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Mutation macht Fliegen jungfräulich  
  Fliegenweibchen sind nach der Begattung nicht mehr an Sex interessiert - es sei denn, man entfernt ihnen ein Gen namens SPR aus dem Erbgut. Dann verhalten sie sich so, als wären sie noch immer unberührt, wie Wiener Genetiker herausgefunden haben. Das könnte bei der Bekämpfung von Schädlingen und Krankheitsüberträgern helfen.  
Der Herr der Fliegen
Zugegeben, es gibt Arten, die ein aufregenderes Liebesleben haben als die kleine Fruchtfliege. Aber Drosophila melanogaster ist eben ein wichtiger Modellorganismus, neben Hefe und Fadenwurm vielleicht sogar der wichtigste Modellorganismus überhaupt. Das Erbgut der Fruchtfliege wurde bereits im Jahr 2000 entziffert, später komplett ins Internet gestellt und von einem Heer von Forschern nach etwaigen Funktionen durchleuchtet. Mittlerweile hat die Analyse durchaus entlegene Erbfaktoren erreicht - etwa jene, die mit dem Verhalten in Verbindung stehen.

Barry Dickson vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie ist Spezialist für solche Fälle. Alle paar Monate veröffentlicht er eine Arbeit in Top-Journalen wie "Nature", "Cell" und "Neuron", in denen er von Genen berichtet, die etwas mit Fliegensex zu tun haben.

Größeres Aufsehen erregte beispielsweise eine Studie vor zwei Jahren, in der Dickson das Sexualverhalten von Fliegen durch Manipulation eines Gens quasi umpolte: Männliche Fliegen waren plötzlich hinter anderen Männchen her und Weibchen zeigten ein untypisch "männliches" Verhalten (Cell 121, 785).

Wer den Namen "Barry Dickson" in Google eingibt, wird sehen, dass der Genetiker mit dieser Arbeit sogar in der Schwulengemeinde zitiert wird (obwohl das Gen, nebenbei bemerkt, nur bei Fliegen vorkommt).
Liebesspiel als Stoppsignal
Nun wartet Dickson erneut mit einer kuriosen Sexgeschichte auf, diesmal geht es um den Unterschied zwischen unberührten und begatteten Fliegenweibchen. Jungfräuliche Fliegen agieren nämlich in der Regel offenherzig und lassen ihren Partner zum Zug kommen, sofern er das ausgeklügelte Vorspiel absolviert.

24 Stunden später beginnt für das Weibchen die Eiablage, für Sex ist zu diesem Zeitpunkt keine Zeit mehr, weswegen es dann auf Annäherungsversuche strikt abweisend reagiert. Barry Dickson: "Bei den meisten Insekten wird diese Veränderung durch einen Faktor in der Samenflüssigkeit der Männchen ausgelöst."
"Like a Virgin ..."
Bei der Fruchtfliege kennt man den entsprechenden Faktor, er trägt den eingängigen Namen "Sex-Peptid". Nicht bekannt war bis dato, wo der Signalstoff überhaupt ansetzt. Das hat nun Dickson mit seinem Team herausgefunden, es handelt sich dabei um einen Rezeptor, der sich im Geschlechtsorgan und im Hirn des Fliegenweibchens befindet. Das erste, was Genetiker in so einer Situation machen, ist ein Knock-out. Sie entfernen das entsprechende Gen aus dem Erbgut und beobachten, was dabei passiert.

In diesem Fall bewirkte der Eingriff dauerhafte Jungfräulichkeit - wenn auch nur dem Verhalten nach: Fliegen, denen der Rezeptor fehlte, behielten ihr Interesse an Sex auch nach der Begattung (Nature, doi:10.1038/nature06483). Und das Ganze funktioniert offenbar auch in der Gegenrichtung. Stattet man die mutierten Drosophila-Weibchen erneut mit dem Molekül aus, normalisiert sich das Verhalten wieder.
Mittel gegen Malaria?
"Natürlich könnte man probieren, daraus eine Anti-Baby-Pille für Insekten zu machen. Aber wir müssten sie erst dazu überreden, sie auch einzunehmen", sagt Dickson.

Wobei das gar nicht so unernst gemeint ist. Der Rezeptor kommt nämlich auch bei vielen anderen Insektenarten vor, etwa bei den Überträgern von Malaria und Gelbfieber. Rein theoretisch wäre das eine gute Ansatzstelle, um die Vermehrung der beiden Stechmücken zu kontrollieren.

Robert Czepel, science.ORF.at, 10.12.07
->   Drosophila melanogaster - Wikipedia
->   Barry Dickson - IMP
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01.01.2010