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Studie: Klimaforschung orientiert sich zunehmend an Medien  
  Ist wirklich der Mensch hauptverantwortlich für den Klimawandel? Laut einer Umfrage glaubt dies nur knapp die Hälfte aller deutschen Klimaforscher. In den Medien werde dennoch eine "Gewissheit" des anthropogenen Einflusses vermittelt, kritisiert eine deutsche Kommunikationswissenschaftlerin. Ihr zufolge ist es in den vergangenen Jahren zu einer Mediatisierung der Wissenschaft gekommen, die Klimaforschung orientiere sich zunehmend an der Berichterstattung.  
Weil Medien einen Hang zu einfachen Schlagzeilen und extremen Positionen haben, hätten die "Klimawarner" und ihre Katastrophenszenarien an Einfluss gewonnen, meint die Kommunikationswissenschaftlerin Senja Post von der Universität Mainz.

Sie hat in einer bisher einzigartigen Studie die Berichterstattung über den Klimawandel aus Sicht der Klimaforscher untersucht.

Österreichs Paradeklimaforscherin Helga Kromp-Kolb kritisiert die Studie und sieht grobe methodische Mängel.
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Das Buch zur Studie "Klimakatastrophe oder Katastrophenklima? Die Berichterstattung über den Klimawandel aus Sicht der Klimaforscher" ist vor kurzem im Verlag R. Fischer erschienen.
->   Das Buch
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Vor allem Geowissenschaftler, Physiker und Meteorologen
Klimaforschung ist eine in viele Teildisziplinen aufgeteilte Querschnittmaterie. Post identifizierte in einer Vorstudie deshalb 239 Klimaforscher, die die "unterschiedlichen Komponenten des Klimasystems erforschen und deren Untersuchungen von anderen Naturwissenschaftlern zur Kenntnis genommen werden". Konkret: Professoren, die an verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland tätig sind.

133 von ihnen nahmen im Sommer 2006 an einer Online-Befragung teil. Die meisten von ihnen haben Geowissenschaften (38 %), Physik (28 %) und Meteorologie (25 %) studiert. Dazu kommen Chemiker, Mathematiker, Biologen/Ökologen und Meereskundler.
Klimamodell-Forschung hat profitiert ...
62 Prozent der Befragten gaben an, dass die Berichterstattung in den Medien einen Einfluss auf die Ausrichtung der Klimaforschung genommen hat, fast drei Viertel sehen einen Zusammenhang mit der Zuweisung von Forschungsgeldern.

Bestimmte Richtungen der Klimaforschung würden eher gefördert als andere. Konkret glauben 85 Prozent der befragten Wissenschaftler, dass die Forschung zum menschlichen Einfluss auf das Klima profitiert hat. Für mehr als zwei Drittel ist dies bei der Entwicklung von Klimamodellen der Fall.
... "Naturforschung" und Paläoklimatologie weniger
Bei der Erforschung zu natürlicher Klimavariabilität sieht dies anders aus: Hier glaubt nur ein Drittel, dass durch die Berichterstattung mehr geforscht wird, ein Drittel meint, dass weniger geforscht wird, ein Drittel macht keine Angaben. Ähnlich sieht es auch bei den Auswirkungen auf die Paläoklimatologie aus.
46 Prozent sehen Menschen als Hauptverursacher
Am interessantesten erscheint die Einschätzung der Frage, was in den vergangenen 50 Jahren hauptverantwortlich für die beobachtete Klimaerwärmung war.

46 Prozent sehen im Menschen den Hauptverursacher, 27 Prozent den Menschen und natürliche Entwicklungen zu gleichen Teilen, elf Prozent sehen die Natur als Hauptursache, 17 Prozent enthalten sich einer Antwort.

74 Prozent meinen, die Leistungsfähigkeit von Klimamodellen werde heute weitgehend überschätzt. Eine Mehrheit der Befragten glaubt, dass die Voraussetzungen für die Berechenbarkeit des Klimas derzeit noch nicht gegeben sind.
"Skeptische Beobachter" und "überzeugte Warner"
In einem weiteren Schritt ermittelte Senja Post, die ihre Studie als Examensarbeit bei dem Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger geschrieben hat, drei Gruppen von Klimaforschern: die "skeptischen Beobachter", die "überzeugten Warner" und eine Mittelgruppe.

Die "skeptischen Beobachter" sind laut Post in erster Linie gegenüber der Prognosefähigkeit existierender Klimamodelle skeptisch. Die wenig schmeichelhaft "überzeugte Warner" genannten Forscher hingegen sind "weitgehend davon überzeugt, dass die Grundannahmen der Klimapolitik richtig und ihre methodischen und theoretischen Grundlagen solide sind". Alle drei Gruppen sind laut Post ungefähr gleich groß.

