News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Kosmos 
 
Sternenkarte unserer "Nachbarschaft" erstellt  
  Unsere Umgebung ist der Ort, den wir am besten kennen - könnte man denken. Nicht so im Falle unserer aus etwa 100 Milliarden Sonnen bestehenden Galaxis: Das Wissen über die uns nächstliegenden Bereiche der Milchstraße war lange Zeit hindurch grob unvollständig. Ein europäisches Forschungsteam hat sich daher zum Ziel gesetzt, unsere Galaxie großflächig zu vermessen. Davon berichtet der Astronom Thomas Posch in einem Gastbeitrag.  
Geschichten aus tausend und einer Nacht
Von Thomas Posch

Viele Astronomen bevorzugen es, ausgewählte Spezialtypen von Sternen zu studieren, statt sich ein möglichst komplettes Bild von den nächsten stellaren Nachbarn zu machen.

Anders der Zugang eines Teams von dänischen, schwedischen und Schweizer Astronomen unter der Leitung von Birgitta Nordström, derzeit Gastprofessorin am Institut für Astronomie der Universität Wien: Das Team setzte sich zum Ziel, die räumlichen Bewegungen von 14.000 Sternen in der Nachbarschaft der Sonne (und mit einem ähnlichen Spektraltyp wie die Sonne) zu messen.

Das Forscherteam aus Kopenhagen, Lund und Genf konnte damit einen entscheidenden Durchbruch in der Erforschung unserer Galaxis erzielen. "Wir haben über 1.000 Beobachtungsnächte gebraucht, um 63.000 hochgenaue Geschwindigkeitsmessungen an 14.000 Nachbarsternen der Sonne durchzuführen.", so Nordström.

Diese Sterne sind über den ganzen Himmel verteilt. Aus den so gewonnenen Daten konnten die Wissenschaftler berechnen, wie sich all diese Sterne durch das Milchstraßensystem bewegen. So konnte erstmals die Bewegungsgeschichte der Galaxis im Detail rekonstruiert werden. Ein Ergebnis der Studie: Unsere kosmische Heimat hat eine viel turbulentere Geschichte, als man lange Zeit dachte.
Der räumlichen Bewegung der Sterne auf der Spur
 
Bild: ESO

Die räumliche Verteilung der von Nordström und Mitarbeitern untersuchten Sterne

Um ihr Ziel erreichen zu können, mussten die Astronomen 15 Jahre hindurch über 1.000 Beobachtungsnächte an Teleskopen in Chile und in der Provence verbringen. Insgesamt waren 63.000 Einzelbeobachtungen erforderlich.

Die meisten der beobachteten Sterne sind weniger als 500 Lichtjahre von der Sonne entfernt. Präzise Daten zu deren Entfernungen lagen dank des ESA-Satelliten Hipparcos bereits vor. Was aber noch weitgehend fehlte, waren Informationen über die dreidimensionale räumliche Bewegung der Sterne.

Die große Unbekannte war speziell diejenige Komponente der Bewegung, die von uns weg oder auf uns zu gerichtet ist - die sogenannte Radialgeschwindigkeit. Sie lässt sich durch hochgenaue Spektroskopie, also spektrale Zerlegung des Sternlichts ermitteln.

Zusätzlich wurde auch das Alter aller 14.000 Sterne untersucht. Es zeigte sich, dass einige der Sterne in der Nachbarschaft der Sonne aus der Frühzeit der Galaxis stammen. Darüber hinaus fanden sich Indizien für eine lange zurückliegende Verschmelzung externer Galaxien mit unserer Milchstraße. "Es ist so, als könnte man galaktische Archäologie betreiben", so Nordström.
Von der Bewegung zur (stürmischen) Entwicklung der Galaxis
 
Bild: ESO

Künstlerische Ansicht der Sonne und ihrer Nachbarsterne, die mit ihr gemeinsam um das galaktische Zentrum (Hintergrund) rotieren

Hat man einmal die Geschwindigkeiten der Sterne bestimmt, so wird es möglich, zukünftige und zurückliegende Sternpositionen zu ermitteln, wobei die relevanten Zeitskalen viele Jahrmillionen sind. Ein Zurückrechnen in die Vergangenheit ergab, dass bestimmte Objekte gehörige Turbulenzen (turbulente Bewegung) in die Galaxis gebracht haben müssen.

Zu den Kandidaten für die "Unruhestifter" gehören Spiralarme, Molekülwolken, Schwarze Löcher, Supernovae, sowie der "Einfall" riesiger Gaswolken in die Milchstraße. Zwar laufen die Sonne und ihre Nachbarsterne in einem Zeitraum von etwa 225 Millionen Jahren einmal um das Zentrum der Galaxis.

Ihre gemeinsame Bewegung gleicht jedoch nach den Ergebnissen von Nordström und ihren Mitarbeitern eher der eines Bienenschwarms als der einer parallel fliegenden Gruppe von Zugvögeln.

[14.12.07]
...
Über den Autor
Thomas Posch arbeitet als Astronom an der Universitätssternwarte Wien.Thomas Posch
->   Thomas Posch
...
->   Animation zur Bewegung der untersuchten Sterne um das galaktische Zentrum
->   Studie: "The Geneva-Copenhagen Survey of the Solar neighbourhood II."
->   Brigitta Nordström
Aktuelles zum Thema in science.ORF.at:
->   "Hubble" fotografiert zwei "tanzende Galaxien" (30.10.07)
->   Vier Galaxien auf Kollisionskurs (7.8.07)
->   Galaxien-Zensus zum Mitmachen (12.7.07)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Kosmos 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010