News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
"Jungbrunnen" macht aus Haut embryonale Stammzellen  
  Ian Wilmut, der Schöpfer des Klonschafs "Dolly", hat am Wochenende überraschend einen Methodenwechsel seiner Forschung angekündigt. In Zukunft will er Stammzellen nicht mehr aus geklonten menschlichen Embryonen gewinnen. Der Grund für seinen Sinneswandel wurde nun veröffentlicht: Gleich zwei Forschergruppen ist es gelungen, die ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen zu ersetzen.  
Sie verwandelten menschliche Hautzellen mit Hilfe von nur vier chemischen Zutaten in Zellen, die in ihren Eigenschaften den embryonalen Stammzellen stark ähnelten.

Ersten Versuchen zufolge lassen sich die umprogrammierten Zellen im Labor problemlos zu Herz- oder Nervenzellen weiterentwickeln, berichtet ein Team um Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto.
...
Die Studie "Induction of Pluripotent Stem Cells from Adult Human Fibroblasts by Defined Factors" ist als Online-Vorabpublikation im Fachjournal "Cell" (DOI: 10.1016/j.cell.2007.11.019; 20.11.07) erschienen.
->   Die Studie in "Cell" (PDF-Datei)
...
Große Hoffnungen in der Medizin
Bild: Jeff Miller/University of Wisconsin-Madison
Menschliche embryonale Stammzellen
unter dem Mikroskop
Kurz nach einer Befruchtung besitzen die Zellen des entstehenden Embryos die Fähigkeit, sich unendlich zu teilen und in jedes spezialisierte Gewebe des Körpers zu entwickeln. Experten bezeichnen die Zellen als pluripotent. Im Gegensatz zu totipotenten Zellen besitzen diese aber nicht die Fähigkeit, sich zu einem gesamten Organismus zu entwickeln.

In der Medizin möchte man die Eigenschaften pluripotenter Zellen nutzen, um kranke Zellen oder Gewebe zu ersetzen, etwa das zerstörte Rückenmark bei Querschnittgelähmten oder die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse bei Typ-1-Diabetikern.

Da der Embryo zur Gewinnung der Stammzellen zerstört werden muss, ist diese Methode allerdings umstritten.
Zellverjüngung statt geklonte Embryonen
Ein Ausweg aus dem Konflikt bestünde darin, Körperzellen Erwachsener so umzuprogrammieren, dass sie wieder die Eigenschaften der embryonalen Stammzellen annehmen. Und genau das scheint das Team um Yamanaka nun geschafft zu haben.

Bei Mäusen war ihnen der Vorgang bereits vor einiger Zeit gelungen, nun haben sie ihre Experimente auch mit menschlichen Zellen erfolgreich durchgeführt.

Die umgewandelten Hautzellen unterschieden sich hinsichtlich ihres Aussehens und ihrer Wachstumseigenschaften nicht von gewöhnlichen Stammzellen, schreiben die Wissenschaftler. Die Aktivität der Gene sei ähnlich, wenn auch nicht identisch.
->   Pseudo-Stammzellen aus Mäusehaut gewonnen (6.6.07)
Entwicklung etwa zu Herzmuskelzellen
Im Labor entwickelten sich die Zellen zu Vertretern aller drei Keimblätter weiter - jenen Anlagen, aus denen während der Embryonalentwicklung letztlich alle Gewebe und Organe hervorgehen. Außerdem ließen sie sich kontrolliert in andere Zelltypen verwandeln.

Durch die Zugabe bestimmter Chemikalien begannen sie zum Beispiel, in der Kulturschale rhythmisch zu zucken - sie hatten sich zu Herzmuskelzellen entwickelt. In weiteren Versuchen programmierten die Wissenschaftler auch andere Körperzellen um.
...
Zweite Forschergruppe mit ähnlichen Resultaten
Auch eine Forschergruppe um Junying Yu von der Universität von Wisconsin-Madison berichtete am Dienstag von einer neuen Quelle der Stammzellforschung. Während Yamanaka reprogrammierte Hautzellen aus dem Gesicht einer 36-jährigen Frau benutzte, waren es bei Yu Vorhautzellen eines Neugeborenen.

Die Studie "Induced Pluripotent Stem Cell Lines Derived from Human Somatic Cells" ist im Online-Dienst von "Science" erschienen (doi: 10.1126/science.1151526; 20.11.07).
->   Abstract der Studie (Science)
...
Bald körpereigene Ersatzzellen?
Die Gewinnung pluripotenter Zellen aus Körperzellen ist nicht nur ethisch konfliktfrei, sondern hat zudem den Vorteil, dass theoretisch jeder Patient mit körpereigenen Ersatzzellen versorgt werden kann, schreiben die Forscher.

Abstoßungsprobleme bei Zell- oder Gewebetransplantationen würden dadurch umgangen. Solange die Sicherheit der Anwendung nicht nachgewiesen ist, sei es jedoch zu früh, von einem Ersatz für die embryonalen Stammzellen zu sprechen.
Schöpfer von Klonschaf "Dolly" ist begeistert
Von den Forschungsergebnissen der japanischen Forscher begeistert zeigte sich bereits am Wochenende Ian Wilmut, der Schöpfer des Klonschafs "Dolly". Er möchte die Methode von Yamanaka anwenden und somit auf das Klonen menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen verzichten, berichtete die britische Zeitung "Daily Telegraph" am Samstag.

Das neue Konzept werde leichter von der Gesellschaft akzeptiert, sagte Wilmut dem Blatt. Außerdem sei es "extrem aufregend und erstaunlich".

Yamanaka und sein Team möchten als Nächstes weitere Zelltypen aus den neu entwickelten Stammzellen differenzieren und klären, wie sie sich unter Umständen für neue Therapien in der Medizin einsetzen lassen können.
Lehrbeispiel für Forscher- und Journalwettbewerb
Die beiden Arbeiten, die von verschiedenen Experten als "Durchbruch" in der Stammzellforschung bewertet werden, sind auch ein Lehrbeispiel für den Wettbewerb von Forschergruppen und den Fachzeitschriften, in denen sie publizieren.

Damit das Journal "Cell" nicht alleine über die neue Methode der Stammzellgewinnung berichten konnte, zog "Science" die Veröffentlichung seines Artikels um zwei Tage vor - und kann somit an der weltweiten Aufmerksamkeit für das Thema teilhaben.

[science.ORF.at/dpa/AP, 20.11.07]
->   Shinya Yamanaka, Universität Kyoto
->   Thomson Lab, Universität Wisconsin-Madison
->   Dolly creator Prof Ian Wilmut shuns cloning ("Daily Telegraph")
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Mäusezellen werden zu embryonalen Stammzellen (25.8.06)
->   Ethisch unbedenkliche Stammzellenquelle vorgestellt (29.6.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010