schneller über die Anwendbarkeit von Wissen nachgedacht, über Patente beispielsweise.

Die Diskussionen um gesellschaftliche Relevanz verdichten sich. Man muss mehr kommunizieren, weil sonst die Leute Forschung ablehnen. Meine Hypothese ist, dass Veränderungen in kleinen Schritten vor sich gehen. Fragt man Wissenschaftler, meinen sie oft, sie seien ohnehin noch völlig frei in ihrer Arbeit, aber ich denke, solche Angleichungen an gesellschaftliche Rahmenbedingungen laufen schleichend ab. Besonders stark sicher in der jüngeren Generation.

Da stellt sich dann auch die Frage, wer heute in den wissenschaftlichen Bereich möchte und wer nicht. In den Niederlanden sind in manchen Bereichen der Physik zum Beispiel die Studentenzahlen so drastisch zurückgegangen, dass man überlegen musste, die Lehrgänge zu schließen.
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Mit insgesamt rund einer Million Euro fördert das österreichische Genomforschungsprogramm GEN-AU seit Kurzem drei neue Projekte. Eines davon heißt "Gelebte Veränderungen in den Lebenswissenschaften" und wird von Ulrike Felt betreut. In den nächsten drei Jahren untersucht es die geänderten Rahmenbedingungen der Lebenswissenschaften.
->   Gen-AU
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Wird Forschung heute von wirtschaftlichem Denken dominiert?

Es ist eine gewisse Zweckrationalität vorhanden. Ich nenne das eine Ökonomie des Versprechens. Ich muss als Wissenschaftler lernen zu versprechen, dass das, was ich weiß, in Zukunft zu etwas Nutzbringendem führen wird. Wenn ich mir Projektanträge durchlese, sieht man, dass wir es schon ganz gut gelernt haben, diese Form von Versprechen zu formulieren und Szenarien zu entwickeln, wo dieses Wissen zur Anwendung kommen wird.

Gerade in den Lebenswissenschaften beginnt man verstärkt damit, solche Szenarien zu kommunizieren - wie unser Leben aussehen wird, was es heißt, krank oder gesund zu sein. Gleichzeitig kann das die Wissenschaft natürlich bis zu einem gewissen Grad schwächen.
Bleibt gesellschaftlicher Einfluss auf Wissenschaft auf finanzielle Mittel beschränkt?

Das ist sicherlich der sichtbarste Faktor. Aber eine Gesellschaft hat auch implizite Wertvorstellungen, die auch Wissenschaftler mit sich herumtragen. Wissenschaft ist ja kein abgeschlossener Raum.

Die Diskussion um die Stammzellenforschung zeigt sehr schön, dass es durchaus sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt, wohin die Wissenschaft weitergehen sollte - das läuft nicht nur über ökonomische Gewinnorientierung.
Kommt dabei die Grundlagenforschung weiter unter Rechtfertigungsdruck?

Das glaube ich schon, aber auch hier entwickeln sich Strategien, viel früher zu projizieren, wo Grundlagenforschung vielleicht hinführen könnte. Die Schwierigkeit dabei ist, dass man das oft am Anfang einfach nicht klar sagen kann. Ich erinnere nur daran, was wir in den 70er und 80er Jahren von der Gentechnik erwartet haben. Davon hat sich nur ein minimaler Bruchteil wirklich umsetzen lassen.
Spielen ethische Richtlinien heutzutage eine größere Rolle?

Wir haben gelernt, formalistischer zu sein. Es schießen zwar überall Ethikkommissionen aus dem Boden, aber die Frage ist, ob wir auch mehr über Ethik reflektieren. Es gibt zwar viel mehr Anforderungen, zum Beispiel ob und wann Tierversuche erlaubt sind, doch dieser Prozess ist gleichzeitig auch routinierter geworden.
Wie lässt sich gesellschaftliche Relevanz feststellen und wer genau setzt solche Maßstäbe?

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt immer ganz unterschiedliche Foren, die Maßstäbe setzen. Politische Räume, Schnittstellen wie Forschungsförderungseinrichtungen - in denen ja meist Wissenschaftler selbst sitzen - oder Schnittstellen zur Wirtschaft und die EU, die Schwerpunkte in der Forschung definiert: Nanotechnik und Energieforschung beispielsweise.

Wir haben natürlich auch noch die großen Erzählungen. Gesellschaftlicher Fortschritt durch Technik und Kompetitivität etwa ist eine europäische Erzählung. Es herrscht eine naturwissenschaftlich-technologisierte Vorstellung von Gesellschaft vor, wenn man sich etwa die Lissabon-Agenda durchliest.
Haben die Geisteswissenschaften so einen schwereren Stand, weil sich ihre gesellschaftliche Anwendbarkeit oft schwieriger kommunizieren lässt?

Wir erleben gerade den Druck auf die Sozial- und Geisteswissenschaften, methodischer zu arbeiten und sich stärker mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Die Studenten werden viel stärker auf Methoden als Technik eingeschworen, die ja auch so etwas wie Glaubwürdigkeit vermitteln. Beispielsweise versuchen wir jetzt ein Methodenzentrum in den Sozialwissenschaften an der Universität Wien einzurichten. Es deutet sich hier eventuell ein Paradigmenwechsel an. Aber Veränderungen gehen ja immer langsam vor sich.

Was sich in jedem Fall verändern wird, sind die Entitäten in denen wir denken. Wenn wir forschungsorientiert arbeiten, denken wir immer in Entitäten, die man in einer bestimmten Zeit erforschen kann, und dass man mit Ressourcen rechnen muss. Das haben die Naturwissenschaften schon länger geübt. Es ist eine ganz klare Vorstellung da, dass die Normen von den Naturwissenschaften gesetzt werden.
Wie sieht es für Frauen in der Forschung aus?

Es findet ein Ausfilterungsprozess statt, denn wir haben sehr viele Frauen, die das Studium und das Doktorat machen, und dann verschwinden sie irgendwann. Das ist ein Problem, dass auch die derzeitigen Förderstrukturen noch nicht richtig verändert haben.

Geschlechterausschluss ist ein Resultat von hunderten Jahren männerdominierter Forschungsgeschichte. Das ist nicht immer explizit, sondern läuft mitunter unterschwellig ab. Bei manchen Männern herrschen Vorstellungen vor, wo Frauen in der Forschung hingehören und wo nicht. Es gibt einfach noch mehr und stabilere Männernetzwerke in der Wissenschaft. Den großen, plötzlichen Umschwung sehe ich derzeit noch nicht.

Tobias Körtner, 20.11.07
->   Ulrike Felt, Uni Wien
 
 
 
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01.01.2010