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Homers Odyssee: Neue Hinweise auf Sonnenfinsternis  
  "Die Sonne ist am Himmel erloschen, und rings herrscht schreckliches Dunkel!" Schon Plutarch und Heraklit glaubten, dass Homer im zwanzigsten Gesang der Odyssee eine totale Sonnenfinsternis beschreibt. Und zwar genau an jenem Tag, als der heimgekehrte Odysseus seine Nebenbuhler ermordet.  
Bisher gab es allerdings kaum Belege, die die Vermutung erhärten konnten. Nun sind Wissenschaftler bei der Suche nach astronomischen Referenzen im Text fündig geworden. Diese liefern eine Grundlage für die exakte Berechnung des Datums - nämlich den 16. April 1178 v.Chr.

Die Datierung des seltenen Himmelsereignisses könnte unter anderem Historikern dabei helfen, den Fall Trojas exakter zu datieren, der ja vermutlich zu Zeiten der wichtigsten homerischen Epen, der Illias und der Odysee, stattfand.
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Der Artikel "Is an eclipse described in the Odyssey?" von Constantino Baikouzis and Marcelo O. Magnasco erscheint zwischen 24. und 27. Juni in den "Proceedings of the National Academy of Science" (DOI: 10.1073/pnas.0803317105).
->   Studie (sobald online)
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Sonnenfinsternis als schlechtes Omen
Rund um Homers Werke ranken sich zahlreiche Debatten. Eine davon stellt seine Autorenschaft in Frage, eine andere die historischen Fakten hinter der erzählten Geschichte. Dazu zählt auch die Frage nach einer "echten" Sonnenfinsternis in der Odyssee.

Dieses spezielle Himmelsereignis ist nicht nur sehr selten, sondern auch sehr bedrohlich: Binnen Sekunden wird es dunkel, die Temperatur fällt, der Wind ändert sich und Tiere verstummen. Nicht selten wurde es deswegen in Geschichten als schlechtes Omen verwendet.

Gut denkbar, dass auch der Seher Theoclymenus auf dieses Ereignis referierte, als er den nahenden Tod von Odysseus Rivalen ankündigte. Dennoch zweifelten bisher Wissenschaftler aller Fachrichtungen an der Vermutung. Das "schreckliche Dunkel" könnte auch einfach den Hades beschreiben, in welchen die dem Tod Geweihten einziehen werden. Außerdem schien ihnen ein einziger Satz als Beleg zu wenig.
Suche nach astronomischen Hinweisen
Auf der Suche nach möglichen astronomischen Referenzen durchkämmten Marcelo Magnasco vom Laboratory of Mathematical Physics der Rockefeller University und sein argentinischer Kollege Constantino Baikouzis vom Observatorio Astrónomico nun das gesamte Werk. Gefunden haben sie letztlich vier zentrale Indizien, die sie zur Eingrenzung der Sonnenfinsternis heranzogen.

Der erste Hinweis: Nachdem Odysseus nach Ithaka zurückgekehrt war, ermordete er seine Widersacher, die in seiner zwanzigjährigen Abwesenheit erfolglos um die Gunst seiner Frau Penelope gebuhlt hatten.

Mehrmals wird an dieser Stelle der Neumond - eine notwendige Voraussetzung für das Himmelsereignis - erwähnt, so etwa als Odysseus als Bettler verkleidet sein Rückkehr ankündigt.
Sternenbilder und Planetenlaufbahn
Die zweite Himmelsreferenz findet sechs Tage davor statt: Der Held sieht kurz vor Tagesanbruch die Venus, sie befindet sich hoch oben am Firmament. 29 Tage vorher - noch ist Odysseus auf Reisen - sind zwei Konstellationen während der Dämmerung gleichzeitig sichtbar, die Pleiaden und der Bärenhüter.

Als viertes Indiz verwendeten die beiden Forscher die Bahn des Merkurs. Dabei zieht dieser ganz in den Westen, macht kehrt und zieht zurück in den Osten, und zwar 33 Tage vor der Bluttat.
Homer schreibt hier über den Weg des Hermes, der bei den Griechen vermutlich der Namensgeber des Planeten Merkurs war. Gesichert sei es allerdings nicht, ob die Griechen dieser Zeit bereits derartige Gleichsetzungen kannten.
Ein einziges mögliches Datum
Astronomisch gesehen kehren diese Phänomene in unterschiedlichen Zeitintervallen wieder, das heißt, sie treten nur ganz selten in dieser bestimmten Reihenfolge auf.

Zur zusätzlichen Eingrenzung des Zeitfensters verwendeten Magnasco und Baikouzis die existierenden Schätzungen zum Untergang Trojas, der irgendwann zwischen 1250 und 1115 v. Chr. angenommen wird und ja zu Zeiten der Odyssee stattgefunden haben soll.

Mit Hilfe moderner Computerprogramme berechneten die Sternenforscher das unter diesen Bedingungen einzig mögliche Datum für die Sonnenfinsternis, den 16. April 1178 v. Chr. Genau an diesem Tag hat demnach Odysseus in der Geschichte seine Gegner ermordet.
Kein Beleg für historische Wahrheit der Odyssee
Die Wissenschaftler räumen allerdings ein, dass ein Text als Quelle historischer Faktizität natürlich bestimmte Risiken birgt. Denn das Werk wurde in seiner heutigen Form erst Jahrhunderte nach den mündlich überlieferten Ereignissen aufgezeichnet, vermutlich ungefähr im achten Jahrhundert v. Chr.

Zudem ist die Berechnung soweit zurückliegender Himmelsbewegungen einer gewissen Unschärfe unterworfen. Außerdem müssen alle Annahmen über die astronomischen Referenzen tatsächlich korrekt sein.

Nicht zuletzt sei die Berechnung natürlich kein historischer Beleg für den Wahrheitsgehalt der erzählten Inhalte. Keiner kann daraus ableiten, ob Odysseus nun eine historische Person war oder lediglich eine Figur ist. Möglicherweise - so eine Erklärung der Forscher - hat sich der Dichter für seine Erzählung bloß an der echten Sonnenfinsternis orientiert.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 24.06.08
->   Zitat aus Odysee (übers. von Johann Heinrich Voß, www.digibib.org)
->   Marcelo Magnasco
->   Constantino Baikouzis
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Geologen: Odysseus' Heimat war Kephallonia (11.1.07)
->   War Homer eine Frau? (14.12.06)
 
 
 
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01.01.2010