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Mit der Biologie den Mördern auf der Spur  
  Pollen und Pilzsporen können Mörder überführen. Am Botanischen Institut der Universität Wien steigt man nach 40 Jahren wieder in ein Arbeitsgebiet ein, das vor 50 Jahren hier entstanden ist: die Pollenforensik.  
Mit fossilen Pollen zum Tatort
Spillern bei Wien 1959: Zwei Freunde gehen entlang der Donau spazieren, der eine wird kurz darauf vermisst. Der andere, bereits polizeibekannt, gilt als Hauptverdächtiger, in seiner Wohnung wird eine Waffe gefunden. Er äußert sich jedoch nicht zum Fundort der Leiche, führt die Polizei immer wieder an falsche Stellen.

Erst durch die Arbeit des Wiener Botanikers Wilhelm Klaus wird der Tote entdeckt. Klaus fand an der Kleidung des Täters fossilen Pollen der Hickory-Nuss. Diese wuchs in der Nähe Wiens nur in einem kleinen Gebiet bei Spillern. Mit dieser Erkenntnis konfrontiert soll der Täter so überrascht gewesen sein, dass er die Polizei letztlich zur Leiche führte.

Dies war der erste Fall in der Geschichte der Kriminologie, bei dem Pollen zur Überführung eines Täters beigetragen haben.
Ausnahmewissenschaft
Was durch Fernsehsendungen wie CSI heute nach täglicher Routine in der Polizeiarbeit aussieht, ist im wirklichen Leben weitaus seltener: Weltweit arbeiten nur wenige Experten auf dem Gebiet der forensischen Palynologie, verwenden also Pollen, um kriminologische Beweise zu finden. Lediglich in England, Neuseeland und den USA sichert man Spuren auf diese Art. Die Abteilung für Palynologie und strukturelle Biologie am Botanischen Institut der Universität Wien hat letzte Woche drei der Experten zu einem Vortrag nach Wien eingeladen.

Die Ökologin und Palynologin Patricia Wiltshire von der Universität Aberdeen ist eine von ihnen. Sie hat in den letzten 15 Jahren 200 Fälle bearbeitet und bei allen zur Überführung der Täter beigetragen. "Es braucht viele Jahre an Erfahrung, um als Palynologin forensisch arbeiten zu können", sagt sie. "Im Zeugenstand vor Gericht wird man von Anwälten in der Luft zerrissen, wenn man nicht exakt argumentiert oder unvoreingenommen und mit viel Expertenwissen an die Sache heran gehen kann", so Wiltshire.
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Die Abteilung für Palynologie und strukturelle Botanik an der Universität Wien hat eine öffentlich zugängliche Pollendatenbank angelegt.
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Jeder Kontakt hinterlässt Spuren
Pollen an der Kleidung von Mördern können, wie in dem erwähnten Wiener Kriminalfall, dazu verwendet werden, den Ort der Leiche aufzuspüren, wenn der Täter diesen nicht verrät. Pollen kannTäter aber auch beim Nachweis der Tat ins Schwitzen bringen: Wenn ein Verdächtiger leugnet, am Tatort gewesen zu sein, kann ihm durch die pflanzlichen Spuren das Gegenteil bewiesen werden.

Der Franzose Edmond Locard, ein Pionier der Forensik, hat im zwanzigsten Jahrhundert eine grundlegende Erkenntnis für diese Wissenschaft formuliert, die heute als Locard-Prinzip bekannt ist: Jeder Kontakt hinterlässt Spuren.

"Man entkommt Pollen nicht", sagt Wiltshire. In einem Fall konnte sie den Tatort einer Leiche anhand von Spuren ausfindig machen, die noch vier Monate nach der Tat an Gegenständen des Täters zu finden waren.
Starke Nerven
Forensische Palynologen sicher ihre Spuren nicht nur an Tätern, auch an den Leichen. "Man muss eine starke Persönlichkeit sein und braucht starke Nerven", sagt Wiltshire.

Die forensische Palynologie ist ein Teilgebiet der Kriminalbiologie. Wissenschaftlerinnen kombinieren die Pollenspuren beim Lösen kriminologischer Rätsel mit anderen Hinweisen.

Wiltshire konnte in einem ihrer Fälle den Ort, an dem eine Leiche versteckt wurde, auf diese Weise bis auf wenige Meter genau bestimmen: Erdspuren an der Kleidung des Täters verrieten ihr, dass es sich um ein Moor handeln muss, der Pollen bestimmter Bäume deutete auf eine kleine Region an der englischen Westküste hin und parasitische Eier von Würmern, die Frösche befallen, verrieten, dass die Leiche in der Nähe eines Gewässers versteckt sein muss.

Das Gebiet konnte dann durch Augenzeugen, die das Auto des Verdächtigen in der Region gesehen hatten, näher eingeschränkt werden. Spürhunde fanden dann die Leiche - an einem Fluss im Moor zwischen Bäumen.
Das Gras, das über den Gräbern wächst
Mit geschultem Blick können die Biologen den Fundort einer Leiche schnell erkennen. Auch wenn ein Grab wieder zugewachsen ist: Biologen erkennen den Unterschied an nachgewachsenen Pflanzen sofort. Selbst eine auf einer Wiese abgelegte Schaufel hinterlässt für längere Zeit Spuren im Bewuchs.

Mit Kombinationsgabe und biologischem Fachwissen lässt sich auch bestimmen, wann eine Leiche an einem Fundort abgelegt wurde. Nachwachsende Seitentriebe an abgebrochenen Ästen geben auf wenige Tage genau an, wann der Ast abgebrochen wurde. Liegt eine Leiche etwa auf Pflanzen, von denen eine gerade blühte, ehe sie überdeckt wurde, eine andere gerade noch keine Früchte trug, können die Biologen bis auf wenige Tage oder Wochen genau feststellen, wann der Mörder die Leiche versteckt hat.
Allgegenwärtige Pilze
Seit etwa zwei Jahren ist die Kriminalbiologie um ein Arbeitsfeld reicher: In der so genannten forensischen Mykologie sucht man anstatt nach Pollen nach Pilzsporen. David Hawksworth von der Universität Gloucestershire ist einer der Pioniere auf diesem Gebiet. "Pilzsporen finden sich überall: An Bäumen, auf Parkbänken, selbst auf Computern", sagt er.

Wer Pilze zur Überführung von Tätern verwenden möchte, steht vor einem besonderen Problem: Laut Hawksworth könnte es weltweit an die 1,5 Millionen Pilze geben aber nur 100.000 sind derzeit bekannt. Und nur, wenn man den Pilz und seine Verbreitung kennt, lassen sich die Sporen für die Spurensuche verwenden.

Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit zum ersten Mal Pollen zur Überführung eines Täters beigetragen hat. Vor kurzen hat sich die Polizei erneut an das botanische Institut in Wien gewandt: Wie oft bei Mordfällen stimmen der Fundort einer Frauenleiche und der Tatort nicht überein. Die Botaniker sollen nun den Tatort herausfinden. "Palynologie ist eine wenig beachtete Grundlagenforschung", sagt Martina Weber vom botanischen Institut. Mit der praktischen Anwendung in der Kriminalistik könnte sich dieses Bild ändern.

Mark Hammer, science.ORF.at, 13.5.08
->   Martina Weber
->   Patricia Wiltshire
->   David Hawksworth
->   Buch Kriminalbiologie (Springer 2007)
->   Edmond Locard
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01.01.2010