News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Erfolgreiche Gruppentherapie gegen Kaufsucht  
  In Deutschland wurden mit Hilfe einer Gruppentherapie Kaufsucht-Patienten erfolgreich behandelt. Von den 60 Studienteilnehmern hat rund die Hälfte ihr exzessives Kaufverhalten in den Griff bekommen.  
Dies berichtete die Studienleiterin Astrid Müller von der Uniklinik Erlangen am Dienstag in einer Bilanz.

Während der ambulanten Therapie konnten sich die Teilnehmer in zwölf wöchentlichen Sitzungen über ihre Erfahrungen austauschen und zusammen mit den Therapeuten ihr Kaufverhalten analysieren. "Wir haben uns die Kaufattacken wie unter dem Mikroskop angeschaut", erklärte Müller.
Shoppen fast wie körperliche Befriedigung
Bei dem sogenannten pathologischen Kaufen handle es sich um ein triebhaftes Verhalten, bei dem die Betroffenen wiederholt, unnötig und zu viel einkauften. Dabei gehe es weniger um die gekauften Gegenstände, sondern um den Akt des Kaufens an sich.

"Es ist ein gewisser Kick. Das ist für eine Frau fast wie ein Orgasmus", erklärt Sieglinde Zimmer-Fiene aus Hannover, die seit 1984 kaufsüchtig ist und eine Selbsthilfegruppe in Norddeutschland leitet.

Nach dem Kaufen stelle sich aber schnell ein schlechtes Gewissen und eine großes Schamgefühl ein.
Unheilbar, aber Kontrolle möglich
Mit individuell erarbeiteten Strategien und alternativen Verhaltensweisen wie Lesen oder Freunde treffen könnten das exzessive Kaufverhalten weitgehend vermieden werden. "Die Gedanken an das Kaufen sind aber generell nicht abstellbar", sagt die Leiterin der Studie.

Deshalb sei auch nicht möglich, die Patienten von ihrer krankhaften Kauflust zu heilen, sondern nur ihren Konsum wieder am eigentlichen Bedarf zu orientieren.

Wichtig sei hierbei Kaufprotokolle anzulegen und sich immer wieder selbst zu kontrollieren. Oft müssten die Betroffenen erst Lernen, wie man mit Geld überhaupt umgeht.
Wieder Gefühl für Geld bekommen
"Für mich war Geld überhaupt kein Begriff, sondern immer nur ein wertloses Blatt Papier", berichtete ein 57 Jahre alter Nürnberger. Er ist einer der neun Männer und 51 Frauen, die an der rund vier Jahre dauernden Studie der Uniklinik Erlangen teilgenommen haben.

Innerhalb von 30 Jahren hat er rund 2.500 Bände Fachliteratur, mehr als 70 hochwertige Spiegelreflexkameras und massenhaft Werkzeug gekauft.

"Ich musste sie einfach haben. Ich brauchte das, um mich selbst darzustellen", erklärt der ehemalige Justizangestellte. Durch seinen Kaufrausch ging seine Ehe in die Brüche, bei seinen Freunden und zahlreichen Banken hat er rund 100.000 Euro Schulden.
Anerkennung und Selbstdarstellung
"Erst in der Therapie ist mir klar geworden, was das für ein Irrsinn war", sagt er. Jetzt hat er Strategien gefunden, um seinen Kopf von den Kauf-Gedanken zu befreien. "Dann lese ich halt, fotografiere oder fahre Rad, um mich irgendwie abzulenken."

Als Grund für seinen Trieb nennt er seinen Drang nach Anerkennung und Selbstdarstellung. "Das hat sicherlich mit einem Minderwertigkeitsgefühl zu tun, das man irgendwie kompensieren muss. Ich hätte genauso gut Alkoholiker werden können", sagt er.

Silke Hatzold, dpa, 22.7.08
->   Psychosomatik, Uniklinik Erlangen
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Kreditkarte bei Kaufsucht zu Hause lassen
->   Erstmals Therapie für Kaufsüchtige in Deutschland
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010