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Gedenkstätte im KZ Auschwitz "historisch überholt"  
  Die österreichische Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz gehöre überarbeitet, sagen Zeithistorikerinnen und Historiker. Das in der Ausstellung transportierte Geschichtsbild sei 30 Jahre alt.  
Und so stehe immer noch die These von Österreich als dem ersten Opfer der "Hitler'schen Aggressionspolitik" im Vordergrund.
Mitverantwortung thematisieren
Auschwitz ist Symbol des Terrors und des Holocaust: Hier wurden in den Jahren 1940 bis 1945 zwischen 1,1, und 1,5 Millionen Menschen ermordet, schätzt das Museum Auschwitz-Birkenau in Polen. In Erinnerung an die ermordeten Menschen aus Österreich wurde vor 30 Jahren eine eigene Gedenkstätte errichtet.

Eine Projektgruppe mit Unterstützung des Nationalfonds hat die nun analysiert. Bertrand Perz, stellv. Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien sagt im ORF-Radio:

"Aus heutiger Sicht problematisch: Man hat gar nicht erwogen, die Frage der österreichische Partizipation am Nationalsozialismus auszustellen. Es war eine reine auf das Gedenken und die Würdigung der österreichischen Opfer ausgerichtete Ausstellung - was aus damaliger Perspektive ein berechtigtes Anliegen war."
Neugestaltung nötig
Die österreichische Gedenkstätte sei Ergebnis langjähriger Bemühungen der in der Lagergemeinschaft Auschwitz zusammengeschlossenen Überlebenden des Lagers gewesen, steht im Projektbericht zu lesen. Und so sei vor allem das Gedenken an die österreichischen Opfer des KZ Auschwitz im Vordergrund gestanden.

Eröffnet wurde sie am 19. März 1978 - aus Anlass der 40jährigen Wiederkehr des "Anschlusses" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich.
Opferthese überholt
 


So sieht ein Plakat aus, das 1978 die Opferthese illustrierte

Die in der Ausstellung vermittelte These von Österreich als erstem Opfer sei seit Mitte der 1980er Jahre aber durch die historische Forschung und durch den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft in den Hintergrund gedrängt worden.

Die Projektgruppe rät dringend zur inhaltlichen Neugestaltung, zumal auch die Gedenkstätten-Gesamtleitung vor wenigen Wochen mit einer Sperre gedroht habe.
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Das Projekt
2006 wurde eine Projektgruppe bestehend aus Brigitte Bailer, Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Bertrand Perz, stv. Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien und Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften, gebildet, die das Ziel hatte, die Österreichische Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau auf wissenschaftlicher Basis zu dokumentieren, einer kritischen Analyse zu unterziehen und konzeptionelle Überlegungen für eine Neugestaltung zu erarbeiten. Dieses Projekt wurde durch den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus gefördert.
->   Projektbericht "Neugestaltung der Österreichischen Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau"
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Auseinandersetzung mit österreichischem Gedächtnis
"Man kann die historische Sicht der 1970er Jahre noch sehen", meint Heidemarie Uhl zu science.ORF.at. Die Neugestaltung erscheine nicht zuletzt überfällig angesichts der Tatsache, dass zahlreich andere nationale Ausstellungen in der staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau bereits neu gestaltet worden sind.

Heidemarie Uhl, Zeithistorikerin in der Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, betont, dass die bestehende Ausstellung Teil der Neugestaltung sein sollte. Die jetzige Gedenkstätte sei als wichtiges Dokument zu sehen - als Dokument dessen, was die ehemaligen Häftlinge an Erbe weitergeben wollten, so Uhl:

"Die alte Ausstellung soll - in welcher Form auch immer - Teil der Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gedächtnis sein. Aber das ist die Aufgabe des zukünftigen Projekts der Neugestaltung."
Täterinnen und Täter
Die Neugestaltung sollte drei Themen umfassen, so Brigitte Bailer, die Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Neben den österreichischen Opfern und dem Widerstand vor allem die Täter:

"Es gibt die bekannten Namen, aber es ist festzustellen (da gibt es noch keine Forschungen dazu) welche Österreicher im Bereich der Wachmannschaften eingesetzt waren. Und dann ist die Fragestellung eine viel weiter zu stellende: Was war die Rolle der Österreicher für die Deportationen nach Auschwitz?"
Bundesregierung müsste aktiv werden
Der geschichtswissenschaftliche Bericht von Brigitte Bailer, Heidemarie Uhl und Bertrand Perz will kein konkretes Konzept für eine Neugestaltung liefern, sondern der Politik den Anstoß dafür geben. Denn um die Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau zu erweitern, ist ein offizieller Beschluss der österreichischen Bundesregierung nötig.

Laut Birgitte Bailer gab es bereits Gespräche mit dem Bundeskanzleramt, dem Vizekanzleramt und dem Außenministerium. Letzteres habe sich bereit erklärt, die Folgekosten einer allfälligen Neugestaltung (Heizung, Reinigung, Aufsicht etc.) für vier Jahr zu übernehmen.

Die Kosten für die Neugestaltung bzw. Überarbeitung der Ausstellung und Gedenkstätte schätzt die Historikerin grob auf circa 600.000 Euro.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 26.6.08
->   Gedenkstätte und Museum Auschwitz-Birkenau
->   Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
->   Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
->   Beiträge von Heidemarie Uhl in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010