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Propaganda und Erfolg des Marshallplans  
  Vor 60 Jahren wurde Österreich Teil des Marshallplans und kam somit in den Genuss der nach dem US-Außenminister George Marshall benannten Wiederaufbauhilfe. Zum Jubiläum fand vor kurzem in Wien eine Tagung statt, die sich nicht so sehr um die wirtschaftlichen Leistungen des "Europäischen Wiederaufbauprogramms" (ERP) kümmerte.  
Im Zentrum des Interesses stand etwas anderes, wie der Historiker und Tagungsleiter Günter Bischof in einem Gastbeitrag schreibt: die multimediale Werbekampagne, mit der die Segnungen der US-Regierung dem heimischen Publikum näher gebracht wurden.
Der Marshallplan in Bildern
Von Günter Bischof

Victoria de Grazia (Columbia University) postulierte in ihrem Eingangsreferat, dass die Vorstellung vom Marshallplan als Auslöser für die europäische Konsumdemokratie ein Mythos sei, der fürs amerikanische Publikum bestimmt war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Abstand zwischen der amerikanischen und europäischen Lebenstandard zu groß, um rasch geschlossen werden zu können. Der Marshallplan brachte Ordnung ins europäische Wirtschaftsleben und führte mit seinem Mandat der Produktivitätsteigerung gerade in ärmlichen ländlichen Gegenden von Griechenland bis Norwegen zu enormen Brüchen mit der Vergangenheit.

Die Marshallplaner investierten in die Kapitalgüterindustrie nicht in Konsumgüter. Die Stabilisierung erforderte sogar eine Einschränkung von Konsum. Der Massenkonsum und damit die "Konsumdemokratie" kamen erst Ende der 1950er Jahre nach Westeuropa, als Quasi-Hinterlassenschaft des Marshallplans.
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Tagung
Die österreichische Marshallplan-Stiftung veranstaltete zusammen mit dem CenterAustria der Universität von New Orleans und dem Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien jüngst die Tagung "Images of the Marshallplan: Film, Photographs, Exhibits, Posters" in Wien.
->   Mehr über die Tagung
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Filme zur Erziehung "einfacher Leute"
David Ellwood (Uni Bologna) gab einen Überblick zur Marshallplan Filmforschung. Mit den Filmen wollte man den Bevölkerungen der Teilnehmerländer die Hauptintentionen des Marshallplans - Produktivitätssteigerung und Massenproduktion - näher bringen. In diesem Sinne war die Marshallplan-Propaganda eine Erziehung von einfachen Leuten in Sachen Wirtschaftsabläufe.

So wurden allein 40 Filme von insgesamt 269 Marshallplanfilmen in Italien gedreht, etwa um den Widerstand der Bauern gegen die Modernisierung der Landwirtschaft zu brechen.

Eric und Linda Christenson (Washington), die die bisher ausführlichste "Filmographie" zum Marshallplan erstellten, zeigten die von ihnen vor zehn Jahren gemachte Dokumentation zum Marshallplan, für die auch zahlreiche Österreicher interviewt wurden.
->   George Marshall Motion Pictures
Gefahren des Kommunismus, Segen von USA und Moderne
Der Wiener Marshallplanfilmforscher Christoph Höllriegl stellte eine Reihe von Filmclips aus dem Filmarchiv des Österreichischen Gewerkschaftsbundes vor, die noch bis 1979 hin und wieder in heimischen Kinos zu sehen waren.

Das durch die österreichische Marshallplanorganisation ins Leben gerufene Produktivitätszentrum in Wien ließ ebenfalls 41 Filme herstellen, um dem heimischen Publikum die zentrale Idee der Produktivitätssteigerung zu verkaufen.

Der Medienwissenschaftler Ramon Reichert (Kunstuni Linz) analysierte die Filmsprache dieses Schatzes. Im Zentrum dieser Marshallplan-Propaganda stand meist, vor den Gefahren des Kommunismus zu warnen und gleichzeitig die Segnungen der amerikanischen Hilfe zum wirtschaftlichen Wiederaufbau anzupreisen.

