News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Künstliche pluripotente Zellen - ethisch unbedenklich?  
  Die Forschung mit embryonalen Stammzellen gilt als ethisch umstritten. "Reprogrammierte" Hautzellen, die ähnliche Eigenschaften haben, könnten sie künftig ersetzen. Ist damit auch die ethische Diskussion rund um die Stammzellenforschung obsolet?  
Reprogrammierte Körperzellen als Alternative
Der Schlüssel zur ethisch korrekten Stammzellenforschung scheint gefunden: Japanischen und amerikanischen Wissenschaftlern ist es vor kurzem gelungen, mittels eingeschleuster Gene menschliche Hautzellen in pluripotente Stammzellen umzuwandeln.

Diese "reprogrammierten" Körperzellen weisen die Eigenschaften von embryonalen Stammzellen auf: Sie sind in der Lage, sich in jeden Zelltyp zu entwickeln und haben damit das Potenzial eines maßgeschneiderten Ersatzgewebes beziehungsweise Zellen.
Beginn einer Diskussion
Die umstrittene Forschung an embryonalen Stammzellen sei damit also obsolet, tönt es aus den verschiedensten politischen Reihen. Es benötige künftig weder befruchtete Eizellen, noch müsse man Embryonen töten, um in der regenerativen Medizin entscheidend vorankommen zu können. Ist damit jetzt auch die ethische Diskussion rund um die Stammzellenforschung hinfällig?

Während in Deutschland bereits heftig über die politischen, wirtschaftlichen und vor allem über die ethischen Konsequenzen dieser wissenschaftlichen Errungenschaft diskutiert wird, regt sich nun auch in Österreich langsam die Debatte über die Bedeutung und die Auswirkungen der neuen Methode.
...
Die Bioethikkommission und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin haben für 17. und 18. Jänner 2008 eine Fachtagung angesetzt, um sich den "reprogrammierten Körperzellen" zu widmen.
->   Mehr zur Fachtagung
...
Theologen sind erfreut
"Es macht tatsächlich den Anschein, als ob durch diese Methode die embryonale Stammzellenforschung obsolet werden könnte", meint der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner. "Das heißt aber nicht, dass es damit keiner ethischen Betrachtung und Diskussion mehr benötige."

Die Ethik sei nicht per se ein Widerspruch zur Wissenschaft, sondern die Aufforderung, ethisch bessere Methoden zu finden. Wenn also mit diesen "reprogrammierten Körperzellen" die Gewinnung von Stammzellen nicht mehr auf Kosten von Embryonen gehe, dann sei dies sicherlich gut.

"Die Forschung ist umso besser, je ethisch korrekter sie handelt. Und die Wissenschaft kann immer zu ethischen Lösungen finden", so der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien. "Eine wachsame Sensibilität sollte man sich aber immer bewahren."
Totipotente Stammzellen nicht in Sicht ...
Denn es stellt sich die Frage: Wenn Forscher in der Lage sind, pluripotente Stammzellen herzustellen: Warum soll es dann auch nicht möglich sein, Körperzellen soweit "zurückzuprogrammieren", dass sie wieder das volle Potenzial zur Entwicklung menschlichen Lebens haben?

"Die Rückprogrammierung zur so genannten totipotenten Stammzelle ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht denkbar", führt der Genetiker Markus Hengstschläger, Mitglied der Bioethikkommission, aus.
... sind aus theologischer Sicht aber wie Embryonen
Spätestens hier kommt das Thema wieder ins Fahrwasser der Diskussion der embryonalen Stammzellenforschung: Hat eine totipotente Stammzelle überhaupt einen mit Menschenleben vergleichbaren moralischen Status? Handelt es sich dabei um schützenswertes Leben? "Eine totipotente Zelle muss wie ein Embryo behandelt werden", meint dazu Sigrid Müller, Vorstand des Instituts für Moraltheologie an der Uni Wien.

"Und dort, wo die Grenze überschritten wird, dass sich wieder voll menschliches Leben entwickeln kann - wie dies bei einer totipotenten Stammzelle der Fall ist - kommen wir wieder unweigerlich auf die ethische Ebene der embryonalen Stammzellenforschung zurück." Es sei also eine trügerische Situation.
Neue moralische Diskrepanzen
"Diese neue Methode kann zwar tatsächlich für die Stammzellenforschung eine wesentliche Erleichterung bringen", resümiert die Mitarbeiterin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin.

"Aber es ist keine Absicherung und Garantie dafür, dass nicht neue moralische Diskrepanzen auftauchen, die es zu diskutieren gilt." Zulehner fügt hinzu: "Es besteht natürlich auch die Frage: Wie gewinne ich die Stammzellen? Geht das auf Kosten von menschlichen Leben?"
Geister werden sich weiter scheiden
Die ethische Diskussion ist also nicht obsolet. Ganz im Gegenteil erreicht sie eine neue Dimension. Ab wann reden wir von schützenswertem Menschenleben? Ab einer bestimmten Entwicklungsstufe des Nervensystems eines Fötus? Bereits bei der befruchteten Eizelle oder gar bei einer im Labor hergestellten totipotenten Stammzelle?

Generell werden sich wohl auch in Hinblick auf die neue Methode der "rückprogrammierten Köperzellen", der pluripotenten Stammzellen, die Geister scheiden.

"Letztlich ist dies ein gesellschaftskritischer Seismograf, der aufzeigt, wie wir generell mit Menschen beziehungsweise menschlichem Leben umgehen", so Müller.

Eva-Maria Gruber, 27.12.07
->   Bioethikkommission
->   Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Uni Wien
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Erste Therapie mit künstlichen Stammzellen (6.12.07)
->   Hautzellenverjüngung ohne Krebsgen (1.12.07)
->   "Jungbrunnen" macht aus Haut embryonale Stammzellen (20.11.07)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010