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Wettbewerb: Zunehmend auch firmenintern  
  Dass im modernen Kapitalismus ein weltweiter Wettbewerb der Standorte herrscht, ist allgemein bekannt und wird vielerorts bedauert. Die Zahl der tatsächlichen Verlagerungen von Arbeitsplätzen ist aber weit geringer als gemeinhin angenommen, betont der Politikwissenschaftler Christoph Dörrenbächer von der Universität Groningen.  
Er hat auch einen Aspekt untersucht, der in der Öffentlichkeit oft vergessen wird: den firmeninternen Wettbewerb. Dieser hat dem Begriff der Konkurrenz nicht nur eine neue Dimension verliehen, sondern auch das Verhältnis von Zentralen und Tochtergesellschaften verändert.

Die Headquarters verstehen sich zunehmend als Schiedsrichter im Wettbewerb ihrer eigenen Töchter, erklärt er in einem science.ORF.at-Interview.
In Ländern wie Deutschland und Österreich herrscht die Angst vor der Auslagerung der Produktion nach Osteuropa, in weiterer Folge auch nach Indien und China. Entspricht das tatsächlich der wirtschaftlichen Realität oder ist das vor allem eine Frage des subjektiven Bedrohungsgefühls?

Beides. Unbestreitbar wurde und wird Produktion von Hochlohn- zu Niedriglohnstandorten verlagert. Aber von interessierter Seite wird die Drohung damit auch benutzt, um Druck auf Löhne und Sozialstandards zu machen, innerbetrieblich und auch gesamtgesellschaftlich. Das Empfinden ist deutlich stärker als die realen Zahlen, wie viele Arbeitsplätze verlagert werden.
Kann man die Internationalisierung quantifizieren?

In dieser Diskussion spielen Direktinvestitionsstatistiken eine wichtige Rolle sowie Zahlen, wie viel Unternehmen im Ausland investiert haben. Dabei wird sehr häufig übersehen, dass nur ein sehr geringer Teil der Arbeitsplätze, die etwa deutsche oder österreichische Unternehmen im Ausland unterhalten, nach Osteuropa oder China verlagert wurden. Vielfach wird im Ausland investiert, um die dortigen Märkte zu erschließen.

Seit der Wende 1989 sind etwa in deutschen Unternehmen in Osteuropa 400.000 Menschen tätig, die Hälfte von ihnen arbeitet aber für den lokalen Markt. Somit wurden in einem Zeitraum von fast 20 Jahren bloß 200.000 Arbeitsplätze tatsächlich verlagert. Das ist bei einem gleichzeitigen Anstieg von zwei Millionen Arbeitslosen in Deutschland nur ein geringer Erklärungsfaktor.
Dennoch werden damit gerne Arbeitslosenzahlen erklärt, zunehmend auch im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E). Wie sieht das aus?

Es gibt bestimmte höherwertige Wertschöpfungsaktivitäten wie F&E, die bereits in Niedriglohnländer gewandert sind, v.a. im produktionsbezogenen Bereich: Wenn Sie einen Großteil ihrer Produktion in ein osteuropäisches Land verlagern, dann müssen Sie auch die Leute, die die Produktions- und Fertigungsmethoden weiterentwickeln, vor Ort haben. Während also in diesem Teil der F&E Arbeitsplätze bereits verlagert wurden, gilt dies bei der Entwicklung neuer Produkte weniger.
Lässt sich das quantifizieren?

Leider nein, die empirische Basis für die Fragen von Produktionsverlagerung, firmeninterner Wettbewerb etc. ist gemessen an ihrer Bedeutung noch sehr dürftig. Was natürlich auch Folgen für die gesellschaftliche Debatte hat.
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Christoph Dörrenbächer war vor kurzem in Wien zu Gast bei der Veranstaltung "Arbeit im Globalen Dorf" von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeit (Forba).
->   Forba
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Während die Fragen von Produktionsverlagerung und Outsourcing öffentlich relativ stark diskutiert werden, weiß man von firmeninternem Wettbewerb, einem Ihrer Fachgebiete, noch relativ wenig. Warum?

