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Atommüll: Endlagerung völlig unklar  
  Atomenergie ist wieder in Mode gekommen, wegen ihrer guten CO2-Bilanz wurde ihr sogar das Adjektiv "sauber" beigefügt. US-Experten rufen nun ihre Schattenseiten in Erinnerung: Wo der Nuklearmüll gelagert werden soll, ist nach wie vor unklar. Anhand einer bis 1987 zurückreichenden Diskussion über eine unterirdische Lagerstätte in Nevada zeigen sie, wie sehr die Diskussion um die Entsorgung von Atommüll noch immer auf der Stelle tritt.  
Der - rudimentäre - Stand der Dinge in den USA kann durchaus mit jenem in Europa gleichgesetzt werden: Auch hier gibt es nach wie vor keine Endlagerstätte für den Abfall, den Atomanlagen produzieren, sondern nur Zwischenlager.

Emmerich Seidelberger vom Institut für Risikoforschung der Universität Wien hält es für "erstaunlich", dass es noch immer kein gemeinsames Vorgehen jener Länder, die Atomenergie nutzen, zur Müllproblematik gibt.
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Isaac J. Winograd und Eugene H. Roseboom vom Geologischen Dienst der Vereinigten Staaten machen in einem Kommentar unter dem bezeichnenden Titel "Yucca Mountain Revisited" ("Science", 13. Juni 2008, Band 302, S. 1426f, DOI:10.1126/science.1156399).
->   Der Kommentar (zahlungspflichtig)
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Ab unter die Erde mit dem Atommüll?
 
Bild: Science

Die Problemlage in den USA lässt sich anhand der Karte oben illustrieren: In beinahe allen Bundesstaaten gibt es Anlagen, auf denen Nuklearabfall oberirdisch gelagert wird. Dass das Material nicht ewig oberirdisch gelagert werden kann, weil die Stätten irgendwann voll sind oder Sicherheitsvorschriften nicht mehr erfüllen, ist klar. Ein Ausweg aus dieser Situation scheint aber umso schwieriger.

In den USA hat man sich schon vor 25 Jahre dazu entschlossen, die Möglichkeit einer unterirdischen Endlagerung zu untersuchen. Nach zahlreichen geologischen und hydrologischen Gutachten wurde eine Region in Yucca Mountain im Bundesstaat Nevada als möglicher Ort für eine solche "Entsorgung" identifiziert.
"Hunderttausende" Jahre dicht
Damit begannen aber erst die wirklichen Probleme: Abgesehen von heftigen Protesten der Anrainer gab es immer wieder neue Richtlinien, welche Voraussetzungen eine mögliche Endlagerstätte erfüllen sollte - und wie die Anforderungen sich verändern, zeigt, auf welch unsicherem Boden sich solche Vorhaben bewegen:

Galt zuerst die Vorgabe, dass die Ummantelung einer Endlagerungsstätte 10.000 Jahre dicht bleiben muss, wurde der Zeitrahmen mit einem Gerichtsurteil 2004 auf "hunderttausende" Jahre hinaufgesetzt.
Klein anfangen, um groß planen zu können
Derzeit werde an Computermodellen gearbeitet, mit denen sich mögliche Reaktionen von nuklearem Inhalt und Mantelmaterial auf lange Zeiten ausrechnen lassen, wirkliche Sicherheit werde man anhand dieser Szenarien aber nicht erhalten, so Winograd und Roseboom in "Science".

Was also tun mit den derzeit etwa 60.000 Tonnen Atommüll in den USA, der oberirdisch gelagert wird? Die US-Experten sprechen sich dafür aus, mit einem Pilotprojekt zur unterirdischen Lagerung zu beginnen.

Mit nur kleinen Mengen und unter ständiger Beobachtung könnte man entsprechend Erfahrung sammeln, um sich an die Errichtung einer großen Lagerstätte zu wagen. Die derzeitige Situation mit "verstreutem" Atommüll im ganzen Land sei jedenfalls untragbar, so Winograd und Roseboom.
Auch in Europa offene Frage
Die beiden Forscher legen damit den Finger auf eine Wunde der Atomkraft, die nicht nur in den USA, sondern auch in Europa schmerzt: Auch hier gibt es keine Endlagerungsstätte, sondern nur Zwischenlager, die sich meist in der Nähe oder am Gelände eines AKW befinden, erklärt Emmerich Seidelberger vom Institut für Konfliktforschung der Universität Wien.

Er bezeichnet es im Gespräch mit science.ORF.at als "erstaunlich", dass es keine konkreten Pläne gibt, um das Problem der Endlagerung anzugehen. Denn eigentlich müsste man heute beginnen, einen entsprechend dotierten Fonds aufzubauen, um nach einer Lösung zu suchen.
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Großbritannien: Atommüll gegen Geld
Die britische Regierung veröffentlichte am Donnerstag einen Aufruf, dass sich Gemeinden melden sollten, die Interesse an der Lagerung nuklearen Abfalls haben. Was absurd klingt, hat einen handfesten ökonomischen Hintergrund: Abgewirtschaftete Städte werden nicht nur mit neuen Jobs gelockt, die im Umfeld einer Lagerstätte entstehen, sondern auch mit direkten Geldspritzen. Lagerstätten werden dringend benötigt, schließlich möchte Großbritannien in den nächsten Jahren "die weltweite Nummer Eins bei nuklearen Investments" werden.
->   Zum BBC-Bericht
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Ober- oder unterirdisch?
Laut Seidelberger gibt es in Europa eine leichte Tendenz zur unterirdischen Endlagerung, wobei aber Ort und Umstände noch völlig unklar seien. Er selbst hält die oberirdische Variante - trotz eines erhöhten Aufwands hinsichtlich Bewachung - für sinnvoller: Man hätte den Müll und seine Ummantelung besser unter Kontrolle und könnte "umlagern", wenn bessere Materialien gefunden werden.

Handlungszwang wird aber auch für Europa entstehen, so Seidelberger. Je nach Schätzung rechnet man mit 30 bis 100 Jahren, die der Atommüll noch in den Zwischenlagern bleiben kann - dann aber sind sie voll und eine Lösung muss her. Wie die aussehen kann, steht aber noch in den Sternen.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 13.6.08
->   U.S. Geological Survey
->   Institut für Risikoforschung der Uni Wien
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->   Das ungelöste Problem Atomendlager
 
 
 
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01.01.2010