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Plaudern mit Menschen und Menschenaffen  
  Wie kommt man mit Affen ins Gespräch? Was ist das eigentlich: Sprache? Das sind zwei Themen, die letztes Wochenende beim Heinz-von-Foerster-Kongress in Wien diskutiert wurden. Ein Symposionsbericht.  
Yerkish sprechen
Dass viele Tierarten eine eigene Sprache besitzen, ist unbestritten. Offen war hingegen lange die Frage, ob etwa Menschenaffen imstande sind, eine Art Fremdsprache zu erlernen, die es ihnen ermöglicht, sich mit uns Menschen auszutauschen. Man ging lange davon aus, dass zwischen Homo sapiens und dem restlichen Tierreich ein tiefer geistiger Graben besteht, der sich nicht zuletzt durch den Sprachgebrauch manifestiert.

Diese Ansicht äußerte schon Aristoteles, der in der Topik schrieb: "Es ist eine Eigentümlichkeit des Menschen, dass er der Grammatik fähig ist."

Tierexperimente zeigen indes, dass der große Grieche in dieser Sache zu vorschnell urteilte. Ein Beispiel dafür ist die Symbolsprache "Yerkish", die vom Psychologen Ernst von Glasersfeld für die Kommunikation mit Affen entwickelt wurde.

Yerkish besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, nämlich aus 256 grafischen Symbolen für Dinge, Handlungen und abstrakte Konzepte sowie aus Regeln, die bestimmen, wie diese Symbole zu korrekten Sätzen verbunden werden.
"Lana - drink - this - out of room"
Das Forscherehepaar Sue und Duane Rumbaugh trainierte in den 70er Jahren das Schimpansenweibchen Lana mit der Zeichensprache Yerkish - offenbar mit Erfolg: Lana beherrschte nicht nur einen Großteil des Vokabulars, sie bildete auch völlig neuartige Satzkombinationen.

Marco Bettoni, Forschungsdirektor der Schweizer Fernuniversität, erzählte auf dem Heinz-von-Foerster-Kongress in Wien einige Anekdoten über die Versuche mit Lana. Etwa jene, in der ihr Trainer Tim sowie ein Glas Cola eine wichtige Rolle spielen:

"Tim war der Student, der Forscher, der mit der Schimpansin Lana zusammenarbeitete, er trat in den gegenüberliegenden, durch ein Fenster einsehbaren Raum und hatte ein Glas Cola in der Hand. Als Lana Tim sah, schrieb sie auf der Tastatur: '?' - das kam immer vor dem Anfang des Satzes - und dann: 'Lana - drink - this - out of room.'

Auf Deutsch also: 'Lana - trinken - dieses - außerhalb des Raumes.' Tim antwortete 'Yes' und öffnete die Türe und sie teilten so diese Cola. Das war aber das erste Mal, dass Lana einen solchen Austausch initiiert hatte. Also wollte der Forscher später überprüfen, ob das nicht ein Zufall gewesen war."
Affe besteht Grammatik-Test
Die Überprüfung fiel positiv aus: Das Schimpansenweibchen hatte nicht nur eine Handlung benannt und sie mit einer Aufforderung an ihr Gegenüber verknüpft, es hatte auch das Demonstrativpronomen "dieses" als Ersatz für das Symbol "Cola" verwendet.

Ein Hinweis darauf, dass sie tatsächlich die Bedeutungen der Symbole verstanden hatte. Bis dahin hatte man gemeint, dass Menschenaffen nur Emotionen, Warnungen und dergleichen ausdrücken könnten, nicht aber abstraktere Konzepte.

Dass man die Affen in dieser Hinsicht unterschätzt hatte, zeigt auch ein anderes Beispiel. Das Schimpanseweibchen Washoe hatte in der 60er Jahren die amerikanische Zeichensprache gelernt, Sätze wie "You - me - go out - hurry" oder "You - tickle -me" gebildet und sogar echte Dialoge mit ihrem Trainer geführt.

Etwa den:
Washoe: Out, out!
Trainer: Who out?
Washoe: You
Trainer: Who more?
Washoe: Me
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Sendungshinweis
Dem Heinz-von-Foerster-Kongress widmet sich auch die Sendung "Dimensionen - Welt der Wissenschaft". Heute auf Ö1 um 19.05 Uhr.
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Sprache: Henne, Ei und Hahn
Neben Heinz von Glasersfeld hat sich auch ein anderer wichtiger Vertreter des Konstruktivismus, der Biophysiker Heinz von Foerster, mit dem Thema auseinander gesetzt. Von Foerster, der bis in die 70er Jahre am "Biological Computer Laboratory" in Illinois Pionierarbeit in Sachen Kybernetik geleistet hatte, entwickelte ab den 70er Jahren eine Sprachtheorie, die ganz anders war, als die bisherigen Versuche der Linguisten.

