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"Biomusterland Österreich" auf dem Prüfstand  
  Österreich gilt in Europa als Musterland der biologischen Landwirtschaft. Doch es ist nicht alles eitel Wonne. Die rund 20.000 Biobauern des Landes können die wachsende Nachfrage kaum decken. Und die Bilder, die die Werbung vermittelt - Almwiesen, glückliche Kühe und ebensolche Senner -, entsprechen nur der halben Wahrheit. Bioprodukte stammen nicht nur von Bergbauern, sie können auch auf großen Flächen und sogar industriell produziert werden.  
Wenigstens in Bio sind wir Weltmeister
"14 Prozent der gesamten Agrarfläche Österreichs bringen kontrollierte Bioprodukte hervor, das ist so viel wie in keinem anderen Staat, sieht man von Liechtenstein ab", sagt Helga Willer vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).

Einzelne Regionen in den Alpenländern bringen es noch auf viel höhere Anteile, so sind fast fünfzig Prozent der Bauernhöfe im Schweizer Kanton Graubünden "Bio", im Land Salzburg sind es 45,21 Prozent.

Beeindruckend klingen auch die letzten Konsumzahlen: Laut RollAMA, einer von der Agrarmarketing Austria (AMA) jährlich in Auftrag gegebenen Motivanalyse, kaufen 87 Prozent der österreichischen Konsumenten zumindest ab und zu Bioprodukte.

Der Marktanteil von Bio im Lebensmitteleinzelhandel insgesamt beträgt derzeit sechs Prozent - damit ist Bio vom Nischensegment zu einem ökonomisch ernstzunehmenden Marktfaktor geworden.
"Skandale" aufgrund überzogener Erwartungen
Nicht nur in Österreich, auch in vielen anderen westlichen Industrieländern herrscht rege Nachfrage nach Bioprodukten. "Vom Ökotraum zur globalen Massenproduktion", titelte der Spiegel unlängst und berichtete über Ein- und Ausstieg der sozial und ökologisch übelbeleumdeten Lidl-Kette bei den Basic-Biomärkten, von Entpolitisierung und zunehmender Kommerzialisierung der Bioszene, sogar von Betrug. Reale Gefahr oder Skandalisierung?

"99 Prozent der Missstände gehen auf das Konto der sogenannten konventionellen Landwirtschaft. Aber alle stürzen sich auf Bio, sobald irgendwo die Kontrollen eine Unregelmäßigkeit melden", entrüstet sich Bernhard Freyer, Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau (IfÖL) an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Dafür mitverantwortlich ist die schwammige "Feel Good"-Präsentation von Bio für jene wachsenden Werbezielgruppe, die dem sogenannten Lohas huldigen: dem "Lifestyle of Health and Sustainability". Bio wird auf ein Podest gehoben, überzogene Heilserwartungen führen zu ebenso überzogenen Reaktionen bei der bloßen Andeutung von Mängeln.
Werbung "vergisst" auf einige Charakteristika
"Die meisten Konsumenten wissen aber gar nicht, wie Biolandwirtschaft überhaupt funktioniert", konstatiert Freyer. Er sieht eine riesige Kluft zwischen dem Bioimage aus der Werbung und den eigentlichen Qualitäten von Bio: die weitgehende Rückstandsfreiheit der Lebensmittel, die neue Qualität der Böden, die mehr und länger Wasser speichern können. Das seien wichtige "Bio"-Charakteristika, die aber kaum kommuniziert würden.

Die Werbung greift stattdessen tief in die Klischeetöpfe: Wellnessbilder, Eier von glücklichen Hühnern, Fleisch vom Schweinchen Babe, das natürlich sofort wiederaufersteht und vor Bergpanoramen herumtollt.
Kann auch industriell produziert werden
"In Österreich wird Bio vor allem mit kleinteiliger Landwirtschaft assoziiert, wie sie traditionell im Alpenraum verherrschte und vorherrscht", sagt die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter von der Uni Klagenfurt: "Der Konsument kann sagen: Ich kaufe Bioprodukte aus Österreich, weil ich diese kleinteiligen Strukturen schön finde und erhalten möchte." Nachsatz: Das sei auch okay.

Aber auch große landwirtschaftliche Betriebe, zum Beispiel in Ostdeutschland, stellten auf Bio um, fährt Winiwarter fort: "Auch wenn sie unseren landläufigen Vorstellungen von der idyllischen kleinteiligen Biolandwirtschaft nicht entsprechen, sind sie nachhaltig. Bio kann also durchaus industriell aussehen, solange die Richtlinien eingehalten werden." An diese neuen Bilder von Bio müssten wir uns gewöhnen.
Verwechslung mit konventioneller Landschaft
"Biologische Landwirtschaft ist ein innovatives Konzept, keine pastorale Idylle aus dem 18. Jahrhundert, wie viele Leute glauben", ergänzt Engelbert Sperl, einer der Geschäftsführer von Bio Austria. "Die Konsumenten müssen verstehen, dass Bio von Innovationen lebt und forschungsbasiert ist."

Wirklich problematisch ist allerdings, dass auch viele Werbekampagnen für konventionelle Landwirtschaft mit idyllischen Bildern von einsamen Almwiesen und kleinen Herden à la Bio daherkommen.

Die AMA stand dabei schon öfter im Zentrum der Kritik von Konsumentenschützern und NGOs. Mehrere Umfragen in den letzten Jahren zeigten, dass die Verbindung solcher Werbebotschaften mit dem AMA-Gütesiegel für konventionelle landwirtschaftliche Produkte dazu führte, dass dieses von teilweise mehr als der Hälfte der Befragten für ein Biosiegel gehalten wurde.
Bedarf nach Biobauern
Derweil suchen Biovertreter und Handel händeringend nach mehr Bauern, die bereit sind, ihren Betrieb auf Bio umzustellen. Knapp 20.000 Biobetriebe gibt es derzeit in Österreich: Zu wenige, um die große Nachfrage nach österreichischen Bioprodukten zu befriedigen.

Die Zeit drängt: Nur noch bis Ende 2009 können neue Betriebe in das Bioförderprogramm der EU aufgenommen werden, danach werden die finanziellen Stützen wesentlich geringer sein.

Woran liegt es, dass nicht mehr Bauern auf Bio setzen, wo doch die Nachfrage angeblich so groß ist? "Die Investitionen in der zweijährigen Umstellungsphase sind hoch", erklärt Wilfried Oschischnig von Bio Austria. "Der Anreiz eines Mehrverdienstes von durchschnittlich acht Prozent pro Person im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft ist kein ausreichendes Argument, einen Betrieb auf Bio umzustellen."

Acht Prozent mehr klinge nicht schlecht. Nur: Das durchschnittliche Jahreseinkommen von österreichischen Bäuerinnen und Bauern liegt etwa ein Drittel unter dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Österreich insgesamt.

Karin Chladek, heureka!, 12.12.07
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Die Langfassung dieses Textes ist in der aktuellen Ausgabe von "heureka", der Wissenschaftsbeilage des Falters, erschienen (12/07). Sie widmet sich dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit.
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->   Agrarmarketing Austria
->   Forschungsinstitut für biologischen Landbau, Schweiz
->   Institut für Ökologischen Landbau, Boku
->   Bio Austria
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01.01.2010