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Die Überlebenstricks der Tiefseetaucher  
  Manche Wale, Delfine und Robben können mehr als eine Stunde unter Wasser bleiben, ohne dabei Luft zu holen. US-Biologen haben nun herausgefunden, dass diese Sonderbegabung mit speziellen Proteinen zu tun hat: Sie binden Sauerstoff und schützen das Hirn vor etwaigen Schäden.  
Weltrekorde: Tier vs. Mensch
Neun Minuten und acht Sekunden blieb der Deutsche Apnoetaucher Tom Sietas bei seinem bislang letzten Weltrekord im Mai dieses Jahres unter Wasser. Das ist zwar beachtlich, aber dennoch nichts im Vergleich zu dem, was die Weddellrobbe (Leptonychotes weddellii) zu leisten imstande ist: Sie taucht gut und gerne 90 Minuten ohne Luftholen - und bewegt sich sogar dabei. Ähnliche Werte erreichen auch andere Säuger, Pottwale etwa, sie schwimmen mit nur einem Atemzug in bis zu drei Kilometer Tiefe.

Bisher erklärte man sich die erstaunliche Leistungsfähigkeit von tauchenden Säugetieren durch besondere Gewebeanpassungen. Extrem geringe Herzfrequenz, periphere Gefäßverengung und ein dichteres Kapillarsystem waren Sonderbildungen, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurden.

Das hat alles etwas für sich, kann aber trotzdem folgenden Befund nicht erklären: Selbst bei den Großmeistern ihres Faches, wie beispielsweise der Weddellrobbe, sinkt der Sauerstoffgehalt im Blut bei langen Tauchgängen extrem ab. Der Partialdruck des lebenswichtigen Moleküls beträgt oft weniger als 30 Millimeter Quecksilbersäule - ein Wert, bei dem der Mensch sofort ohnmächtig würde und mittelfristig mit schweren Organ-, insbesondere Hirnschäden zu rechnen hätte.
Neue Proteine im Hirn
Wie vermeiden Delfine, Wale und Robben solche Schäden? Die Biologin Terrie Williams von der University of California in Santa Cruz vermutet schon länger, dass das Ganze mit einer bestimmten Klasse von Proteinen, den Globinen, zu tun hat. Der bekannteste Vertreter dieser Molekülfamilie ist vermutlich das Hämoglobin, das den Sauerstoff im Blut bindet und zu den jeweiligen Organen transportiert.

Obwohl das Hämoglobin und seine muskelspezifische Variante, das Myoglobin, bestens erforscht sind, wusste man bislang keineswegs, ob es noch andere Moleküle dieser Art gibt. In diesem Feld dürfte tatsächlich noch einiges zu tun sein, wie zwei Studien deutscher Biologen nahe legen: Im Jahr 2000 entdeckten sie im Hirn von Mensch und Maus eine neue Globinvariante und tauften sie Neuroglobin (Nature 407, 520). Zwei Jahre später fand die gleiche Arbeitsgruppe eine weitere Abart namens Cytoglobin, das in nahezu allen Zellen der Wirbeltiere vorkommt (Molecular Biology and Evolution 19, 416).

Durchaus verständlich also, dass Williams und ihre Mitarbeiter das Geheimnis der Supertaucher nun mit Methoden der Globinchemie lüften wollten. Zu diesem Zweck nahmen die US-Biologen Gewebeproben aus dem Hirn von 16 verschiedenen Arten, darunter etwa Koyote, Fuchs, Maus und Rotluchs. Aus der aquatischen Abteilung untersuchten sie unter anderem Seeelefant, Seelöwe sowie einige Delfine und andere Walarten.
Taucher setzen auf Hämoglobin
Das Ergebnis des Vergleichs in geraffter Form: Elaborierte Taucher begegnen dem fortgesetzten Sauerstoffmangel mit einem extrem erhöhten Hämoglobingehalt im Blut, berichten die US-Biologen nun in den "Proceedings of the Royal Society" (doi:10.1098/rspb.2007.1484).

Absoluter Spitzenreiter ist in dieser Hinsicht der Grindwal, der mit einer Diensttiefe von 600 Metern durchaus als Tauchspezialist gelten darf, aufgrund seiner gemächlichen Lebensweise allerdings nicht gerade als Leistungsschwimmer anzusehen ist.

Das verweist auf einen zweiten Trend, den Williams und Kollegen entdeckt haben: Gewandte Schwimmer, wie etwa der Breitschnabeldelfin, sind offenbar hinsichtlich Hämoglobin nicht übermäßig ausgestattet, haben dafür einen klar erhöhten Neuro- bzw. Cytoglobingehalt im Hirn.
Dickes Blut hemmt Sprinter
Warum eigentlich unterscheiden sich die Schwimm- von den Tauchspezialisten? Der Grund dürfte sein, dass ein Übermaß von festen, sauerstoffbindenden Bestandteilen das Blut recht zähflüssig macht. Das kann einerseits recht gefährlich werden (im Übrigen der Grund, warum der Hämatokritwert bei Radfahrern per Reglement begrenzt ist) und limitiert außerdem den Stoffaustausch bei kurzfristigen Spitzenbelastungen.

Dass an dieser Hypothese vermutlich etwas dran ist, zeigt noch ein dritter Befund: Den höchsten Neuroglobingehalt unter den Landtieren hatte der Rotfuchs - ein Räuber, der seine Beute durch überfallsartige Angriffe aus dem Hinterhalt erlegt, kurzum: ein typischer Sprinter. "Vielleicht ist es nicht nur das Luftanhalten, das den Globingehalt beeinflusst", sagt Willams. "Es könnten auch hohe Belastungsspitzen sein."
Jungbrunnen für das Hirn?
Das Ganze könnte auch einen medizinischen Nutzen haben, hofft Williams. Schlaganfälle, die bekanntlich durch eine gestörte Blutversorgung ausgelöst werden, könnten dereinst durch Eingriff in den Globinhaushalt des Gehirns verhindert oder zumindest abgeschwächt werden.

Eine andere mögliche Anwendung betrifft die schleichende Degeneration des Denkorgans: Grönlandwale werden mitunter mehr als 200 Jahre alt und leiden dennoch nicht an Schlaganfällen und dergleichen. Williams: "Diese Tiere haben offenbar das Problem der Hirnalterung gelöst. Die Neuroglobine zeigen uns vielleicht wie."

Robert Czepel, science.ORF.at, 19.12.07
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01.01.2010