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"Generation Praktikum" wächst weiter  
  Österreich folgt dem internationalen Trend: Immer mehr junge Menschen absolvieren Praktika. Bei Uni-Absolventen ist es mittlerweile die Hälfte, die versucht auf diese Weise im Berufsleben Tritt zu fassen. Die Probleme beschreibt die Soziologin Anna Schopf, Gründerin der "Plattform Generation Praktikum", in einem Gastbeitrag: Nur eine Minderheit ist während eines Praktikums angestellt, gar ein Drittel arbeitet gänzlich unbezahlt.  
JungakademikerInnen: Unentbehrlich aber un(ter)bezahlt
Von Anna Schopf

Bisher galten AkademikerInnen als privilegierte Gruppe am Arbeitsmarkt. Bildungsrenditen bestätigen, dass sich zumindest im Alters- und Geschlechterdurchschnitt höhere Bildung im Berufsleben bezahlt macht.

Anders sieht es in der Phase des Berufseinstiegs für AkademikerInnen aus. Die Gründe für die Schwierigkeiten liegen hauptsächlich im Wegfall des Öffentlichen Sektors als Arbeitgeber und der Forderung der Privatwirtschaft nach Praxisbezug und Verwertbarkeit von Wissen.

Die Entwicklung des Phänomens der so genannten "Generation Praktikum" ist ein Symptom dieser Veränderung.
Ausbildung und Berufserfahrung: Ein Widerspruch?
Die vermehrt geforderte "Employability" schafft die Grundlage dafür, dass die abgeschlossene Ausbildung alleine wenig zählt. Praxiserfahrung, die meist mit Berufserfahrung gleichgesetzt wird, gewinnt dagegen an Bedeutung.

Ohne Berufserfahrung ist es oftmals nur durch den "Türöffner" Praktikum möglich, in bestimmte Branchen einzusteigen. Doch es zeigt sich, dass genau diese Praktika von PersonalistInnen später nicht immer als Berufserfahrung gewertet werden.

"Generation Praktikum" in Österreich
Der realistische Blick auf dieses Phänomen wird wesentlich durch zwei Aspekte erschwert: die fehlende Datengrundlage und die in der Praxis oft unscharfe Verwendung des Begriffs "Praktikum".

Die von der Plattform Generation Praktikum durchgeführte Studie "Arbeit ohne Wert?" erforschte erstmalig die Strukturen der PraktikantInnenbeschäftigung in Österreich.
->   Download-Möglichkeit der Studie
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Veranstaltung im ORF KulturCafe
Vom 23.4. bis 4.5. widmet sich ein Ö1 Dossier dem Thema "Arbeit". In seinem Rahmen findet am Montag, 28.4., 18 Uhr, eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Und wovon leben Sie? Zwischen Flexibilität und Prekariat" statt.
Ort: ORF KulturCafe, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
->   Ö1 Dossier "Arbeit"
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Sehr unterschiedliche Dienstverhältnisse
Die Ursache für die Problematik ist schnell gefunden: Ein Praktikum ist sowohl ein Ausbildungs- als auch ein Arbeitsverhältnis. In der Praxis wird dies unterschiedlich "interpretiert", von regulären Dienstverhältnissen bis hin zu unbezahlter Schwarzarbeit.

Lediglich ein Viertel der Befragten gab an angestellt gewesen zu sein, ein weiteres Drittel konnte das Beschäftigungsverhältnis des letzten Praktikums gar nicht erst nennen. Theoretisch stellt ein Praktikum keine eigene Beschäftigungsform dar, sondern ist ein befristetes reguläres Dienstverhältnis.
Die Hälfte macht nach Uni-Abschluss ein Praktikum
Die Gruppe der PraktikantInnen ist sehr heterogen: Sowohl Studierende als auch HochschulabsolventInnen absolvieren während bzw. nach dem Studium (Pflicht-)Praktika. Bereits jede/r zweite/r AbsolventIn machte mindestens ein Praktikum nach dem Abschluss.

Je nach Gruppe unterschieden sich die Motive ein Praktikum zu machen und reichen von der Absolvierung des Pflichtpraktikums, über persönliches Interesse und Umsetzung von theoretischem Wissen bis hin zur Hoffnung dadurch eine Anstellung zu finden. Oftmals sind die Praktika nicht auf die jeweilige Gruppe zugeschnitten, Über bzw. Unterforderung sind die Folge.
Ein Drittel unbezahlt
Der Wirtschaftsfaktor "Praktikum" wurde bislang noch wenig analysiert, denn oftmals setzen Unternehmen Praktika als Kosteneinsparung ein, wie die Studie zeigt: ein Drittel der Praktika fand unbezahlt statt. Das Gefühl ausgenutzt zu werden war gerade bei den HochschulabsolventInnen stark ausgeprägt.

Meist wird ein Einkommensverlust durch Praktika mit Hilfe der Eltern, Beihilfen oder von Ersparnissen ausgeglichen. So machen sich unbezahlte Praktika kurz- und mittelfristig beim fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld und langfristig bei den fehlenden Versicherungszeiten in Hinblick auf die Pension bemerkbar.
Vor allem Frauen betroffen
Es zeigte sich, dass Frauen insgesamt mehr (unbezahlte) Praktika absolvierten als Männer. Hier wird bereits eine Basis für den späteren (oft atypischen) Berufsverlauf gelegt. Praktika in ihrer Funktion als berufliche Sozialisierung spielen auch in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle.

Praktika fanden verstärkt in Branchen mit einem hohen Anteil an atypischer Beschäftigung statt, wie zum Beispiel der Medienbranche, dem Kunst- und Kulturbereich oder auch im Wissenschafts- und Non-Profit-Bereich.
Die Plattform Generation Praktikum
Die österreichische Plattform Generation Praktikum wurde 2006 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, Praktika-Bedingungen zu erforschen, öffentliches Bewusstsein für die Probleme von PraktikantInnen zu schaffen und gemeinsam mit Institutionen konstruktive Lösungen zu finden.

Die Plattform spricht sich vor allem für den Ausbildungscharakter von Praktika aus und fordert faire Bedingungen für jene, die während des Studiums (Pflicht-)Praktika absolvieren. Das bedeutet auch Universitäten und Fachhochschulen zur Verantwortung zu ziehen, Pflichtpraktika (nur) als reguläre Dienstverhältnisse zu akzeptieren. In einigen Kollektivverträgen werden Pflichtpraktika bereits geregelt.

Für AbsolventInnen fordert die Plattform Einsteigerjobs, die als solche sozialrechtlich abgesichert sind und den Übergang vom Ausbildungssystem in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Die Plattform ist seit 2007 Mitglied des Netzwerks Generation P, derzeit läuft die Petition für faire Praktika, die auf europäischer Ebene ansetzt und die Erforschung der Problematik und die Schaffung von Mindeststandards einfordert.

[25.4.08]
Über die Autorin
Maga Anna Schopf, geboren 1981, studierte Soziologie und Kommunikationswissenschaft und gründete 2006 die Plattform Generation Praktikum. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut des Wiener Roten Kreuzes tätig.
->   Plattform Generation Praktikum
->   Laufende Petition für faire Praktika
->   Netzwerk Generation P
 
 
 
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01.01.2010