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Das "Wunderteam": Die Geschichte einer Ikone  
  Das Ölbild des "Wunderteams" der 1930er Jahre mit Mittelstürmer Matthias Sindelar und Teamchef Hugo Meisl ist zumindest allen Fußballfans ein Begriff. Weniger bekannt ist die Entstehungsgeschichte dieser Ikone des heimischen Sports. Bei einer Ausstellung in Wien wird sie erstmals nach Jahrzehnten wieder einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.  
Die Geschichte hinter dem Ölbild sagt auch viel über das Österreich der Nachkriegszeit aus: Hauptbeteiligt sind ein kommunistischer Kulturstadtrat und der Künstler, ein ehemaliger Nazi.

Nachgezeichnet hat die Geschichte die Kulturwissenschaftlerin Lisa Wögenstein anlässlich einer am Mittwochabend eröffneten Ausstellung im Wien Museum.
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Die Ausstellung "Wo die Wuchtel fliegt. Legendäre Orte des Wiener Fußballs" ist von 24. April bis 3. August 2008 geöffnet.
->   Die Ausstellung im Wien Museum
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Nazi als Maler, Kommunist als Auftraggeber
Ob Paul Meissner, der Maler des Werks, nur "normaler Nationalsozialist" gewesen ist oder vielmehr ein "Illegaler" und SA-Mitglied, war Gegenstand einer längeren juristischen Auseinandersetzung.

Beendet wurde sie laut Wögenstein 1948 von der zuständigen Behörde mit dem Urteil, dass Meissner sich während des NS-Zeit zwar damit rühmte, ein "Illegaler" gewesen zu sein, es aber in Wirklichkeit gar nicht gewesen ist.

Einer der Fürsprecher für Paul Meissner war Viktor Matejka, der weit über die Nachkriegszeit berühmte Kulturstadtrat von Wien und Kommunist, der sein Amt unter der Konzentrationsregierung von ÖVP, SPÖ und KPÖ angetreten hat. Er hielt Meissner ausdrücklich für einen der "begabtesten Porträtmaler" der Stadt und lud ihn deshalb im Frühjahr 1948 ein, ein Ölbild des Wunderteams zu malen.
Das Wunderteam in Öl
 
Bild: Wien Museum

Das Wunderteam von Paul Meissner, Ölmalerei, 200 x 160 cm auf Pressholz mit Rasterrahmen

Für alle, die sich in der Fußballhistoriographie des Landes nicht so gut auskennen: Mit dem Wunderteam wird jenes österreichische Nationalteam der frühen 1930er Jahre gemeint, das um den Teamchef Hugo Meisl europaweit einige Jahre lang für Furore sorgte. 14 Spiele in Folge blieb die Mannschaft mit dem Austria-Stürmer Matthias Sindelar ungeschlagen, ehe sie durch eine Niederlage zur eigentlichen Legende wurde.

Am 7. Dezember 1932 spielte das Wunderteam im Londoner Stadion an der Stamford Bridge gegen die bis dahin in ihrer Heimat unbesiegten Engländer. Nach einem ausgeglichenen Spiel gingen die Österreicher mit einer 3:4-Niederlage vom Platz, hatten aber einen "moralischen Sieg" errungen, der von Hunderttausenden via Radio in Österreich mitverfolgt wurde.

Bei der Rückkehr des Teams kam es auf allen Bahnhöfen zu Volksfesten, am Wiener Westbahnhof fanden sich etwa Tausende Fans ein.
Das Bild einer jungen Nation
Für Viktor Matejka scheint das Bild des Wunderteams im Jahr 1948 ein guter Ausdruck gewesen zu sein für eine Nation, deren Bewohner sich bis vor kurzem mehrheitlich noch als Deutsche verstanden und die Eigenständigkeit Österreichs angezweifelt hatten. Seine Genossen hatten schon vor dem Krieg ein Konzept der nationalen Souveränität Österreichs entwickelt.

"Die österreichische Kultur ist eine universale Aufgabe ... Neben dem Wiederaufbau steht vordringlich ein Neubau, eine Weiterentwicklung, denn es gibt keinen Stillstand in der Geschichte", meinte Matejka kurz nach dem Krieg.

Zu diesem Neubau zählte auch die Rückbesinnung auf österreichische Qualitäten - wie jene des erfolgreichen "Scheiberlspiels" des Wunderteams.
Künstler später nicht sehr begeistert
Im November 1950 wurde das Ölbild von Paul Meissner bei einer Ausstellung im Palais Liechtenstein schließlich erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Meissner, Künstlerhaus-Mitglied und später längjähriger Präsident der Wiener Secession, hat die Herkunft des "Wunderteams" in Folge nicht gerade betont.

Auf der Homepage des 1983 verstorbenen Künstlers etwa gibt es zwar einen Rubrik "Wunderteam", die ist aber leer. Malte er zu Beginn seines Künstlerlebens vor allem figurativ, wandte er sich zunehmend abstrakten Arbeiten zu. Das "Wunderteam" geriet so fast zu einer Jugendsünde, wie Lisa Wögenstein meint.
Ikone, obwohl sie die wenigsten gesehen haben
Die Geschichte der Ikone des österreichischen Fußballs nach 1950 ist lückenhaft: Vermutlich lagerte das Bild die folgenden 14 Jahre in einem Depot des Historischen Museums der Stadt Wien, dem heutigen Wienmuseum. 1964 wurde es in einem Besprechungszimmer im Ernst-Happel-Stadion aufgehängt - wo es bis zur Präsentation der aktuellen Ausstellung auch geblieben ist.

Fragt sich nur, wie ein Gemälde, das kaum jemand in Österreich leibhaftig gesehen hat, derart zur Ikone werden konnte. Für Lisa Wögenstein war es die mediale Verbreitung des Bildes in Zeitungen oder Büchern, die für seine Popularität gesorgt haben. "Auch gibt es zahlreiche Fotoreproduktionen", sagte sie gegenüber science.ORF.at.

Ob das "Wunderteam" nach der aktuellen Ausstellung wieder in das Praterstadion wandert, ist noch ungewiss. Besser aufgehoben, so Lisa Wögenstein, wäre es an einem öffentlich zugänglichen Ort. Am liebsten im Rahmen einer Dauerausstellung im Wienmuseum, hofft die Kulturwissenschaftlerin.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 23.4.08
->   Hugo Meisl (FIFA)
->   Wunderteam (ÖFB)
->   Paul Meissner
 
 
 
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01.01.2010