Während die "überzeugten Warner" glauben, dass sich die Klimaberichterstattung positiv auf alle Bereiche der Klimaforschung ausgewirkt hat, sehen das die "skeptischen Beobachter" anders. Sie meinen, dass die Erforschung von natürlicher Variabilität und von Paläoklimatologie gelitten hat.
Logik der Medien wirkt sich auf Forschung aus
Insgesamt, so schließt Senja Post, sei es zu einer Mediatisierung der Klimaforschung gekommen. Sowohl die Zuweisung von Finanzmitteln als auch die Ausrichtung der Disziplin werde in hohem Maß von der Berichterstattung beeinflusst.

Und dies von einer Berufsgruppe, denen die Forscher die wissenschaftliche Qualifikation überwiegend absprechen - den Journalisten. Extreme Positionen - etwa Horrorprognosen von Temperatur- oder Meeresanstieg - verspreche den Forschern mehr Medienpräsenz, und diese wirke sich umgekehrt wieder auf die eigene Disziplin aus.

In der Wissenschaft gebe es reges Interesse an ihrer Studie, sagt Senja Post vom Institut für Publizistik der Uni Mainz gegenüber science.ORF.at, Reaktionen aus der Politik seien bisher hingegen ausgeblieben.

Die bisher relativ geringe Öffentlichkeit, überrasche sie nicht, denn "es gibt Argumente und Zweifel, die nicht öffentlich kommuniziert werden".
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Online-Fragebogen zum Thema
Eine Psychologiestudentin der Universität Wien schreibt gerade ihre Diplomarbeit zum Thema "Darstellung des Klimawandels durch die Wissenschaft, die Politik, die Wirtschaft und die Medien". Sie bittet um Mithilfe, einen entsprechenden Online-Fragebogen auszufüllen.
->   Zum Online-Fragebogen
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Kritik von Österreichs Paradeforscherin
Helga Kromp-Kolb, Österreichs wohl bekannteste Klimaforscherin, kennt das Buch noch nicht, hat aber eine Zusammenfassung der Studie (Natur und Geist, Uni Mainz, S. 25 f) gelesen. Sie hält nach Lektüre der Zusammenfassung die Studienergebnisse für "begrenzt wertvoll" und "methodisch überprüfenswert".

In der Wissenschaft sei "Wahrheit" keine Frage von Umfragen, sondern der besseren Argumente, betont Kromp-Kolb gegenüber science.ORF.at. Und da habe die These der Treibhausgase klar die Nase vorne.
Wo bleibt die Politik?
Kromp-Kolb sieht mehrere methodische Fehler der Studie. "Sie tut so, als ob die Medien das Problem erfunden hätten. Das ist aber nicht der Fall. Der Klimawandel ist da, daher befassen sich sowohl Wissenschaft als auch Medien damit, und die Gesellschaft stellt über die Politik die Mittel für die Forschung zur Verfügung", meint die Klimaforscherin von der Universität für Bodenkultur in Wien (Boku).

"Wenn, dann beeinflussen die Medien die Politik, die das Geld den Wissenschaften zuteilt. Es ist auch nicht so, dass eine fixe Summe zur Verfügung gestellt wird, Mittel werden dorthin zugeteilt, wo die Gesellschaft glaubt, dass Bedarf besteht."
Bisher wenig Änderung in Forschungsförderung
Die Medien sind für Kromp-Kolb lediglich ein Spieler im gesellschaftlichen Geflecht.

"Natürlich hat mediale Aufmerksamkeit wichtige Folgen. Aber in den österreichischen Medien wird z.B. seit mindestens zwei Jahren intensiv über Klimawandel diskutiert, Forschungsgeld fließt aber de facto bisher in Modellstudien praktisch keines." Vielleicht werde sich dies über den neu eingerichteten Klimafonds ändern.
Andere Methoden sinnvoller
Dass heute mehr in Klimamodelle und Forschung zu menschlichem Einfluss auf das Klima investiert wird, ist für sie nachvollziehbar. Dies liege aber nicht an der Macht der Medien, sondern an den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung: "Wenn es wo gesellschaftlich so relevante Probleme gibt, beschäftigt man sich gottseidank auch damit", meint Kromp-Kolb gegenüber science.ORF.at.

Zudem könne man mögliche Verschiebungen in der Forschungsförderung methodisch anders untersuchen - etwa durch die Analyse der Fördervolumen der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Zweifel an Zahlen
Die 46 Prozent ihrer deutschen Kollegen, die die Hauptlast des Klimawandels beim Menschen suchen, akzeptiert sie so nicht.

"Es kommt immer auf die genaue Fragestellung und den Kontext an. Klimaskeptiker sind z.B. sehr gut darin, Fragen so zu formulieren, dass darauf gewünschte Antworten kommen. Zu diesen Praktiken gibt es bereits eigene Analysen."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 26.3.08
->   Die Welt: Die Klimaforscher sind sich längst nicht sicher (Kepplinger und Post)
->   Helga Kromp-Kolb, Boku
->   Institut für Publizistik, Uni Mainz
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Klimawandel
 
 
 
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01.01.2010