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Wissenschaftliche Zeitschriften immer teurer
Nationallizenzen und mehr Bibliotheksbudget als Gegenmittel
 
  Wissenschaftliche Fachzeitschriften werden immer teurer, was Bibliotheken mit beschränkten finanziellen Mitteln vor große Probleme stellt: Entweder sie beißen in den sauren Apfel und zahlen bis zu 3.000 Euro jährlich für einen einzigen Titel. Oder sie verzichten auf die Magazine und kommen damit ihrer Aufgabe nicht nach, umfassend und für alle zugänglich Wissen bereitzustellen. Nationallizenzen könnten ein Ausweg sein.  
Max-Planck-Gesellschaft kündigt Springer Verlag
Der Zugang und die Versorgung mit Wissen und Information sind keine Selbstverständlichkeit - und sehr kostspielig. Das dokumentiert einmal mehr der jüngste Anlassfall innerhalb der deutschen Forschungslandschaft: Mitte Oktober kündigte die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ihren langjährigen Lizenzvertrag mit dem Springer Verlag zum 31. Dezember 2007.

Grund dafür: "Nach Auswertung unserer Nutzungsstatistiken und Vergleich mit anderen wichtigen Verlagen ist deutlich geworden, dass Springer für die angebotenen Zeitschriften etwa das Doppelte des Preises gefordert hat, den wir noch für vertretbar erachtet haben", resümiert Ralf Schimmer, Leiter der Max Planck Digital Library in München. "Nachdem der Verlag nicht von seinen überhöhten Forderungen abrücken wollte, haben wir daraus die Konsequenzen gezogen."

Derzeit sucht die MPG gerade nach Strategien, um die Versorgung mit unverzichtbaren Inhalten, die durch die Vertragsaufkündigung verloren gegangen sind, kostengünstig sicherzustellen.
Wissenschaftsverlage: Jährlich plus fünf Prozent
Eine Situation, mit der die Max-Planck-Gesellschaft nicht allein konfrontiert ist. Zwar gibt es in Österreich bislang keine vergleichbaren Fälle. Die extremen Preisentwicklungen in den wissenschaftlichen Verlagen, aber auch Einschränkungen in den Nutzungsmöglichkeiten haben auch hierzulande für eine sukzessive Verschlechterung in der Informationsversorgung gesorgt. "Seit Mitte der 90er Jahre stecken wir in einer Zeitschriftenkrise", so Helmut Hartmann, Leiter der Kooperation E-Medien Österreich.

"Die Preise bei den Wissenschaftsverlagen steigen jährlich um durchschnittlich zehn Prozent. Im Gegensatz dazu stagnieren aber die Budgets der meisten Universitätsbibliotheken ebenso wie der außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Diese Kluft zwischen der starken Preisspirale bei den Wissenschaftsverlagen und der stagnierenden Budgetlage der Bibliotheken wird immer größer. Das Wechselspiel hat nur deshalb noch nicht zum Kollaps geführt, weil die elektronischen Medien auf den Markt gekommen sind. Dadurch konnten wir neue Verträge mit den Verlagen aushandeln und bisher einen Totalzusammenbruch abfangen."
Marktkonzentration bei Verlagen
Verantwortlich für die Lage ist nicht zuletzt die starke Konzentration am Markt der Wissenschaftsverlage. "Die großen Flaggschiffe wie Springer, Elsevier oder Wiley kaufen sukzessive kleinere Verlage auf und schaffen damit eine Monopol-ähnliche Stellung, die sich natürlich auch in den Preisen niederschlägt", so Hartmann.

"Wissenschaftliches Publizieren unterliegt schlussendlich dem Marktgeschehen - und das Wissenschaftsverlagswesen ist ein beinharter Markt, wo im Endeffekt der Shareholder Value zählt - wie bei jedem Unternehmen."
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Zusammenarbeit der Bibliotheken
Österreich hat aus der Geldnot eine Tugend gemacht: In einer Zusammenarbeit von Universitäts-, Fachhochschul- und Landesbibliotheken sowie der Österreichischen Nationalbibliothek und einiger öffentlicher und privater Informations- und Forschungseinrichtungen begegnet die "Kooperation E-Medien Österreich" seit 2005 als geschlossener Verhandlungspartner den großen Wissenschaftsverlagen.
->   "Kooperation E-Medien Österreich"
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80 Prozent mehr Ressourcen
"Die Grundidee war, dem Netzwerk der Verlage ein ähnliches Netzwerk auf Bibliotheksebene entgegenzustellen. Gemeinsam koordinieren wir den Kauf- und Lizenzerwerb von Datenbanken, elektronischen Zeitschriften, elektronischen Büchern und die Administration dieser E-Medien-Ressourcen", fasst Hartmann, Co-Initiator und Leiter der Kooperationsstelle in Graz, zusammen. "Letztlich agieren wir als Konsortium, das für seine Mitglieder möglichst günstige Verträge aushandelt."