Etwa in dem Aufsatz "Computing in the sematic domain", wie der Sozialwissenschaftler Karl H. Müller berichtet:
"Was dort entwickelt wird, ist etwas, was auch heute noch hochinteressant ist, nämlich ein Sprachmodell, das mit neuen Relationen operiert. In diesem einen Artikel entwickelt von Foerster das Modell, dass Sprache eigentlich so funktioniert, wie das mit einer Henne und dem Ei - und einer dritten Einheit, dem Hahn. Und diese drei bilden eine triadische Einheit, sie erzeugen sich wechselseitig."

Anders ausgedrückt: So wie beim altehrwürdigen Problem von Henne und Ei die Frage nach Ursache und Wirkung obsolet ist, löst sich von Foerster zufolge auch die Frage nach dem Ursprung von Bedeutung im Reigen der Sprache auf. Henne und Hahn sind diesem Bild entsprechend Sprecher und Zuhörer - und das Ei ist die Sprache selbst, mit all ihren Regeln und kulturellen Eigenheiten.
Grunzlaute mit Bedeutung
"Wenn ein Mensch unseres Kulturkreises das Wörtchen 'und' gebraucht, dann wissen wir schon, was er meint. Wir haben keine Ahnung, wieso wir wissen, was er meint", sagte von Foerster einmal. "Wir operieren so, als könnten wir erklären, wie aus den merkwürdigen Grunzlauten eines Menschen eine bestimmte Bedeutung entnommen werden kann."

Aber wir können es eben nicht erklären, meinte von Foerster. Macht aber nichts, denn deswegen
driftet die Kommunikation keineswegs ins Chaos ab. Im Gegenteil: Der in sich geschlossene Kreislauf von Sprechen, Verstehen und Antworten führt dazu, dass Fixpunkte der Verständigung entstehen, dass sich Sprache und Verhalten zu einem geordneten Gefüge zusammenfinden, in dem wir uns orientieren können.

Von Foerster bietet hier folgendes Bild an: Wenn man beispielsweise bei einer beliebigen positiven Zahl die Wurzel zieht, von dem Ergebnis wieder die Wurzel zieht, und so fort, landet man irgendwann bei der Zahl eins. Mathematiker nennen das den Eigenwert der Operation "Quadratwurzel von x". Von Foerster sieht Parallelen dazu im sprachlichen Reigen, bei dem jede Botschaft eine neue Botschaft hervorbirngt.

Ein bestimmter Kulturkreis zeichnet sich demzufolge durch Eigensprache, aber auch Eigensitten und Eigengebräuche aus, an deren Eigenschaften wir alle tagtäglich beteiligt sind.
Zwei Dollar für die Wirklichkeit
Das mag zwar ein wenig theoretisch klingen. Heinz von Foerster hat aber gezeigt, dass diese Sicht der Dinge das Leben verändern kann, sofern man sie verinnerlicht. Sie löst das Ego in der Gemeinschaft auf, macht offen für die Meinung anderer, unter Umständen auch humorvoller. Zumindest hat das bei Heinz von Foerster funktioniert:

"Mit meinen Studenten habe ich ausgemacht, dass jeder, der ein Wort wie 'Realität', 'tatsächlich', 'Wahrheit', 'Objektivität' verwendet, ein paar Dollar in eine Kasse zahlen muss, deren Inhalt wir dann für eine gemeinsame Unternehmung verwendet haben. Natürlich, man darf von der Wirklichkeit sprechen, aber das kostet eben zwei Dollar. Und von der Wahrheit zu reden, kann ziemlich teuer werden."

Robert Czepel, science.ORF.at, 22.11.07
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Literaturtipps
Albert Müller, Karl H. Müller (Hg.): An Unfinished Revolution? Heinz von Foerster and the Biological Computer Laboratory BCL 1958 - 1976. edition echoraum: 2007.
Ranulph Glanville, Alexander Riegler (Hg.): The Importance of Being Ernest. Festschrift for Ernst von Glasersfeld. edition echoraum: 2007
->   edition echoraum
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->   Heinz von Foerster - Wikipedia
->   Heinz von Foerster - Uni Wien
->   Ernst von Glasersfeld - Wikipedia
->   Ernst von Glasersfeld - Uni Wien
 
 
 
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01.01.2010