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Evolution: Sprintphase der Samenpflanzen  
  Biologen haben das Erbgut von mehr als 80 Pflanzenarten analysiert und dabei ein mysteriöses Kapitel der Naturgeschichte entdeckt. Offenbar entstanden die Hauptgruppen der Samenpflanzen innerhalb von lediglich fünf Millionen Jahren. Warum die Evolution damals so rasch vor sich ging, ist unklar.  
Tempovariationen
Dass das Tempo der Evolution nicht immer gleich ist, ersieht man schon and der Existenz lebender Fossilien. Quastenflosser, Ginkgobäume und Pfeilschwanzkrebse sehen immer noch so aus wie vor dutzenden oder gar hunderten Millionen Jahren. Folglich muss ihre Entwicklung, sofern überhaupt vorhanden, recht gemächlich gewesen sein.

Es gibt freilich auch Beispiele für das andere Extrem: Fossilfunde aus 500 Millionen Jahren alten Gesteinsschichten weisen darauf hin, dass sich das tierische Leben zu Beginn des Kambriums sprunghaft entwickelt hat. "Kambrische Explosion" nennen Paläontologen jene Phase, in der sämtliche Tierstämme ihren ersten, plötzlichen Auftritt auf der Bühne der Evolution hatten. Zwar gibt es neuerdings Hinweise, dass es sich dabei um einen Scheineffekt handeln könnte, ausgelöst durch Lücken im Fossilbestand.

Dennoch lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet: Das Evolutionstempo zu Beginn des Kambriums war hoch. Ob es so hoch war, dass es Sprengungsmetaphoriken rechtfertigt, müssen die Fachleute klären.
"Big Bang" der Pflanzenwelt
Zweifel an der Semantik der gewählten Begriffe sind im Lager der Botaniker indes noch kein Thema. Dort wurde nämlich gerade erst jene "explosive" Phase entdeckt, in der die Vielfalt der heute lebenden Arten entstand. Sie begann vor rund 144 Millionen Jahren und endete bereits vier bis fünf Millionen Jahre später, war also, gemessen an der Skala geologischer Tiefenzeit, äußerst kurz.

Die für die Entdeckung verantwortlichen Forscherteams sprechen dementsprechend vom "Big Bang" der Pflanzenevolution. Genauer gesagt vom "Big Bang" in der Entwicklung der Bedecktsamer ("Angiospermae"), die man als das Erfolgsmodell der Pflanzenwelt bezeichnen könnte.

Zu dieser Gruppe gehören mindestens 250.000 Arten mit einer beeindruckenden Vielfalt an Formen, die etwa Bäume, Sträucher, Lianen und Kräuter einschließt. Also im Prinzip alle Gewächse, die man in der Alltagssprache als Blume, Laubbaum und Gras ansprechen würde.
Stammbaumanalyse im großen Stil
"Es ist ziemlich aufregend, dass die Blütenpflanzen in nur fünf Milionen Jahren entstanden sind", sagt Pam Solits vom Florida Museum of Natural History. Ihr Kollege Robert Jansen betrachtet die Angelegenheit von einem grundsätzlichen Standpunkt aus: "Es ist nicht möglich, sich für die Evolution der Pflanzen zu interessieren, wenn man nicht ihre verwandtschaftliche Stellung kennt."

Die war zwar im kleinen Bereich durchaus bekannt, was die systematischen Großgruppen betrifft, gab es aber widersprüchliche Ergebnisse. Vor allem deswegen, weil bis dato zu wenige Daten für großflächige genetische Vergleiche vorhanden waren.

Das wurde jetzt nachgeholt: In einer Studie untersuchten Botaniker das Erbgut von 81 Pflanzenarten, in einer zweiten, zeitgleich veröffentlichten, wurde die Genetik von immerhin 61 Spezies unter die Lupe genommen. Wobei in beiden Fällen das Hauptaugenmerk auf die kleinen Photosynthesefabriken in der Zelle, die Plastiden, gelegt wurde, weil sich die besonders gut für Stammbaumanalysen eignen.
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Beide Arbeiten werden zwischen 26.und 30. November 2007 auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)" veröffentlicht. Die Studientitel: "Using plastid genome-scale data to resolve enigmatic relationships among basal angiosperms" (doi: 10.1073/pnas.0708072104) sowie "Analysis of 81 genes from 64 plastid genomes resolves relationships in angiosperms and identifies genome-scale evolutionary patterns" (doi: 10.1073/pnas.0709121104).
->   PNAS
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Ursachen unbekannt

Stammbaum der Bedecktsamer
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die beiden Hauptgruppen der Bedecktsamer ("Ein-" sowie "Zweikeimblättrige") viel näher stehen, als bisher gedacht. Gräser und ihre Verwandten beispielsweise, die zur ersten Gruppe gehören, sind demnach mit Sonnenblumen und Tomaten näher verwandt, als es ihr unterschiedliches Aussehen nahe legt.

Eine Konsequenz dieses großen Zusammenrückens im Stammbaum ist, dass sich die Urahnen von Gräsern und Sonnenblumen innerhalb kürzester Zeit getrennt haben müssen. Womit wir wieder beim botanischen "Big Bang" angelangt sind. Warum verlief die Naturgeschichte damals gar so rasant?

Definitive Antworten gibt es keine. Alles, was die Forscher anbieten können, sind mehr oder weniger plausible Vermutungen. Möglich wäre etwa, dass klimatische Ereignisse zu einer Beschleunigung der Evolution geführt haben. Es könnte freilich auch evolutionäre Innovationen für den Schnellvorlauf in der Geschichte verantwortlich sein - beispielsweise Zellen, die den Wassertransport innerhalb der Pflanzen optimiert haben.

Pan Soltis favorisiert folgende Hypothese: "Die ältesten Blütenpflanzen hatten noch keine verschmolzenen Fruchtknoten. Das ist ein sehr effektiver Schutz für die Samen."

[science.ORF.at, 27.11.07]
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01.01.2010