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Milchstraße: Nur zwei statt vier Arme  
  Bisher dachte man, die Milchstraße habe vier Arme. Infrarot-Aufnahmen des Spitzer-Weltraumteleskops zeigen nun: Es sind nur deren zwei. Die ehemaligen Hauptarme Sagittarius und Norma wurden zu schwachen Ärmchen zurechtgestutzt.  
Obsolete Bilder
 
Bild: NASA

Obige Abbildung ist eines von dutzenden Bildern der Milchstraße, die die Weltraumorganisationen NASA und ESA in den letzten Jahren verbreitet haben. Sie haben sich so sehr in unsere Erinnerung eingeschrieben, dass man fast vergessen könnte: Eigentlich sind es künstlerische Darstellungen, visuelle Extrapolationen astronomischen Datenmaterials, mehr nicht.

Und dieses Datenmaterial war bisher keineswegs vollständig, wie Robert Benjamin von der University of Wisconsin betont: "Jahrelang haben Forscher Pläne von unserer Galaxie gezeichnet, die auf der Analyse einer einzelnen Sektion oder nur einer Untersuchungsmethode beruhen. Unglücklicherweise haben die verschiedenen Modelle der einzelnen Gruppen nicht besonders gut zusammengepasst. Es ist ein bisschen so, als würde man einen Elefanten mit verbunden Augen untersuchen."
Bisher größtes Mosaik-Portrait vorgestellt
Benjamin hat nun bei der Jahrestagung der American Astronomical Society das bisher vollständigste Mosaikbild unserer Milchstraße vorgestellt. Es besteht aus 800.000 Einzelbildern, erfasst mehr als 110 Millionen Sterne - und räumt gehörig mit den bisherigen Vorstellungen über die Struktur der Milchstraße auf. Demzufolge haben die beiden vermeintlichen Hauptarme Sagittarius und Norma eine deutlich weniger spektakuläre Anatomie, als man bis dato zu wissen glaubte.

Zwar gibt es in Blickrichtung der beiden sehr wohl Sterne, aber deren Dichte überschreitet nicht den Durchschnittswert der restlichen Galaxie. Dass man in diesem Zusammenhang überhaupt von "Armen" spricht, hat einen tieferen astronomischen Grund, wie Ernst Dorfi vom Institut für Astronomie der Uni Wien erläutert: "Spiralarme sind Sternenfabriken. In diesen Regionen gibt es außergewöhnlich viele junge Sterne."

Genau in dieser Hinsicht hat man sich offenbar bei Sagittarius und Norma getäuscht. Sie, ihres Zeichens nun fast stinknormale galaktische Gegend, wurden offiziell zum "Nebenarm" degradiert. Die Existenz des Hauptarmes Scutum-Centaurus indes wurde durch die Infrarot-Bilder des Spitzer-Weltraumteleskops bestätigt.

Über das Schicksal der vierten (bzw. zweiten) Hauptextremität Perseus kann man in Ermangelung neuer Bilder noch nichts sagen. Es ist aber so gut wie sicher, dass sie nicht das traurige Schicksal von Sagittarius und Norma ereilen wird - und zwar aus Symmetriegründen.
Gute Nachricht für Theoretiker
Für Ernst Dorfi ist der zweifache Armverlust der Milchstraße zwar neu, überrascht ist er dennoch nicht wirklich: "Die allermeisten Galaxien sind zweiarmig. Das hat mit Gravitationsstörungen zu tun, die in Sternenscheiben auftreten. Man kann sich das so vorstellen wie Wind, der auf einem See Wellen erzeugt: In diesem Bild ist der Wind eine Störung und die Welle ein Spiralarm."

Laut der sogenannten Dichtewellentheorie, die diesen Vorgang beschreibt, ist es viel wahrscheinlicher, dass eine Galaxie zwei statt vier Arme bildet. So gesehen fügen sich die neuen Infrarotbilder auch viel besser in den theoretischen Rahmen.
Das Puzzle komplettiert sich
 
Bild: NASA

Dass übrigens gerade Infrarotsignale für eine so weitreichende Korrektur sorgen, ist ebenfalls kein Zufall. Infrarotlicht kann im Gegensatz zu kurzwelligem Licht Staubwolken durchdringen und ermöglicht daher viel weiträumigere Blicke. Damit hat man etwa in den 90ern herausgefunden, dass im Inneren der Milchstraße eine balkenförmige Ansammlung von Sternen sitzt, deren Enden den beiden verbliebenen Armen offenbar als Ansatzpunkt dienen: "Nun können wir die Arme und den Balken wie Teile eines Puzzles zusammenfügen. Wir sehen erstmals ihre Struktur und Position", sagt Benjamin.

Seine Forschergruppe hat die Erkenntnisse in ein neues Portrait der Milchstraße übersetzt (s.o.). Für etwaige Leerstellen im galaktischen Puzzle ist bereits ein neuer Forschungssatellit namens Gaia in Planung. Sein Start ist für Ende 2011 vorgesehen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 3.6.08
->   Milchstraße - Wikipedia
->   Robert Benjamin
->   Ernst Dorfi
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01.01.2010