News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Medizin: Falschmeinungen halten sich hartnäckig  
  Vor über zwanzig Jahren wies eine Studie des angesehenen Journals "Nature" auf die mögliche positive Auswirkung von hoch dosiertem Betakarotin auf Krebs hin. Die Behauptung wurde leider in darauf folgenden klinischen Tests widerlegt. Dennoch halten sich nicht nur in diesem Fall die älteren Ergebnisse hartnäckig.  
Dies haben griechische Mediziner bei der näheren Analyse von Studien zum Thema festgestellt. Die Beharrlichkeit älterer Meinungen zeigte sich nicht nur beim Betakarotin, sondern auch bei Untersuchungen zu Vitamin E als Mittel zur Vorbeugung gegen Herzkrankheiten oder die Wirksamkeit von Östrogen gegen Alzheimer.
...
Der Artikel "Persistence of Contradicted Claims in the Literature" von Athina Tatsioni et al. ist in der aktuellen Ausgabe des "Journal of the American Medical Association" (Bd. 298, 5. Dezember 2007) erschienen.
->   Abstract
...
Klinische Tests widerlegten erste Studie
Als die Studie über die positiven Effekte von hoch dosiertem Betakarotin 1981 in "Nature" erschien, fügte der damalige Herausgeber dem Artikel eine ungewöhnliche Fußnote bei: "Warnung: Unvorsichtige Leser sollten den Artikel nicht als Hinweis nehmen, dass der Verzehr von großen Mengen Karotten notwendigerweise vor Krebs schützt."

Die damalige Studie hatte zwar von vielversprechenden epidemiologischen Untersuchungen berichtet, allerdings wiederholt auf die noch ausstehenden klinischen Tests hingewiesen. 1994 lagen die Ergebnisse dieser Tests vor: Betakarotin, gemeinsam mit Vitamin E verabreicht, schützt demnach nicht vor Lungenkrebs. Im Gegenteil: Das Nahrungsergänzungsmittel erhöhte sogar das Krankheitsrisiko für männliche Raucher.
Wissenschaftliche Kehrtwendungen stiften Verwirrung
Laut den griechischen Forschern sind derartige wissenschaftliche Kehrtwendungen - wie sie besonders in Zusammenhang mit Nahrung oft auftreten - auch häufig Ursache für die generelle Verwirrung bei Ernährungsratschlägen.

Jahrelang hatte sich nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Industrie - welche entsprechende Nahrungsergänzungsmittel produziert - auf bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse verlassen, und plötzlich sollten sie ihre Meinung komplett revidieren. Manche ziehen es laut den Autoren daher vor, entgegen der Evidenz am alten Wissen festzuhalten. So wie das etwa bei mehr als sechzig Prozent der untersuchten Studien zum Thema aus dem Jahre 2006 der Fall war.
Hypothesen müssen eben auch überprüft werden
Die Wissenschaftler von der Ioannina School of Medicine in Griechenland haben noch zwei weitere Fälle untersucht, bei welchen die randomisierten klinischen Studien den ersten Beobachtungsdaten widersprachen: Der erste Fall betrifft die Annahme, Vitamin E schütze vor Gefäßerkrankungen, der zweite die Behauptung, Östrogen könne das Risiko, die Alzheimer-Krankheit zu entwickeln, verringern.

Auch hier zeigte sich dieselbe Hartnäckigkeit: So manche wissenschaftliche Publikation hielt beharrlich an den älteren Studien fest und ignorierte die gegenteiligen Ergebnisse, auch wenn diese schon längst veröffentlicht waren.

Laut den griechischen Wissenschaftlern seien epidemiologische Studien zwar sehr nützlich dabei, Hypothesen über mögliche Zusammenhänge von Nahrung und Krankheit zu produzieren. Sie können aber auch sehr irreführend sein, es gäbe zu viele Wechselwirkungen oder unkontrollierte Randfaktoren. Daher ließen sich daraus keine echten kausalen Zusammenhänge ableiten.
Wunschdenken der Forscher
In allen untersuchten Fällen wurden die älteren Studien nach Bekanntenwerden der klinischen Ergebnisse zwar nicht mehr so häufig zitiert, dennoch blieb mancher Autor bei den alten Thesen. Am Auffälligsten war dies bei den Betakarotin-Studien, bei denen noch ein Jahrzehnt nach dem klinischen Test vorzugsweise das alte Wissen zitiert wurde.

In den beiden anderen von den griechischen Medizinern analysierten Themenbereichen kamen die der ersten These widersprechenden klinischen Daten auch vor, die Autoren nannten allerdings gleichzeitig diverse Gründe, warum sie diese Evidenz bezweifeln. Natürlich können Kritikpunkte einen Ausgangspunkt für zukünftige Studien liefern, in manchen Fällen sei dies aber auch gefährlich.

Der Grund für die oft zu beobachtende Ignoranz ist das Wunschdenken der Forscher, so der Mitautor Ioannidis gegenüber "news@nature". Nach jahrelanger Beschäftigung mit einer bestimmten Fragestellung sei es nun mal nicht sehr angenehm, festzustellen zu müssen, dass man die ganze Zeit den falschen Ansatz verfolgt hat.

[science.ORF.at, 5.12.07]
->   news@nature
->   Ioannina School of Medicine
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Ernährung: Zu wenig Fett ist auch schädlich (15.3.07)
->   Ernährung: Wie der Körper Wissen speichert (20.2.07)
->   Trennkost laut Experten ein "Ernährungsmärchen"(7.6.06)
->   100 Antworten auf Fragen zu Krebs und Ernährung (11.2.02)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010