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Partnerwahl: Biologie entscheidet nicht alles  
  Eine Studie am skandinavischen Volk der Samen zeigt: 15 Jahre Altersunterschied zwischen Mann und Frau wären für den Fortpflanzungserfolg optimal. Auf die Partnerwahl hat das dennoch keinen Einfluss.  
"Human Life History Project"
Ameisen und Nacktmulle sind beliebte Untersuchungsobjekte, wenn es um Faktoren wie Fitness, Fruchtbarkeit und Fortpflanzung geht. Mit dem Menschen hingegen tun sich die Soziobiologen bisweilen schwer - vermutlich deshalb, weil bei uns das Paradigma von der optimalen Verbreitung der Gene nicht so streng gilt wie bei anderen Tierarten. Die Kultur überlagert eben den biologischen Kern, und es ist nicht immer einfach, zu letzterem vorzudringen.

Die Forscher des "Human Life History Project" versuchen es dennoch. Um sich die Arbeit nicht unnötig schwer zu machen, haben sie dafür Ethnien ausgewählt, bei denen in Sachen Familiengründung überschaubare Bedingungen herrschen.

Ein Beispiel dafür sind die Samen, ein indigenes Volk aus dem Norden Skandinaviens, das im Wesentlichen von Rentierzucht, Fischerei und Jagd lebt und Sex außerhalb der Ehe strikt ablehnt. Letzteres ist für die Forschung insofern praktisch, weil sich so mit historischen Kirchenregistern relativ verlässliche (Fortpflanzungs-)Statistik betreiben lässt.
Viele Buben in heißen Jahren
Dieser Ansatz fördert mitunter recht kuriose Zusammenhänge zutage: Kürzlich berichtete der finnische Populationsökologe Samuli Helle, dass das Geschlechterverhältnis der Samen offenbar mit der Temperatur zusammenhängt. In warmen Jahren kamen während des 18. und 19. Jahrhunderts besonders viele Söhne zur Welt, der Anteil der Töchter stieg wiederum, wenn das Vorjahr besonders warm war (Biology Letters, doi:10.1098/rsbl.2007.0482). Den Grund dafür kennen die Forscher nicht.
Ideale Altersdifferenz bestimmt
Diese Woche ist Samuli Helle erneut mit einer Studie in den "Biology Letters" (doi: 10.1098/rsbl.2007.0538) vertreten, diesmal geht es um Altersunterschiede in ehelichen Partnerschaften. Dass die Kombination "alter Mann, junge Frau" häufiger ist als die umgekehrte Variante, legt bereits ein Blick in die Datenbank von Statistik Austria nahe. Demnach liegt in Österreich das mittlere Heiratsalter von Frauen bei 28,6 Jahren, während es bei Männern 31,4 Jahre beträgt.

Hell hat diese Asymmetrie bei den Sami untersucht und herausgefunden, dass sie zumindest in punkto biologischer Fitness besonders ausgeprägt ist. Die meisten Nachkommen haben Sami-Ehepaare nämlich dann, wenn die Frau 14,6 Jahre jünger ist als ihr Mann. Die Begründung laut Helle und Kollegen: Ältere Männer sind deswegen interessanter als Partner, weil sie ausreichend Zeit hatten, sich Fertigkeiten beim Jagen, Fischen und in der Rentierzucht anzueignen - und was noch wichtiger ist: Weil sie Zeit hatten, entsprechende materielle Ressourcen anzuhäufen, die wiederum das Überleben der Kinder sichern.

Das passt alles recht gut zur soziobiologischen Standardtheorie, die das unterschiedliche Investment der Geschlechter in Rechnung stellt. Frauen sind demnach eher an partnerschaftlicher Sicherheit interessiert, weil bei ihnen eine Schwangerschaft viel drastischere Konsequenzen hat, wenn man so will: Kosten erzeugt. Die Männer wiederum tendieren dieser Logik zufolge zur genetischen Gießkanne.
"Un-fitte" Kombination weit verbreitet
Weniger gut zur Standardtheorie passt indes, dass die Partnerwahl der Samen von alldem ziemlich unbeeinflusst blieb. Die möglichen Alterskombinationen verteilen sich nämlich in einer schön symmetrischen Glockenkurve über beide Geschlechter, ältere Frauen und junge Männer sind bei ihnen offenbar genau so häufig wie die andere, "klassische" Kombination.

Lediglich zehn Prozent der Paare liegen in einem "guten Fitnessbereich", der Rest rangiert unter ferner liefen, stellen Helle und Kollegen fest und notieren dazu eher lapidar: "Die Gründe für den Überhang an nicht-optimalen Eheschließungen dürften mit kulturellen Bedingungen zu tun haben."

Das ist ohne Zweifel richtig, die interessantere Frage wäre allerdings gewesen: Welcher Art ist die Verbindung zwischen der biologischen und der kulturellen Ebene? In diesem Fall dürfte sie wohl eher lose sein.

Rober Czepel, science.ORF.at, 5.12.07
->   Human Life History Project
->   Samuli Helle
->   Samen - Wikipedia
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   "Idealer" Altersunterschied von Paaren berechnet (29.8.07)
 
 
 
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01.01.2010