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Finanzkrise: Sucht nach hohen Renditen  
  Die gegenwärtige Finanzkrise wird zumeist verantwortungslosen Kreditvergabe- und Anlagepraktiken der Banken zugeschrieben. Die Ursachen aber liegen tiefer. Es sind weniger die Bankmanager als die Aktionäre und Kunden, die höhere, nur mit höherer Risikobereitschaft erzielbare Renditen verlangen, meint der Volkswirt Gunther Tichy von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.  
Vor allem aber wird weltweit mehr gespart als investiert, so dass interessante und sichere Anlagenmöglichkeiten rar geworden sind.

Auf die Notlage, als Folge des Überangebots an Ersparnissen vielfach nur noch hoch-riskante Anlagemöglichkeiten zu finden, reagierte der Finanzsektor mit den inzwischen berüchtigten Finanzinnovationen, schreibt Tichy in einem Gastbeitrag.
Die Zauberlehrlinge und die Finanzinnovationen
von Gunther Tichy

Grundidee der Finanzinnovationen war, höhere Risiken dadurch zu verkraften, dass das Risiko aufgeteilt und getrennt verkauft wird - an jeweils denjenigen, der es am besten tragen kann.

Bekanntlich enthält jede Anlage ein Schuldner- und ein Zinsrisiko, vielfach auch ein Länder- und ein Währungsrisiko. Abgetrennt können diese auf Derivatemärkten einzeln gehandelt werden, was die Möglichkeiten der Portefeuillegestaltung und damit auch der Vergabe riskanterer Kredite erhöht.
Spekulation mit relativ geringen Mitteln
Derivate dienten somit zunächst der Risikoaufteilung und der Absicherung; sie eignen sich durch ihren großen "Hebel" allerdings auch zur Spekulation: Mit relativ geringem Mitteleinsatz kann man ein großes Geschäft mit hohem Gewinn-, aber ebenso hohem Verlustpotential abschließen, wenn man bloß ein bestimmtes Risiko, nicht aber das Grundgeschäft übernimmt.

Und das geschieht inzwischen tatsächlich in enormen Maße, auch durch Geschäfte von Marktteilnehmern, deren Vermögen eigentlich zu klein ist, um die potentiellen Verluste zu tragen; zunehmend tummeln sich selbst Privatpersonen auf diesen Märkten, das Geschäft der Online-Broker floriert.

Der rein spekulative Anteil der Derivategeschäfte dominiert den Risiko-aufteilenden inzwischen bei Weitem. Soweit die Banken diese Spekulanten finanzieren, sind sie an deren Insolvenzrisiko zwangsläufig beteiligt.
Mathematik hilft bei Risikobewertung
Die Finanzinnovation der Derivate konnte sich vor allem deswegen durchsetzen, weil die Wissenschaft zugleich hochkomplexe mathematische Instrumente zur Risikoabschätzung und -vorsorge entwickelt und verfeinert hatte, etwa QRM (qualitative risk management), mit denen die Risikostruktur der Portefeuilles optimiert werden kann. Sie werden weithin angewendet.

Die Zauberlehrlinge in den Direktionsetagen übersahen allerdings, dass diese Instrumente auf "normale", in der Vergangenheit beobachtete Risiken abstellen, nicht auf die sehr viel selteneren ganz großen. Sie hätten daher nicht mechanisch angewendet werden sondern bloß die Ausgangsbasis für tiefer reichende Analysen des Portfolios bilden dürfen.

Unter dem Druck der Konkurrenz wird das jedoch selbst von soliden Banken gerne vernachlässigt, sodass rasch das Limit erreicht wird und jede Sicherheitsmarge für außergewöhnliche Risiken fehlt. Man verließ sich auf die mathematischen Formeln und glaubte dadurch auf spezifische Analysen verzichten zu können.
Trügerische Sicherheiten
Ähnliches gilt für das Vertrauen in das relativ neue Instrument der Kreditversicherung: Die meisten der subprime Kredite an amerikanische Hauskäufer waren versichert - gegen die Zahlungsunfähigkeit des jeweiligen Schuldners.

Sie waren also "sicher", und erst das ermöglichte ihr "bundling", ihre Zusammenfassung zu Paketen, deren Verbriefung und Weiterverkauf.

Jeder Einzelkredit in diesem Paket war auch tatsächlich sicher - weil versichert; gegen das "Makro-Ereignis" der gleichzeitigen Zahlungsunfähigkeit eines Großteils der Schuldner konnte die Versicherung - wie sich zeigte - jedoch keine entsprechende Vorsorge bieten.
Auswege: Neuordnung der Finanzmärkte
Ob die gegenwärtige subprime crisis eine Rezession auslösen wird oder nicht, ob die Finanzinstitutionen aus der Krise lernen - diese viel diskutieren Fragen sind nicht die zentralen. Sie zielen auf die Folgen, nicht auf die grundlegenden Ursachen. Diese sind in der Dominanz der Finanzmärkte und in der mangelnden Regulierung der neuen Finanzmärkte zu finden.

Das grundlegende Problem der Dominanz der Finanzmärkte über die realen, der Finanzmanager über die Unternehmer, der Besteuerungsvorteile von Geld- gegenüber Sachvermögen, kann hier nicht behandelt werden; es wird uns noch lange beschäftigen.

Die Neuordnung der Regulierung der Finanzmärkte, die die institutionellen Änderungen der letzten Jahre berücksichtigt, ist die dringendere Aufgabe.
Finanzlobbies wehren sich
Die gegenwärtige Regulierung des Finanzwesens konzentriert sich auf die Banken im engeren Sinn: Sie setzt an deren Bilanzen an und beschränkt Geldschöpfung wie Kreditvergabepotential in Relation zu den Eigenmitteln. Das ist nicht unwichtig, doch die gegenwärtige Krise zeigt, dass die Risken und Gefahren außerhalb der Bilanzen und auch außerhalb der Banken im engeren Sinne liegen.

Es ist vor allem der geringe Mitteleinsatz - der große "Hebel" -, der die Spekulation mit den Instrumenten der Finanzinnovationen so beliebt und zugleich so gefährlich macht.

Dass die Eigenkapitalerfordernisse für diese Transaktionen erheblich angehoben (der "Hebel" also verkleinert) werden sollte, dass die außerbilanziellen Transaktionen der Banken stärker reguliert und die sonstigen Finanzinstitutionen in die Regulierung einbezogen werden, dass die Vergütungsysteme der Manager so modifiziert werden, dass diese nicht zur Orientierung am kurzfristigen Gewinn gezwungen sind, das alles wurde schon oft gefordert und ist eigentlich unumstritten, es scheiterte jedoch bisher an der Macht der Finanzlobbies.

Es ist zu hoffen (aber keineswegs sicher), dass die gegenwärtige Krise diesen Widerstand wenigstens gemildert hat.
Wunder sind nicht möglich
Wie man allerdings vermögenden Menschen, die offenbar intelligent und beruflich erfolgreich sind oder jedenfalls waren, klar machen kann, dass sie durch Anlagen mit dem Versprechen zweistelliger Renditen (in einer Wirtschaft die mit niedrigen einstelligen Raten wächst) letztlich ärmer und nicht reicher werden, dafür wurde bisher kein Rezept gefunden.

Ob sie diesmal gelernt haben?

[18.4.08]
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Über den Autor
Tichy Gunther, Univ.-Prof. i. R. Dr., Karl-Franzens Universität Graz, Österreichische Akademie der Wissenschaften
->   Gunther Tichy, ÖAW
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01.01.2010