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Mentoring-Programm für akademische Asylwerber  
  Seit vorigem Jahr gibt es den Verein "ForscherInnen ohne Grenzen". Er kümmert sich um Akademiker, die als Asylwerber oder Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind und deren Talente nun brachliegen. Freitagabend hat der Verein bei einer Veranstaltung in Wien ein neues Mentoring-Programm vorgestellt. Österreichische Forscher sollen Bildungspaten für ihre Kollegen in den Flüchtlingsheimen werden.  
Als Mentoren kommen Lehrer, Wissenschaftler, Studierende, Wirtschaftstreibende und Leute aus dem Kunst- und Kulturbereich in Frage. Sie könnten wie die Mentees - also die Nutznießer des Mentoring-Programms - aus den verschiedensten Disziplinen stammen, meint Judith Kröll, Soziologin und Obfrau des Vereins.
Beispiel: Informatiker aus Aserbeidschan
Ein potenzieller Mentee ist Aiman Z. Er ist ausgebildeter Informatiker aus Aserbaidschan und war gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Vor drei Jahren ist er nach Österreich gekommen, seither wartet er den Asylbescheid der Behörden. An die ersten eineinhalb Jahre hat er nicht die besten Erinnerungen.

"Dann habe ich verstanden, dass ich mein Leben ändern muss. Ich habe mir drei Ziele gesetzt: eine private Wohnung zu finden, Deutsch zu beherrschen und mein Diplom anerkennen zu lassen", erzählt er gegenüber science.ORF.at.

Die ersten beiden Wünsche sind mittlerweile in Erfüllung gegangen, der dritte aber noch nicht. Zwar hat er vom Innenministerium einen Bescheid erhalten, wonach er auf einer "anerkannten Universität" studiert hat. Für die Nostrifzierung sind aber die Unis zuständig. "Ich möchte gerne, darf aber nicht als Informatiker arbeiten", so Aiman Z.
Bildungspaten sollen Flüchtlingen helfen
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Asylwerber in Österreich stark eingeschränkt. Die Probleme, die damit einher gehen: zum einen soziale Isolierung, die nicht selten zu Depressionen bei den Betroffenen führen, wie Z. betont. Zum anderen geht durch die verordnete Untätigkeit aber auch der Zugang zum eigenen Wissen und zum eigenen Beruf verloren.

Genau hier möchte der Verein "ForscherInnen ohne Grenzen" mit seinem neuen Mentoring-Programm einhaken. "Die Idee ist es, dass man in Österreich Personen findet, die Asylwerber oder Flüchtlinge eine Zeit lang begleiten und über eine persönliche Beziehung weiterhelfen. Es geht auch darum, Räume zu schaffen, wo man Leuten die Chance gibt, dass sie die Berufserfahrungen und Qualifikationen, die sie mitgebracht haben, umsetzen und zeigen können."
Hochqualifiziert und nicht auf dem Arbeitsmarkt
Aufgrund der Einschränkungen am Arbeitsmarkt spielen diese Erfahrungen der Asylwerber bisher keine Rolle, betont Judith Kröll. Sie hofft, dass die Akademiker aus dem Ausland durch österreichische Bildungspaten weniger isoliert sind. Dies könnte nicht zuletzt dem heimischen Arbeitsmarkt zugute kommen, der auf hochqualifizierte Menschen nicht verzichten solle.

"Es ist nicht zu verstehen, warum auf der einen Seite von Facharbeitermangel gesprochen wird und man auf der anderen Seite Leute, die sehr gut ausgebildet, Jahre lang warten lässt und ihnen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gibt, sodass sie auf Almosen angewiesen sind und ihr Know-How verlieren", meint Kröll.
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Asylwerber ersparte Headhunter-Kosten
Ein in der Form extremes Beispiel liefert laut Kröll ein heute 37-jähriger Vertreter einer iranischen Minderheit. Der Maschinenbauer machte sich während seines fünf Jahre dauernden Asylverfahrens - in einem arbeitsrechtlichen Graubereich - selbständig und arbeitete als Computertrainer. Aufgrund von Medienberichten wurde eine japanische Softwarefirma in Wien auf ihn aufmerksam und stellte ihn ein. Heute arbeitet er dort als Projektmanager. Ein Firmenvertreter gab später an, für einen derart qualifizierten Mitarbeiter üblicherweise einen Headhunter engagieren zu müssen - und 20.000 Euro dafür zu bezahlen.
->   Kröll über die Ziele des Mentoring-Programms (wma-Audio)
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Wie groß ist der Kreis der Betroffenen?
Laut Kröll führen die Behörden keine Statistiken darüber, wie groß die Personengruppe der Akademiker unter den Asylwerbern tatsächlich ist. "Ziel des Vereins ist auch, das zu dokumentieren, und zu zeigen, dass der berühmte Professor unter Anführungszeichen, der auf der Straße Zeitungen verkauft, kein Einzelfall ist, sondern ein systemisches Phänomen."

Einen Hinweis auf eine mögliche Größenordnung gibt es aber: "Laut einer Statistik der Gruppe 'First Aid in Integration', die Kurse gemacht hat für Asylwerber, verfügten 34 Prozent ihrer Teilnehmer über einen Hochschulabschluss."
Ein Rückblick auf die Geschichte
Für Judith Kröll hat der Verein "ForscherInnen ohne Grenzen" aber auch eine historische Perspektive. Sie erinnert an die internationale Organisation CARA ("Council for Assisting Refugee Academics"), der kommenden Dienstag der Menschenrechtspreis der Universität Graz verliehen wird.

Seit 1933 bemüht sich die in London beheimatete Organisation, verfolgten Wissenschaftlern zu helfen. Ursprünglich als Reaktion auf die Verfolgung vor allem jüdischer Forscher durch die Nazis gedacht, unterstützt CARA heute weltweit verfolgte Akademiker - in den jeweiligen Heimatländern, aber auch durch Stipendien für Aufenthalte in Großbritannien.

Österreich soll laut Judith Kröll besonders sensibel mit dem Thema umgehen, nicht zuletzt, da dem Gründer von CARA die Idee in Wien gekommen ist.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 7.12.07
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Am Freitag, 7.12.07, findet im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung in Wien die Präsentation des neuen Mentoring-Programms statt (Ort: Depot, Breite Gasse 7, 1070 Wien; Zeit: 19 Uhr).
->   ForscherInnen ohne Grenzen
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->   Council for Assisting Refugee Academics
->   First Aid in Integration
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Fremdenverkehr: Wenn Touristen auf Asylwerber treffen (13.6.07)
->   Vom Mediziner zum Taxifahrer - Forscher als Flüchtlinge (2.6.06)
 
 
 
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01.01.2010