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Astronautenalltag: Blitze im Hirn  
  Viele Astronauten sehen während ihres Aufenthaltes im Weltraum mysteriöse Lichtblitze - auch mit geschlossenen Augen. Vermutlich lösen kosmische Strahlen das Phänomen aus, weil sie bisweilen mit dem Auge reagieren. Möglich wäre auch, dass sie durch das Hirn der Astronauten rasen.  
Hypothese: Reaktion wie im Kernkraftwerk
Als Buzz Aldrin und Neil Armstrong nach der ersten Mondlandung auf die Erde zurückkehrten, berichteten sie von eigenartigen Blitzen, die sie während ihre Fluges wahrgenommen hätten. Dutzende andere Astronauten bestätigten später diese Berichte: Der Aufenthalt im Weltraum wird in der Regel von mysteriösen visuellen Wahrnehmungen begleitet - und zwar unabhängig davon, ob nun die Augen geschlossen sind oder nicht.

Einer aktuellen Untersuchung des schwedischen Physikers und ESA-Astronauten Arne Christer Fuglesang zufolge haben acht von zehn Astronauten bereits diese Erfahrung gemacht.

Die NASA führte in dieser Angelegenheit bereits im Jahr 1969 eine Untersuchung durch und kam zu dem Schluss, dass die "Phosphene", wie man die seltsamen Blitzerscheinungen auch nennt, durch kosmische Teilchen hervorgerufen werden, sofern deren Flugbahn das Auge des Astronauten kreuzt.

Zunächst vermutete man, dass dahinter ein physikalischer Effekt namens Tscherenkow-Strahlung steht. Ein Beispiel dafür ist das blaue Licht, das man im Abklingbecken von Kernkraftwerken beobachten kann. Die Lichterscheinung wird durch Elektronen erzeugt, die durch das Wasserbecken rasen. NASA-Forscher meinten zunächst, dass im (flüssigkeitsgefüllten) Augapfel der Astronauten etwas ähnliches passieren würde. Versuche sprechen aber gegen diese Theorie.
Experiment: Kopf im Teilchenstrahl
In den frühen 1970ern machte der US-Physiker Peter Mc Nulty die Probe aufs Exempel und legte sich selbst unter einen Teilchenstrahl, der am Teilchenbeschleuniger der Princeton University erzeugt worden war.

Ohne Zweifel ein ungewöhnlicher Selbstversuch, den die Universität auch nur unter gewissen Auflagen bewilligte, wie Mc Nulty in der aktuellen Ausgabe des "New Scientist" (31. Mai 08, S. 40) erzählt: "Princeton gab nur unter der Bedingung die Zustimmung, dass wir dafür nicht unsere Studenten einspannen."

Und so musste der Professor selbst ran. Die Versuche bestätigten zunächst die Teilchenhypothese, auch Mc Nulty nahm die Phosphene wahr, sofern er den Kopf in den Teilchenstrahl hielt. Allerdings blitzte es in seinem Sehfeld auch dann, wenn die Energie der Teilchen deutlich unter der Tscherenkow-Schwelle lag. Dieser Aspekt der Theorie war damit wiederlegt.
Reaktion im Auge - oder im Hirn
Mc Nulty vermutete hingegen, dass nicht Photonen im Augapfel für das Phänomen verantwortlich seien, sondern dass Teilchen direkt mit Nervenzellen reagieren würden.

Seit den Arbeiten des deutschen Physiologen Johannes Müller aus dem frühen 19. Jahrhundert wissen wir, dass Sinnesreize auch durch "unpassende" Stimuli entstehen können. Die Sterne, die man nach einem Faustschlag aufs Auge sieht, sind etwa ein Beispiel dafür, das subjektive Hitzegefühl nach dem Verzehr einer scharfen Mahlzeit ebenfalls.

Daher ging Mc Nulty davon aus, dass die Phosphene durch eine physikalische Reaktion in der Netzhaut bzw. im Sehnerv entstehen. Das ist durchaus plausibel, allerdings spricht auch nichts dagegen, dass die ursächliche Reaktion einige Stockwerke höher, sprich: in den visuellen Arealen der Hirnrinde passiert.
Ein Sicherheitsproblem?
 
Bild: NASA

In diesem Fall müsste man sich ein wenig Sorgen um die Gesundheit der Astronauten machen, betont der italienische Physiker Livio Narici. "Wir wissen nicht, ob es irgendwelche Langzeiteffekte gibt."

Ebenfalls nachdenklich stimmt folgende Überlegung: Wenn die kosmischen Teilchen durch Einwirkung auf die Hirnrinde Halluzinationen erzeugen, dann sollten auch andere Sinne als nur das Sehvermögen davon betroffen sein. Was, wenn so eine Reaktion just bei einem schwierigen Landemanöver passiert?

"Wenn man die visuellen Areale in der Hirnrinde reizt, entstehen subjektive Lichtblitze, das zeigen zumindest medizinische Versuche. Ich bin überzeugt, dass das Ganze nicht ausschließlich im Auge passiert."
Forschungsobjekt Astronautenhirn
Klarheit soll nun das Forschungsprojekt "Anomalous Long Term Effects in Astronauts' Central Nervous System" (ALTEA) schaffen. Dabei tragen die Insassen der Raumstation ISS Helme, in deren Inneren Teilchendetektoren versteckt sind. Sobald ein Astronaut Lichtblitze oder eine andere ungewöhnliche Sinnesempfindungen wahrnimmt, drückt er einen Knopf, um den Zeitpunkt festzuhalten.

Auf diese Weise sollte geklärt werden, wann und auf welchem Weg Teilchen durch den Kopf flitzen - und welche Sinne davon betroffen sind. Narici: "Ich glaube, die Lichtblitze sind nur die Spitze des Eisbergs."

Robert Czepel, science.ORF.at, 2.6.08
->   ALTEA
->   Phosphene - Wikipedia
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01.01.2010