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Wie Meerkatzen ihren Sprachschatz erweitern  
  Die Kombination bestehender Laute zu neuen Bedeutungen galt bislang als Spezialität der Menschen und der Singvögel. Eine neue Untersuchung zeigt: Auch Affen beherrschen die semantische Kombinatorik. Forscher vermuten, dass sie auf diese Weise ihr relativ beschränktes Rufrepertoire erweitern.  
Fadesse bei Primaten
Wer sich für Linguistik und Tiere interessiert, wandte sich bislang automatisch der Ornithologie zu: Im Reich der Vögel gibt es nicht nur komplexe, mitunter mehrstimmige Gesänge, sondern auch Imitation, Täuschung und sogar Fremdsprachenkenntnisse. Nimmt man den Menschen einmal aus, dann sind die Primaten in dieser Hinsicht eher schlichte Gemüter. Ihr Lautrepertoire ist meist begrenzt und überdies kaum wandelbar.

Dementsprechend ging man bisher davon aus, dass die Kombination von Morphemen, den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, den Vögeln und Menschen vorbehalten sei - nur sie könnten demzufolge Bedeutungskorpuskel zu größeren Einheiten mit neuem Sinn verschmelzen, die Primaten hingegen nicht. Dass diese Regel nicht ganz stimmt, zeigen Untersuchungen von Kate Arnold und Klaus Zuberbühler.
Leopard + Adler = Abmarsch
Die beiden Verhaltensforscher von der University of St. Andrews wiesen bereits vor zwei Jahren nach, dass Weißnasenmeerkatzen (Cercopithecus nictitans) je nach Feind unterschiedliche Alarmrufe verwenden und diese sogar zu einem dritten verschmelzen. Konkret handelt es sich dabei um die Laute "Pjiou" und "Heck". Erstere bedeuten, sofern mehrfach hintereinander gerufen, so viel wie: "Achtung, Leoparden in Sicht!". Mehrere "Hecks" hingegen warnen vor Adlern, also Feinden aus der Luft.

Die Kombination der beiden Laute indes setzt die Gruppe in Bewegung, und zwar viel stärker als die anderen Warnrufe. Die kombinierte Version könnte also in der Meerkatzensprache so viel heißen wie: "Abmarsch!" (Nature, Bd. 441, S. 303).
->   Audiofile: "Pjiou" und "Heck"
Drei Bedeutungen übertragen
Neue Experimente von Arnold und Zuberbühler zeigen nun, dass die Meerkatzen nur dann abmarschieren, sofern der Kombiruf von einem Männchen der eigenen Gruppe kommt (Current Biology Bd. 18, S. R202). Das weist darauf hin, dass die Meerkatzen dreierlei Informationen übermitteln: erstens das beobachtete Ereignis, zweitens die Identität des Rufers und drittens die Frage, ob der Rufer nun zu flüchten gedenkt oder nicht.
Zu viele oder zu wenige Laute?
Dass die dreifache Informationsvermittlung zum Teil mithilfe von Lautkombinationen geschieht, stehe durchaus im Gegensatz zur herkömmlichen linguistischen Theorie, betont Zuberbühler. Diese besagt nämlich, dass der Übergang zur kombinatorischen Sprache beim Menschen relativ spät stattgefunden habe.

Üblicherweise wird das so argumentiert: Die Zusammenfügung von Lauten zu neuen Einheiten sei entstanden, um die Zahl der bereits bestehenden Laute nicht unnötig anwachsen zu lassen - Silbenrecycling quasi.

"Unsere Studie zeigt, dass diese Annahme nicht stimmen muss", sagt Zuberbühler. "Weißnasenmeerkatzen besitzen ein sehr kleines Vokal-Repertoire und dennoch können wir bei ihnen kombinierte Signale mit Sinn beobachten." Die Limitierung auf der Lautebene lässt sich leicht erklären. Meerkatzen und andere Primaten besitzen eben keinen Stimmapparat wie der Mensch und können auch ihre Zunge bei weitem nicht so gut koordinieren.

"Der einzige Weg, dieser Beschränkung zu entgehen, ist die Kombination von Lauten zu komplexeren Gebilden", so Zuberbühler. "Das heißt, kombinatorische Signale sind vermutlich nicht deswegen entstanden, weil es zu viele Laute gegeben hat, sondern zu wenige."

[science.ORF.at, 11.3.08]
->   Klaus Zuberbühler
->   Scottish Primate Research Group
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01.01.2010