Die Kooperation ist erfolgreich: "Wir konnten mit den unterschiedlichen Verlagen nicht nur gute Preise vereinbaren, sondern auch Sonderkonditionen wie frühzeitige Kündigungsoptionen bei einzelnen Journalen, geringere Preissteigerungsquoten, Rabatte beim Zusammenschluss mehrerer Bibliotheken oder auch das Recht auf 'Cross Access', bei dem alle im Rahmen eines Vertrags bezogenen Zeitschriften allen Mitgliedern zur Verfügung stehen."

Der Erfolg schlägt sich in Zahlen nieder: "Eine große Universitätsbibliothek wie Wien oder Graz bekommt damit um dasselbe Budget um bis zu 80 Prozent mehr Ressourcen", so Hartmann.
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Internationale Vorbilder
Das Modell ist nicht neu: In Großbritannien gibt es bereits seit Ende der 90er Jahre ein Nationalkonsortium, das eine breite Versorgung mit Wissenschaftsjournalen garantiert. Aber auch in den USA und Deutschland wurden vergleichbare Einrichtungen ins Leben gerufen.
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Schere auf Dauer nicht zu schließen
Auf Dauer ist mit der "Kooperation E-Medien Österreich" das Problem der wissenschaftlichen Informationsversorgung aber nicht in den Griff zu bekommen. "Die teilweise Umstellung von Print auf Elektronik kommt uns zwar aufs erste etwas günstiger", meint Peter Kubalek, Bibliotheksdirektor der Technischen Universität Wien.

"Wenn wir aber diese Schere zwischen Verlagspreisen und Bibliotheksbudgets nicht irgendwie schließen können, müssen wir entweder Zeitschriften abbestellen oder auf neue Bücher verzichten - beides ist letztlich untragbar für eine Bibliothek als Versorgungsstätte für Wissen und Information."
Besonders teuer: Naturwissenschaften und Technik
Die Preise für die Abos wissenschaftlicher Journale erreichen tatsächlich unangenehme Höhen. "Besonders betroffen sind davon die Naturwissenschaften und Technik", fügt Kubalek hinzu.

"Bei Physik-Journalen beispielsweise kostet im Jahr 2007 das Abo für einen Journaltitel durchschnittlich knapp 2.000 Euro. Die Chemie-Journale sind derzeit mit 2.300 Euro pro Journaltitel am teuersten." Eine weitere Zahl: Zwischen 2003 und 2007 ist der Preis für Journaltitel aus Mathematik und Informatik um 57 Prozent angestiegen.
Höhere Budgets
Für die angespannte Lage der wissenschaftlichen Informationsversorgung sehen die Betroffenen zwei Lösungsansätze: "Die Budgets der Bibliotheken müssen einfach erhöht werden, um der Preisentwicklung am Verlagsmarkt langfristig begegnen zu können", resümiert Kubalek.

"Ansonsten kommen wir irgendwann in die Lage, dass wir mit unserem Geld nur mehr Zeitschriften beziehen können, das Budget aber nicht mehr für die Anschaffung von Büchern und Datenbanken reicht."
Informationspakete kaufen
Für Hartmann liegt ein Schlüssel für die künftige Vorsorgungsgarantie in so genannten Nationallizenzen. "Die Idee ist, kostenpflichtige Online-Angebote für sämtliche Wissenschaftler eines Staates zu erwerben", erklärt der Experte.

"Für Österreich geht es dabei vor allem um den Ankauf von abgeschlossenen elektronischen 'Informationspaketen' wie beispielsweise Backfiles von renommierten Wissenschaftszeitschriften, die hierzulande derzeit nur in sehr beschränktem Maße an einzelnen Universitätsbibliotheken zur Verfügung stehen."
Ungeklärt: Wer übernimmt die Kosten?
Wer die Kosten für derartige Pakete, die mit erheblichen Einmalinvestitionen verbunden sind, tragen könnte, ist noch nicht geklärt. Erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern zeigen aber, wie solche Anschaffungen durch die zentrale Bereitstellung von Mitteln gelöst werden könnten.

So hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Herbst 2004 Sondermittel für den Erwerb von Nationallizenzen für große, möglichst geschlossene Online-Datenbanken aus dem Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften bereitgestellt. Weitere Tranchen aus Zeitschriftenarchiven der bedeutendsten wissenschaftlichen Verlage kamen Ende 2005 und 2006 dazu.

"Wir haben diesbezüglich bereits Vorgespräche mit den wichtigsten Verlagen und Datenbankanbietern geführt, die sehr erfolgversprechend sind", fasst der Leiter der Kooperationsstelle E-Medien Österreich zusammen. "Nun geht es darum, wer die Finanzierung der Nationallizenzen übernehmen könnte."

Eva-Maria Gruber, 3.12.07
->   Max Planck Digital Library
->   Universitätsbibliothek Graz
->   Universitätsbibliothek Technische Uni Wien
->   "Library Journal"
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01.01.2010