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Trickfilme: Wie Kinder ihre Welt wahrnehmen  
  Wer einen Trickfilm gestaltet, der kann seiner Fantasie freien Lauf lassen: Wie sollen die Hauptdarsteller aussehen, womit beginnt und endet der Film, gibt es einen Gewinner? Zwei österreichische Forscher haben Trickfilme von Kindern und Jugendlichen analysiert und mit den Ergebnissen die Wahrnehmungswelt der sieben- bis 15-jährigen Regisseure umrissen.  
Zwei dominierende Themen konnten der Soziologe Paul Scheibelhofer und der Sprachwissenschaftler Alexander Pollack aus den am Wiener Kindermuseum ZOOM entstandenen Filmen herausfiltern: Geschlechterrollen wurden in nahezu allen Beiträgen verhandelt, und auch Regelsysteme sowie die Konsequenzen von Verstößen beschäftigten die jungen Filmemacher.
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Die Studie "Trickfilme als Medien kindlicher und jugendlicher Wahrnehmung" erscheint Ende Juni in der "SWS-Rundschau" (Heft 2/2008, S. 122-141).
->   "SWS-Rundschau"
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223 Filme analysiert
Das Wiener Kindermuseum ZOOM verfügt über ein Medienlabor, in dem Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sieben und 15 Jahren in eineinhalbstündigen Workshops Trickfilme gestalten können.

Die Inhalte können dabei nicht völlig frei gewählt werden, sondern werden - angelehnt an die laufenden Ausstellungen - vorgegeben. Im Untersuchungszeitraum von Februar 2005 bis Februar 2006 entstanden insgesamt 223 Filme zu so breit formulierten Themen wie "Bitterschwarz und Sauerbunt", "Die Welt steht Kopf" und "Space Age" - letzteres mauserte sich zum "Renner".
->   Zu den Filmen (auf "Zoom Lab" klicken)
Geschlechterrollen als Dauerbrenner
 
Bild: ZOOM Kindermuseum

Scheibelhofer und Pollack analysierten sowohl die Workshopsituationen, etwa wie dort Themen in Gruppen ausverhandelt werden, als auch die Inhalte der Endprodukte.

Zwei Fragen zogen sich von der ersten Diskussion im Workshop bis zum fertigen Film: Wie kann in gemischtgeschlechtlichen Gruppen ein Plot entworfen werden, der für Mädchen und Burschen akzeptabel ist, und in welchen Figuren schlägt sich der Kompromiss nieder?

Den Lösungen liegen durchwegs unhinterfragte Geschlechterstereotype zu Grunde, schreiben Scheibelhofer und Pollack.
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Eine typische Workshop-Situation
Bub: "Aliens spielen Fußball. Aliens gegen Serbien."

Der Workshopleiterin gefällt die Idee mit dem Fußball-Wettkampf, aber sie will diesen offensichtlich nicht als nationalen Wettkampf verstanden wissen.

Workshopleiterin: "Fußball ist gut! Gegen wen spielen die Aliens?"

Der Bub merkt, dass er seinen Vorschlag abändern muss, blickt zu den Mädchen und ruft dann aus: "Aliens gegen Barbies!"
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Frauen behüten, Männer sind "Macher" oder "Loser"
 
Bild: ZOOM Kindermuseum

In den fertigen Filmen lassen sich die Rollen der Geschlechter einfach beschreiben: Frauen behüten und sorgen sich um die anderen - wenn sie das nicht in Gestalt menschlicher Frauen tun, werden die Eigenschaften übertragen, etwa auf Schafe, die in einem Film durch Skate-board fahrende Aliens befreit werden.

Bei den Männern gibt es zwei Typen: den "Macher", der dynamisch auftritt und immer eine Lösung findet, und den "Loser", der einsam und ohne Geld ein trauriges Leben führt - für die Forscher ein Hinweis, dass Versagen von Männern als "Problem" wahrgenommen wird, während es bei Frauen keine Rolle spielt.
Durchspielen von Regelverstößen
Neben der Geschlechterstereotypie heben Scheibelhofer und Pollack noch zwei Aspekte hervor: Der Umgang mit Ordnungsstrukturen und Zukunftsvisionen spielten in den Filmen eine dominierende Rolle.

"Die Tickfilme boten die Gelegenheit, Verstöße zu inszenieren und durchzuspielen", schreiben die Forscher. Oft wurden auch Szenarien erfunden , in denen - etwa bei einem Diebstahl für einen guten Zweck - moralische Fragen verhandelt wurden.
Zukunft im - zwiespältigen - Fortschritt
Zukunft wurde von den Kindern nicht als persönliches Thema verstanden, sondern in erster Linie als technischer Fortschritt symbolisiert durch - meist mit US-Flaggen verzierten - Raumschiffen.

Fortschritt wurde von den Filmemachern aber nicht uneingeschränkt positiv wahrgenommen, sondern Technik auch als Quelle neuer Probleme angesprochen.
Keine "Moral von der Geschicht'"
Politisch im engeren Sinn waren die Filme mit einer Ausnahme nicht: Wenn es um Umweltthemen ging, war es den Kindern und Jugendlichen möglich, eine klare, durchaus politische Position zu beziehen.

Von der klassischen Erzählweise abgewandt haben sich die Kinder und Jugendlichen, was das Ende ihrer Filme betrifft: "Moral von der Geschicht'" gibt es keine - laut Studie ein Ausdruck der Abneigung gegen allzu geradlinige Erzählungen.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 16.6.08
->   Kurzfassung der Studie zu jugendlichen Wahrnehmungswelten (.pdf)
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01.01.2010