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Das Phänomen Barack Obama  
  Barack Obama bewegt die Massen. Bei den bisherigen Vorwahlen erhielt er nicht nur die Stimmen afroamerikanischer Wähler, sondern auch jene der Weißen. Günter Bischof, Direktor des CenterAustria an der University of New Orleans, sieht die Ursachen für Obamas Breitenwirkung vor allem in der Stoßrichtung seiner Politik: Sie habe sich von der konfrontativen Haltung der Bürgerrechtsbewegung emanzipiert - und ziele stattdessen auf Einigung ab.  
Keine Entscheidung nach Clinton-Siegen in Texas und Ohio
Von Günter Bischof

Am 4. März sind die Kandidaten der Demokratischen Partei, Hillary Rodham Clinton und Barack Hussein Obama, in die nächste Runde der Primaries gegangen. In Texas standen 193 und in Ohio 141 Wahlmännerstimmen auf dem Spiel - in den beiden großen Bundesstaaten sowie in Rhode Island hat Clinton gewonnen, Obama holte in Vermont den Sieg.

Der Kampf um die demokratische Nominierung bleibt somit spannend.
->   Clinton kann aufatmen (ORF.at)
Elf Siege in den Primaries zuvor
Die kompetente Wahlkampforganisation von Obama konnte sich zuvor über eine ununterbrochenen Serie von Siegen in den "Primairies" und "Caucuses" von elf Bundesstaaten freuen, darunter die jüngsten Erfolge in Wisconsin und Hawaii ("Aloha Obama" meinte CNN). Im Wahlkampfbüro der angeblich so abgekochten und erfahrenen Clinton kriselte es gewaltig.

Das Geld ging aus, die Wahlkampfmanager streiten untereinander und waren frustriert über die Obama-Siege.

Die gut organisierte Obama-Maschine hingegen lief wie geölt. Millionen an Wahlspenden von kleinen Leute laufen ein. Man hat bessere Unterstützung von den "grass roots".
Der nächste Kennedy?
 
Bild: EPA

Wie kommt es zu den phänomenalen Erfolgen des 46-jährigen Obama, dem so jugendlich wirkenden afro-amerikanischen Senator aus Illinois? Es besticht vor allem sein Idealismus und sein Charisma, was die rationale und emotionale Seite des Politischen anspricht. Seine rhetorische Eloquenz zieht tausende von Menschen zu seinen Wahlkampfveranstaltungen.

In seinen Reden geht er neben seinen Haupthemen (Irakkrieg, Gesundheitsvorsorge etc.) immer auch auf die lokalen Gegebenheiten ein (in New Orleans etwa den Wiederaufbau und Schutz der Stadt vor zukünftigen Hurricanes). In Houston jüngst waren es 20.000 - dabei fanden 10.000 keinen Einlass in die Arena. Seine mediale Attraktivität macht ihn zum Popstar der Politik mit ähnlichem Zuspruch einer nach Idealen suchenden Jugend wie John F. Kennedy 1960.
Versöhnlicher schwarzer Politiker
Obama gehört zu einer neuen Generation schwarzer Politiker, die die Konzilianz suchen und nicht die Konfrontation und Rassendifferenz pflegen. Damit praktizieren sie eine neue Politik, deren Anziehungskraft über ihre Hautfarbe hinausgeht, schreibt Peter Boyer im Magazin "New Yorker" in seinem faszinierenden Porträt von Cory Booker, dem schwarzen Bürgermeister von Newark, New Jersey.

Der ist nicht einmal 40 Jahre alt und wurde ebenfalls an "Ivy League"-Universitäten ausgebildet wie der Harvard-Absolvent Obama. Während ein Jesse Jackson bei seiner Kandidatur bei den Demokraten in den 1980er Jahren hauptsächlich schwarze Wähler anzog, erhält Obama inzwischen die Mehrheit der Stimmen der weißen Männer auch im Süden. Auch in der Primary des riesigen Bundesstaates Kalifornien wählten mehr weiße Wähler Obama als Clinton.
->   The New Yorker: The Color of Politics
Politik der Konfrontation ist Vergangenheit
Im Zentrum der Afro-Amerikanischen Existenz in der US-Geschichte stand der Kampf gegen die Ausbeutung der Weißen. Sie drängten seit dem Bürgerkrieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf die politische Gleichstellung. Aber erst hundert Jahre später gelang es ihnen, das allgemeine Wahlrecht zu erreichen. Daran hatten charismatische Führungsgestalten wie Martin Luther King Jr. entscheidenden Anteil. King, ein schwarzer Pastor, konnte wie Obama als begnadeter Redner die Massen bewegen.