In der Tat beschäftigt sich auch die in der Forschung zuständige Managementtheorie erst seit wenigen Jahren mit dem Phänomen. Vielleicht hat das mit einer grundlegenden Legitimationsproblematik zu tun. Ich denke in eher sozialpartnerschaftlich organisierten Ländern wie Österreich oder Deutschland ist es ein Problem, wenn eine Konzernzentrale systematisch und offen internen Wettbewerb praktiziert und Tochtergesellschaften gegeneinander ausspielt - was natürlich auch mit Arbeitsplätzen zu tun hat.
Wie sieht die Praxis des firmeninternen Wettbewerbs aus?

Damit sind Verfahren gemeint, die es schon früher gegeben hat, nun aber auch innerhalb von Unternehmen immer wichtiger werden - etwa die Ausschreibung zur Vergabe von Aufträgen. Unternehmen schreiben systematisch bestimmte Aufgaben aus, Tochtergesellschaften legen Angebote dazu, um sie zu erlangen.
Ein Beispiel?

In großen Software-Produktionsfirmen gibt es bestimmte Software-Module, die vorab mit einem Lastenheft ausgeschrieben werden können, und verschiedene Standorte, die in der Lage sind, diese Aufträge zu erfüllen. Die Muttergesellschaft macht dann eine Ausschreibung, die Mandate werden nicht mehr auf eine lange und unbestimmte Zeit vergeben, sondern nur noch kurzfristig und gegebenenfalls wieder entzogen. Die Idee dahinter ist natürlich: Die Konkurrenz soll den Wettbewerb stimulieren und zu mehr Effizienz und Qualität führen.
Bei Familien wachsen Töchter ihren Eltern ja oft über den Kopf, ist das auch bei Unternehmen häufig der Fall?

Zumindest kann es dazu kommen, dass die Tochtergesellschaften mit den Vorstellungen, wie sie sich entwickeln wollen, ins Terrain anderer Tochtergesellschaften eindringen. Ein typisches Beispiel betrifft einen deutschen Hersteller für Sensoren, den ich untersucht habe. Das Unternehmen begann Ende der 90er Jahre einen Teil seiner Fertigung nach Ungarn zu verlagern.

Nach einigen Jahren kam das Ansinnen aus Ungarn selbst, man möge auch die prozessbezogene F&E nach Ungarn verlagern. Nachdem dann 20 Ingenieure dort saßen und ein, zwei Jahre die Prozesse verbessert hatten, kamen auch Ideen für neue Produkte. Und damit gab es einen Wettbewerb mit der am deutschen Stammsitz verbliebenen innovativen Forschung und Entwicklung.
Wie ist das Match ausgegangen?

Gar nicht. Das Headquarter hat erkannt, dass es für sie günstig ist, die Situation in Schwebe zu halten und nicht ein für allemal zu entscheiden. Das ist ganz typisch: Die Verleihung eines Mandats für die Entwicklung eines Serienprodukts wird nur noch für eine bestimmte Zeit gegeben.
Gibt es im klassischen Sinn überhaupt noch Zentralen?

Wenn man sich die Diskussion um die Dezentralisierung von multinationalen Unternehmen ansieht, darauf zielt Ihre Frage ja ab, kann man verschiedene Phasen feststellen. In den 60er Jahren ist man sehr davon ausgegangen, dass solche Unternehmen sehr hierarchisch, zentral gesteuert sind.

In den 70er Jahren ging man dann eher davon aus, dass sie multinationale Netzwerke sind. Die Netzwerktheorie wurde so weit getrieben, dass sich innerhalb des Unternehmens das Machtgefüge auflöste. Neuere Forschungen gehen eigentlich von einer nie stattgefundenen Dezentralisierung oder zumindest von einer starken Rezentralisierung aus.
Ein Beispiel wie Ungarn ist also eher die Ausnahme?

Nicht unbedingt, Konzernzentralen haben heute ein anderes Verständnis, sie verstehen sich eher als Schiedsrichter in einem Spiel und nicht so sehr als Partei, die aktiv eingreift.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 26.11.07
->   Christoph Dörrenbächer, Uni Groningen
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01.01.2010