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Josef Mitterer: Nicht dualisierender Philosoph ist 60  
  22 Wissenschaftler aus acht Disziplinen beschäftigen sich in einer neuen Publikation mit der "nicht-dualisierenden Philosophie" des österreichischen Erkenntnistheoretikers Josef Mitterer. Der an der Universität Klagenfurt lehrende Philosoph wird am 8. Juli 2008 60 Jahre alt. Der Medienwissenschaftler Stefan Weber widmet sich in einem Gastbeitrag dem Leben und Werk Mitterers.  
Zur Philosophie des Non-Dualismus
Von Stefan Weber

Josef Mitterers akademische Karriere ist eine unübliche, der Beschleunigungslogik unserer Tage entgegen gesetzt. Mitterer folgte, wie er in seinem Hauptwerk schrieb, Wittgensteins Vorschlag: "Der Gruß der Philosophen untereinander sollte sein: Laß Dir Zeit."
"Sprache und Wirklichkeit"
Bild: Peter Gasser-Steiner
Josef Mitterer
Der am 8. Juli 1948 in Westendorf (Tirol) geborene Wissenschaftler promovierte 1978 an der Universität Graz bei Rudolf Haller, schlug aber erst 1990 an der Universität Klagenfurt eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Dazwischen war er Reiseleiter rund um den Globus.

Seine Dissertation von 1978 mit dem Titel "Sprache und Wirklichkeit. Eine erkenntnistheoretische Abhandlung" blieb 14 Jahre lang in der Schublade. Publiziert wurde sie 1992 in der Wiener Edition Passagen unter dem Titel "Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualistische Erkenntnisprinzip". Die Arbeit enthält philosophischen Sprengstoff.

Das Buch ist in 100 Thesen gegliedert und beinhaltet einen Anhang, der die Position von Humberto Maturana und anderen Konstruktivisten kritisiert. Es erinnert in seiner formalen Stringenz an den Tractatus logico-philosophicus von Wittgenstein.

2001 folgte die Veröffentlichung der Habilitationsschrift "Die Flucht aus der Beliebigkeit" in Form von 160 Thesen. Inzwischen lehrt Mitterer als Professor für Philosophie an der Universität Klagenfurt.
In Österreich weitgehend ignoriert
Beide Bücher sind in mehreren Auflagen erschienen und wurden begeistert rezensiert - unter anderem im Spiegel, in der FAZ und in der NZZ, die etwa dem "Jenseits der Philosophie" die "richtige Diagnose zur richtigen Zeit" attestierte.

Übersetzungen ins Polnische folgten. In Polen forschen Philosophen an den Universitäten Torun und Breslau zur nicht-dualisierenden Philosophie - vor allem in Verbindung mit der Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour. In der österreichischen akademischen Philosophie blieb Mitterers Position hingegen weitgehend unbeachtet.
"Rückendeckung" von Feyerabend
Josef Mitterer entwickelte die nicht-dualisierende Philosophie (kürzer: den Non-Dualismus) in den Jahren 1973 bis 1978. Grundlegend ist die Kritik an der kategorialen Unterscheidung zwischen Sprache und sprachverschiedener Wirklichkeit.

Mitterer entwarf eine erkenntnistheoretische Alternative, bei der Objekte die bislang ausgeführten Beschreibungen sind. "Rückendeckung" - wie er heute sagt - für diese Position holte er sich unter anderem bei Paul Feyerabend während eines Studienaufenthalts an der University of California im Jahr 1976.
Kritik an Wittgenstein
Mitterer verwirft in seiner Philosophie die herkömmliche Auffassung, dass wir Objekte von ihren Beschreibungen trennen können. Er legt seine Kritik im "Jenseits der Philosophie" an dem dar, was Wittgenstein am Beispiel eines Dreiecks das "Aspektsehen" nennt.

Mitterer bemerkt dazu: "Wenn wir davon sprechen, welchen Deutungen gemäß das Dreieck gesehen werden kann, dürfen wir jedoch nicht vergessen, daß auch das Dreieck eine Deutung, ein Aspekt, ist." (S. 24)

Jeder Versuch, das Objekt jenseits von Beschreibungen und Deutungen anzugeben - auch nur als Wahrnehmungsinhalt, resultiere in einer neuen Beschreibung des Objekts.
Keine Sprachverschiedenheit von Objekten
Wenn behauptet wird, dass ein Objekt schon vor der Objektangabe gegeben sei, wird Mitterer zufolge das Objekt damit angegeben. "Dieser infinite Regreß wurde bislang kaum bemerkt, weil das 'sprachverschiedene' Objekt beinahe allgemein als Diskursvoraussetzung anerkannt wird." (S. 95)

In These 70 im "Jenseits der Philosophie" heißt es: "Wenn eine Priorität des Objekts gegenüber der Objektangabe erst nach der Objektangabe behauptet werden kann, läßt sich eine Sprachverschiedenheit des Objekts durch den Verweis auf die Priorität des Objekts gegenüber der Objektangabe nicht mehr begründen." (S. 98)

Die Kernthesen sind nicht einfach darzustellen. Die Denkalternative Non-Dualismus wird im Buch mit Hilfe zahlreicher Beispiele "eingeübt", die ein genaues und wiederholtes Lesen unbedingt erfordern.
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Aus Anlass des 60. Geburtstags von Josef Mitterer erscheint am 15. Juli 2008 die Publikation "The Non-dualizing Philosophy of Josef Mitterer" als Sonderheft der vom Kognitionswissenschaftler Alexander Riegler gegründeten und herausgegebenen internationalen Fachzeitschrift "Constructivist Foundations" (Vol. 3, Nr. 3). Unter den 22 Beiträgern sind Volker Gadenne, Ernst von Glasersfeld, Adolf Holl, Sibylle Moser, Karl Müller, Franz Ofner, Siegfried J. Schmidt und Peter Strasser.
->   Constructivist Foundations
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In einer Reihe mit Kant?
In der Zeitschrift "Aufklärung und Kritik" lobte ein Rezensent 1994, dass "dem Sprachuntersucher Josef Mitterer in 'Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualistische Erkenntnisprinzip' mit seinen genau 100 Thesen das gelungen ist, was der andere Österreicher, Ludwig Wittgenstein, in seinen 'philosophischen Untersuchungen' vergebens versuchte."

Ernst von Glasersfeld würdigt in den "Constructivist Foundations" ebenso die Verdienste Mitterers und spricht von der dritten großen philosophischen Läuterung nach Kants Metaphysik und dem Logischen Positivismus: "Josef Mitterer ist der Vertreter einer dritten konzeptionellen Revision, die - wenn sie vollzogen wird - die Methoden und Ziele philosophischer Untersuchung grundlegend ändern würde."

[8.7.08]
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Über den Autor
Privatdozent Dr. Stefan Weber ist Medienwissenschaftler. Er hat sich 2005 an der Universität Wien mit einer Arbeit über die Philosophie Josef Mitterers habilitiert.
->   Publikationsliste Stefan Weber
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->   Josef Mitterer (Wikipedia)
->   Website zu Josef Mitterer
 
 
 
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01.01.2010