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Mit vier Fragen an die Grenzen des Wissens  
  Wissenschaften schaffen vor allem eines: Wissen. Mit seinem immer größeren Gegenstück beschäftigen sich die 42 Einträge im vergnüglich-subtilen "Lexikon des Unwissens" von Kathrin Passig und Aleks Scholz.  
Im Interview mit dem Wissenschaftsmagazin "heureka!" erzählen sie, wie sie die Wissenslücken aufspürten und warum uns vier "Warum-Fragen" bereits an die Grenzen des Wissens der Menschheit bringen.
heureka!: Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, ein Lexikon ausgerechnet über das Unwissen zu schreiben?

Kathrin Passig: Das Unwissen ist bisher zu kurz gekommen auf der Welt. Man widmet ihm hin und wieder mal eine Fußnote oder einen Zeitungsartikel, aber viel zu selten auch mal ein ganzes Buch.

Die Idee hatte ich vor einigen Jahren, ich glaube nach der Lektüre von "Pest, Not und schwere Plagen" von Manfred Vasold, einem Buch, in dem zu meiner Überraschung steht, dass der Pesterreger gar nicht so dingfest gemacht ist, wie ich dachte, und dass man überhaupt gar nicht so genau weiß, was die Pest für eine Krankheit war.

Nach der Lektüre unseres Lexikons steht man nicht, wie bei den meisten Sachbüchern, mit der Illusion da, etwas zu wissen, sondern verfügt stattdessen über solides, zuverlässiges Unwissen.
Wie kam es zur Auswahl der 42 Begriffe, darunter "Stern von Bethlehem" und "Trinkgeld"?

Passig: Wir hatten eine lange Liste möglicher Themen, aus der wir nach und nach das herausgegriffen haben, was uns gerade am interessantesten erschien. Irgendwann war dann das Buch voll und der Abgabetermin da.
Hat es Sie überrascht, wie wenig die Wissenschaft über scheinbar einfachste Dinge wie das Schlafen, die Erkältung oder das Riechen weiß?

Aleks Scholz: Es hätte mich enttäuscht, wenn sich bei der Recherche herausgestellt hätte, dass es solche scheinbar einfachen, dann aber doch ungeklärten Dinge nicht gibt, schon deshalb, weil wir dann das ganze Buch mit langweiligem Zeug wie Quarks und Neutronensternen hätten vollschreiben müssen. Heute, also nach der Recherche, kommt es mir eher überraschend vor, wie viel man über so unglaublich komplexe Dinge wie das Riechen oder den Schlaf doch schon herausgefunden hat.
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Die Fragen stellte Klaus Taschwer vom Wissenschaftsmagazin "heureka!". Die komplette Version des Interviews findet sich in:
->   heureka!
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Ihr Buch beginnt mit einem Beitrag, der eher zufällig ausgewählt war, nämlich den über den Aal. Könnte man daraus schließen, dass sich Wissenslücken bei so gut wie allem auftun, wenn man nur entsprechend nachbohrt?

Scholz: Es gibt in naturwissenschaftlichen Studiengängen eine simple Prüfungstechnik: Jedes Mal, wenn der Prüfling eine richtige Antwort gibt, fragt man ihn einfach: "Warum?" Mit zwei, drei gezielten Warum-Fragen ist man in der Regel am Rande des Wissens des Studenten, und noch ein einziges Warum mehr bringt einen an den Rande des Wissens der Menschheit. Die Antwort ist also: Ja, wer ein wenig hartnäckig ist, findet überall Unwissen.
Wie ging es Ihnen damit, sich in die zum Teil doch recht komplizierte Materie einzuarbeiten und der Forschung nachzuweisen, dass sie etwas nicht weiß?

Passig: Wir weisen der Forschung ja gar nicht nach, dass sie etwas nicht weiß, sondern versuchen nur, das in der Forschung gewonnene Unwissen auch Nichtwissenschaftlern zu vermitteln. Das ist manchmal aus der Außenperspektive leichter, als wenn man mittendrin steckt. Auch individuelle Unwissenheit kann ja - in seltenen Fällen - ganz hilfreich sein. Und um zu verhindern, dass wir aus lauter individueller Unwissenheit nur Unfug ins Buch schreiben, haben wir alle Beiträge, zu denen wir deutschsprachige Experten finden konnten, gegenlesen lassen.

Scholz: Wissenschaftler zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie die richtigen Fragen stellen - also genau wissen, wo das Unwissen steckt. Dabei ist es ein wenig störend, dass sie, sobald sie Unwissen gefunden haben, sofort mit einer Hypothese oder meist gleich mehreren Hypothesen ankommen, um es zu erklären, und nicht erst mal mehrere Jahre Publikationen schreiben, die "Problem XXX weiterhin ein Rätsel" heißen. Das macht es uns bei der Recherche etwas schwer, das Unwissen zu finden, aber, hey, für Hypothesen werden die Wissenschaftler schließlich bezahlt.
Von welchem der 42 ungelösten Probleme würden Sie sich selbst am dringendsten eine Klärung erhoffen?

Scholz: Es sollten natürlich alle gleichzeitig geklärt werden, und zwar so schnell wie möglich. Man mag einwenden, dass es wichtiger wäre, zunächst mal das P/NP-Problem der Mathematik zu lösen, weil das wirtschaftlich wichtige Rechenvorgänge radikal vereinfachen würde.

Aber Durchbrüche kommen in der Wissenschaft oft unvermutet, eventuell ist die Katzenschnurrforschung einer großen Sache auf der Spur, mit der man schon bald zum Mars fliegen kann, wer weiß.

Außerdem ist es unglaublich deprimierend, dass wir noch nicht mal wissen, wie sich Ratten an den Schwänzen zusammenknoten. Die Außerirdischen werden uns auslachen, wenn sie von solchen peinlichen Wissenslücken erfahren.
Sie haben in Ihrem Buch, das sich prächtig verkauft, die E-Mail-Adresse korrektur@lexikondesunwissens.de für Fehlermeldungen angegeben. Wie viel Leserpost ist denn bislang eingegangen?

Passig: Gar nicht so viel, wie ich in manchen Albträumen vor dem Erscheinen des Buchs dachte. Bisher haben uns genau zehn Mails mit Korrekturen erreicht.
Kamen die eher von Wissenschaftlern oder von "Amateuren"?

Scholz: Von einer Ausnahme abgesehen stammen alle bisherigen Korrekturen von Amateuren, jedenfalls haben sich die Kommentatoren nicht als Fachleute zu erkennen gegeben. Ich vermute jetzt mal einfach, es liegt daran, dass man kein Profi sein muss, um zu bemerken, dass Wasser bei vier Grad Celsius nicht die geringste, sondern die höchste Dichte hat, unser peinlichster Fehler bisher.

Klaus Taschwer, heureka, 21.11.07
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Autorin und Autor des Buchs
Kathrin Passig (37) ist Geschäftsführerin der "Zentralen Intelligenz Agentur" in Berlin und gewann 2006 den Bachmann-Preis. Aleks Scholz (32) ist Astronom und forscht an der Universität St. Andrews in Schottland.
->   Zentrale Intelligenz Agentur
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->   Lexikon des Unwissens (oe1.ORF.at)
 
 
 
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01.01.2010