Solange King mit seiner Ghandischen Taktik des gewaltlosen Protestes Veränderungen anstrebte, hatte er auch Rückhalt bei der liberalen weißen Mittelklasse. Als er aber nach 1965 die Konfrontation mit dem Mainstream suchte und damit begann, sich für die Rechte der Ärmsten und der Arbeitsklasse einzusetzen, verlor er diesen Rückhalt. Seine Kritik am Vietnamkrieg ("Amerika ist der größte Förderer von Gewalt in der Welt") und am Kapitalismus spülte ihn an die politische Randlage. 1968 wurde er von einem Fanatiker ermordet.
In den Fusstapfen der "Civil Rights"-Bewegung
1972 wurde die Kongressabgeordnete von Brooklyn, New York, Shirely Chisholm die erste schwarze Kandidatin und Frau, die sich in der Demokratischen Partei um die Präsidentschaft bewarb. Es war zu früh für einen schwarzen Kandidaten, und sie kam nicht weit.

Zwei Jahrzehnte später hatte Jesse Jackson, der Bürgerrechtskämpfer und Mitarbeiter von King, mehr Erfolg. 1984 gewann er fünf Primaries und Caucusus im Süden und erreichte respektable 21 Prozent der Stimmen, aber nur acht Prozent der Wahlmännerstimmen. 1988 brachte er es auf 1.218 Wahlmännerstimmen und gewann beinahe sieben Millionen Stimmen.

Jackson entschied respektable sieben Primaries (außer Puerto Rico alle im Süden) und vier Caucuses (drei davon im Norden) für sich. Am "Super Tuesday" 1988 konnte Jackson gut 90 Prozent bei schwarzen Wählern verbuchen, aber lediglich um die zehn Prozent bei weißen Wählern.
->   Jo Freeman: Shirley Chisholm's 1972 Presidential Campaign
->   Jesse Jackson - Wikipedia
Post-Bürgerrechtsbewegung
 
Bild: EPA

Bei Obmama sind es bei manchen Primaries über 50 Prozent der Weißen, die für ihn stimmen. So konnte Obama im sehr weißen und konservativen New Hampshire 37 Prozent der Stimmen verbuchen. Zum Vergleich: Jackson erhielt dort im Jahr 1988 nur acht Prozent.

Bei weißen Bürgern der Mittelklasse dürfte also Obamas versöhnliche Politik viel besser ankommen als die traditionelle radikalere Politik der Leute aus der Bürgerrechtsbewegung. Obama praktiziert eine "Post-Bürgerrechtsbewegungs"-Politik der politischen Mitte, die nicht seine schwarze Hautfarbe in den Mittelpunkt stellt.
->   Washington Post: Obama 2008 vs. Jackson 1988
Ende des Zynismus und Hoffnung auf Wende
Obama zieht vor allem die jungen Leute aller Ethnien an. Er reißt Studenten und Jugendliche aus ihrer politischen Apathie heraus und revolutioniert mit diesem Enthusiasmus der Uneingeweihten die amerikanische Politik. Beim amerikanischen Wähler hat sich während der acht Jahre fataler Bush-Politik ein gewaltiger Zynismus aufgestaut.

Dieser entlädt sich im Jubel und Trubel über Obama. Sein Hauptthema Wendepolitik ("change") gibt zahlreichen Amerikanern tatsächlich die Hoffnung auf einen Neubeginn. Selbst Teenager zeigen Begeisterung am politischen Geschehen. Die Töchter der Gouverneure von Kalifornien und Kansas, Arnold Schwarzenegger und Kathleen Sibelius, drängten ihre Eltern, Obama zu unterstützen.

Auch Caroline Kennedy, die älteste lebende Tochter von John F. Kennedy, schrieb im Jänner in der New York Times, dass sie Obama unterstützen werde. Diese ansteckende Begeisterung für den idealistischen und charismatischen Kandidaten wiederholt sich bei Millionen von jungen Leuten und weckt das Potential, die von Bush-Cheney so strapazierte amerikanische Demokratie zu erneuern.

[4.3.08]
->   NY Times: A President Like My Father
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Günter Bischof, ein gebürtiger Vorarlberger, ist Marshall Plan Professor für Geschichte und Direktor des CenterAustria an der University of New Orleans.
->   CenterAustria
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->   Barack Obama
 
 
 
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01.01.2010