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Das dünnste Eis der Welt  
  Während sich hierzulande die Temperaturen in schweißtreibenden Regionen bewegen, lassen US-Physiker mit Forschungen bei minus 150 Grad aufhorchen. Ihnen sind soeben Aufnahmen ultradünner Eisschichten geglückt. Deren Durchmesser ist 50.000-mal dünner als ein menschliches Haar.  
Forschung im kühlen Labor
Gletscher- oder Tiefseeforscher möchte man dieser Tage sein, wenn die Flüssigkeitssäule im Thermometer wieder einmal über die 30-Grad-Grenze wandert. Oder zumindest ein Physiker mit einem Arbeitsgebiet, wie es Konrad Thürmer und Nomran C. Belt haben. Die beiden forschen an den Sandia National Laboratories in Livermore, Kalifornien, zum Thema Oberflächenphysik. Zum Beispiel interessieren sie sich für die Frage, wie sich Wassermoleküle zu Eiskristallen vereinigen.

Was gewöhnliche Temperaturbereiche betrifft, mag diese Frage bereits hinreichend beantwortet sein. Wasser gefriert bekanntlich unter Null Grad und bildet Kristalle mit einer charakteristischen, an Bienenwaben erinnernden Symmetrie. Die Grundelemente dieser Kristalle bestehen aus je sechs Wassermolekülen, die mit je zwei Nachbarn über Wasserstoffbrücken verbunden sind. Das hexagonale Muster ist interessanterweise nicht nur im atomaren Bereich sichtbar, sondern - wie jeder an einer Schneeflocke kontrollieren kann - auch formbestimmend für Eis im großen Maßstab.
Kalt und träge
Die Sechserregel gilt allerdings nicht immer. Schon bisher war bekannt, dass es bei extrem tiefen Temperaturen auch eine andere, ungeordnete Form von Wassereis gibt. In diesem Bereich ist die thermische Energie von Wasser so gering, dass sich die Moleküle äußerst träge verhalten - gerade so, als wären sie soeben aus einem langen Schlaf erwacht.

Sprüht man beispielsweise Wassermoleküle auf eine Platinoberfläche, die zuvor auf knapp unter 120 Kelvin (ca. minus 153 Grad Celsius) abgekühlt wurde, dann agieren sie in der Regel ganz passiv. Sie bilden keine Wasserstoffbrücken zu anderen Molekülen aus und verbleiben dort, wo sie gelandet sind.
Amorphes und kubisches Eis
Gibt man noch ein wenig Wasser dazu, finden sich zwar Moleküle mit Ihresgleichen zusammen, aber sie haben zu wenig Energie, um ein geordnetes Gefüge zu bilden. Stattdessen entsteht sogenanntes amorphes Eis - festes Wasser ohne Gestalt, Struktur und Symmetrie. Die Wassermoleküle bilden unter diesen Bedingungen zwar Brücken aus, aber deren Lage ist mehr vom Zufall abhängig als von den physikalischen Eigenschaften des Wassers.

Über 120 Kelvin ändert sich das Bild: Ab dieser Temperatur liegt das Eis zwar bereits in kristalliner (hier: kubischer) Gestalt vor, die klassische Sechsersymmetrie der Schneeflocke stellt sich indes erst ab 160 Kelvin ein.
Bilder mit dem Rastertunnelmikroskop
 
Bild: Konrad Th¿rmer und Norman C. Belt

Diesen Vorgang kannte man wie gesagt bereits in groben Zügen, anschauliche Bilder davon gab es bislang allerdings nicht. Versuche, die Bildung feinster Eisschichten bei extrem tiefen Temperaturen etwa mittels Elektronenmikroskopie darzustellen, scheiterten, weil der bei dieser Technik verwendete Elektronenstrahl die Kristalle zerstört.

Äußerst schwierig schien bis vor kurzem auch der Ansatz mit dem Rastertunnelmikroskop (RTM). Bei dieser Technik fließt Strom zwischen der Probe und dem Messfühler des Mikroskops, weswegen nur leitende Materialien dafür in Frage kommen - und Isolatoren wie Eis eben nicht.

Konrad Thürmer und Nomran C. Belt haben es dennoch geschafft, RTM-Aufnahmen von Eis zu machen, wie sie nun im Fachjournal "Physical Review B" (Bd. 77, S. 195425) berichten. Die beiden Physiker fanden heraus, dass extrem dünnes (kubisches) Eis mit einem Durchmesser von einem Nanometer zunächst in Form kleiner Inseln wächst (Bild oben links), größere Arrangements stellen sich erst ab einer Schichtdicke von vier bis fünf Nanometern ein (rechts).
Spiralige Inseln im Kristallgitter
Bild: Konrad Th¿rmer und Norman C. Belt
Bei genauerem Hinsehen entdeckten sie auch eigenartige Spiralen (Bild rechts), die auf den ersten Blick gar nicht in die kristalline Ordnung passen. Dabei dürfte es sich um zwei angrenzende Eisschichten handeln, die jeweils in die entgegengesetzte Richtung wachsen und diesen Widerstreit mit einem Kompromiss in Spiralform auflösen.

Dass die spezielle Mikroskopietechnik auch bei einem isolierenden Material funktioniert hat, erklären Thürmer und Belt durch die Fähigkeit von Eis, extreme Plus- und Minus-Pole auszubilden. Das ermögliche es der Messspitze des Mikroskops, dem Eis hin und wieder ein Elektron zu entreißen. Offenbar genug, um die Oberfläche der Nanokristalle sichtbar werden zu lasen.

[science.ORF.at, 12.6.08]
->   Sandia National Laboratories
->   Eis - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010