Auch wollte man den einfachen Leute die Angst vor Maschinen nehmen und somit die Ankunft der Moderne anpreisen. Filmemacher wie Georg Tressler halfen damit den Mythos des Marshallplanes zu schaffen und unters Volk zu bringen, also der bis heute andauernde Erfolgsmythos, der schon zu Zeiten des ERP mittels Filmen und Fotos und Wanderausstellungen geschaffen wurde.
Fotos dokumentierten Modernisierung des Landes
Die reichhaltigste fotografische Sammlung zum Marshallplan in Österreich in der Nationalbibliothek wurde ebenfalls im Detail vorgestellt und analysiert. Hans Petschar, Michaela Pfunder und Herbert Friedlmeier (Fotoarchiv der Nationalbibliothek) analysierten die gut 10.000 Fotografien des "USIS/USIA"-Archivs der amerikanischen Botschaft, das 1977 der Nationalbibliothek übergeben wurde.

Petschar betonte, dass die Marshallplan-Fotografen viele Serien machten, die ganze Geschichten erzählten, etwa von der Modernisierung der Holzwirtschaft im Kärntner Gailtal durch die aus Mitteln des Marshallplans finanzierten neuen Maschinen. Hier wurde die Produktivitätssteigerung zum sprichwörtlichen Modernisierungsmotor des Landes.
Promotion der neuen Segnungen
Diese Fotoserien sind heute auch ein ethnographischer Schatz, der das Leben von Durchschnittsösterreichern nach dem Krieg dokumentiert. Jedes durch den Marshallplan finanzierte Projekt wurde mit Anschlägen und Tafeln promoted.

Amerikanische und österreichische Persönlichkeiten waren bei jeder Eröffnung zugegen, vor allem beim Musterprojekt Kaprun. Die zahlreichen Segnungen des Marshallplanes wurden zusätzlich in einem "Europazug" der durchs Land zog, dem Durchschnittsbürger angepriesen.
Gedanke der Westintegration
Bild: Reyn Dirksen/Archiv Techn. Museum Wien
Hans-Jürgen Schröder (Uni Giessen) analysierte den reichen Schatz der Marshallplanfilme, die in Westdeutschland und Berlin als Beitrag zur Erklärung des amerikanischen Beitrages zum Wiederaufbau gedreht wurden. Es wurden Featurefilme, Cartoons und Doku-Dramas gemacht um auch in der BRD die Automatisierung des Alltagsleben den Leuten näher zubringen.

Im Film "Ich und Mr. Marshall" etwa schilderte ein Bergarbeiter seinen Beitrag zum Wiederaufbau. Die Rationalisierung der Wirtschaft war immer wieder ein Thema. In der BRD stand auch die Idee der zentralen Bedeutung Deutschlands zum europäischen Wiederaufbau im Mittelpunkt und damit der Rolle der USA zur Westintegration der Bundesrepublik.

Gerade dieser Westintegrationsgedanke schmückte zahlreichen Posters, die in Europaweiten Preiswettbewerben für die Marshallplan-Propaganda geschaffen wurden (siehe Bild rechts).
Mythos in den Jubiläumsjahren geschaffen
Bild: Marshallplan-Stiftung
Dieter Stiefel (Uni Wien) und ich widmeten uns der Schaffung des Marshallplan-Mythos in Österreich in den runden Marshallplangedenkjahren. 1958 produzierte die Raab-Regierung den Band "Zehn Jahre Marshallplan in Österreich". Der illustrierte Band fasste die Leistungen des ERP in Österreich zusammen und wurde in einem Geniestreich dem amerikanischen Steuerzahler in Dankbarkeit gewidmet.

Als der österreichische Botschafter Platzer in Washington ein Exemplar dem Präsidenten Eisenhower im Weißen Haus überreichte (siehe Bild rechts), war der Präsident so von dieser Widmung angetan, dass die großen Zeitungen von New York nach Los Angeles von dieser in der internationalen Politik so ungewöhnlichen österreichischen Dankbarkeit berichteten.

Diese Publikation kam zu einem Zeitpunkt, als es während der Libanonkrise und Überflügen von amerikanischen Militärflugzeugen über österreichischem Hoheitsgebiet zu Verstimmungen im bilateralen Verhältnis mit den USA gekommen war.

Die Tagung kam zum Schluss, dass der Marshallplan mit seiner ausgiebigen multimedialen Berichterstattung und Propaganda im Grunde genommen seinen eigenen Mythos schaffte, der bis zum heutigen Tag anhält.

[2.6.08]
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Über den Autor
Günter Bischof, ein gebürtiger Vorarlberger, war ein Mitveranstalter dieser Tagung. Er ist der Marshallplan Professor für Geschichte und Direktor des CenterAustria an der Universität von New Orleans und forscht seit vielen Jahren über den Marshallplan.
->   Center Austria
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->   Marshallplan-Stiftung
 
 
 
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01.01.2010