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Männlicher Humor: Vielleicht nur versteckte Aggression  
  Männer machen gerne Witze - das besagt zumindest ein gängiges Klischee. Mit einer ungewöhnlichen Methode versuchte ein britischer Wissenschaftler, diese Meinung zu überprüfen. Ein Jahr lang bewegte er sich mit einem Einrad durch die Straßen seiner Heimatstadt und sammelte die Reaktionen auf diese eher unübliche Fortbewegungsart. Dabei zeigte sich tatsächlich, dass erwachsene Männer - im Gegensatz zu Frauen, Kindern und Jugendlichen - überwiegend mit Humor reagierten.  
Der Humor sei eine maskierte Form der Aggression, so die gewagte These von Sam Shuster. Davon berichtet er in der aktuellen Ausgabe des "British Medical Journal".
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Der Artikel "Sex, aggression, and humour: responses to unicycling" von Sam Shuster ist im "British Medical Journal" (Bd. 355, 22-29. Dezember) erschienen.
->   British Medical Journal
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Stereotype Verhaltensweisen
Mehr als Hobby begann der pensionierte Mediziner Shuster seine Beobachtungsstudie, bei der er die verschiedenen Reaktionen von Passanten auf seine ungewöhnliche Fortbewegungsart, nämlich die auf einem Einrad, aufzeichnete. Dabei stellte er auffallend viele immer wiederkehrende Stereotypen und vorhersagbare Verhaltensweisen fest.

Von da an ging er das Ganze systematischer an. In neutraler Kleidung und Haltung radelte er durch die Straßen von Newcastle upon Tyne. Er sammelte Details zu den Reaktionen selbst und zu den Personen, die sie vollzogen hatten, wie etwa geschätztes Alter, Geschlecht, Sprache oder Status. Am Ende eines Jahres hatte er über 400 Einzelbeobachtungen zusammengetragen.
Weibliche Bewunderung und männliche Abfälligkeit
Insgesamt zeigten nur fünf Prozent gar keine Regung, mehr als 90 Prozent reagierten köperlich - manche starrten ihn verwundert an, andere winkten oder lächelten. Fast 50 Prozent reagierten auch verbal, generell mehr Männer als Frauen. Hier waren die Geschlechtsunterschiede am deutlichsten.

"Bei ihnen sieht das so einfach aus", so oder ähnlich drückten etwa 95 Prozent der Frauen ihre Anerkennung, Bewunderung oder auch Sorge aus, wohingegen nur 25 Prozent der männlichen Kommentare in diese Kategorie fielen. Diese versuchten nämlich mehrheitlich, also zu 75 Prozent, witzig zu sein, meist eher höhnisch und abfällig.

Laut dem Mediziner deutete die Art der Äußerung zusätzlich daraufhin, dass sich die Kommentatoren selbst für besonders komisch und originell hielten, auch wenn weder das eine noch das andere der Fall war. Tatsächlich war der Inhalt der Bemerkungen nämlich meist sehr ähnlich, am häufigsten wurde auf die Anzahl der Räder oder die fehlende Lenkstange verwiesen. "Hast du etwa ein Rad verloren?", so lautet eine der Anmerkungen, die Shuster oft zu hören kriegte.
Mit dem Alter verändert sich das Verhalten
Der fitte Pensionist stellte fest, dass sich das männliche Verhalten mit zunehmenden Alter stark veränderte. Kinder, egal welches Geschlecht, waren meist sehr neugierig. Mit elf bis 13 Jahren reagierten die meisten Buben sehr aggressiv - meist verbal, aber auch physisch.

Bei den männlichen Jugendlichen wandle sich laut Shuster diese Aggression allmählich in abwertende und verunglimpfende Witze. Am Ende stünde der typische männliche Erwachsenenhumor mit versteckter Aggression. Erst Männer im fortgeschrittenen Alter werden wieder neutraler und freundlicher.

Auch bei den Frauen änderten sich die Verhaltensweisen. In der Pubertät waren diese eher gleichgültig oder leicht positiv, im Erwachsenenalter dann fast einheitlich zustimmend oder betroffen. Nur ganz selten machten Mädchen in männlicher Begleitung auch Männerwitze.
Hormonspiegel steuert Reaktionen
Auch wenn die Studie nur semi-quantitativ ist, wie der Autor einräumt, liefern die signifikanten Unterschiede ein recht eindeutiges Bild.

Genetische Variationen könnten zwar die Geschlechtsdifferenz erklären, aber nicht die altersabhängigen Veränderungen der männlichen Reaktionen. Shuster hält es deshalb für sehr wahrscheinlich, dass diese Entwicklung eine Folge des veränderlichen männlichen Hormonspiegels ist. So steigt die Konzentration von Testosteron in der Pubertät signifikant an und fällt erst im höheren Alter allmählich wieder ab.

Interessant in Hinblick auf die Evolution des Humors findet der Autor besonders die Tatsache, dass die offene Aggression im Lauf der Zeit verbal kanalisiert und in mehr oder weniger subtilen Witzen versteckt wird.
Kontrollierter Kampf und sexuelle Attraktion
Kann man daraus nun schließen, dass Humor sich generell aus Aggression entwickelt? Indizien dafür gebe es laut Shuster einige. So hätten etwa bestimmte Scherze oder Schlagfertigkeit sehr viel gemein mit Aggression. Diese Art des Humors biete die Möglichkeit, kontrollierte Kämpfe auszutragen.

Abschließend spekuliert der Autor, dass männlicher Humor auch bei der sexuellen Selektion eine entscheidende Rolle spielt - es sei ja bekannt, dass Frauen Männer mit Witz bevorzugen. Unter Umständen signalisiere er einfach einen hohen Testosteronspiegel.

Ohne aggressionsfördernde Androgene wären vielleicht alle Menschen - also auch Männer - zwar weniger witzige, dafür aber warmherzige, tolerante und freundliche Wesen. Möglicherweise sei die männliche Aggression doch ein zu hoher Preis für den Humor, so Shuster.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 21.10.07
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Humor wirkt geschlechtsspezifisch (8.11.05)
->   Der lustigste Witz der Welt (4.10.02)
 
 
 
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01.01.2010