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Elster, erkenne dich selbst!  
  Die Reaktion auf das eigene Spiegelbild gibt Aufschluss darüber, ob Tiere eine rudimentäre Vorstellung von sich selbst haben oder nicht. Bei diversen Primaten wurde diese Fähigkeit bereits unter Beweis gestellt, nun gelang das erstmals bei Vögeln. Elstern schneiden bei entsprechenden Tests besser ab als so manche Affenart.  
Zähnefletschen für das Spiegelbild
Viele Tiere reagieren aggressiv, sofern sie ihr eigenes Bild im Spiegel sehen und lassen sich auch später nicht davon überzeugen, dass die Drohgebärden an die falsche Adresse - nämlich an sie selbst - gerichtet sind.

Manchen Arten, einigen Primaten etwa, geht bei der Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild hingegen ein Licht auf. Sie werden im Lauf der Zeit immer friedlicher, reagieren zunehmend neugierig, blicken hinter den Spiegel und untersuchen den eigenen Körper. Das ist ein guter Hinweis darauf, dass diese Tiere zumindest eine sehr simple Vorstellung von ihrer eigenen Existenz haben.
Der Markierungstest
Als verhaltensbiologischer Elchtest in dieser Hinsicht gilt folgendes Experiment: Man male dem Tier einen Punkt so auf den Körper (beispielsweise auf Stirn oder Hals ), dass er ohne Spiegelbild nicht zu entdecken ist, mit demselben aber sehr wohl. Schimpansen, Orang-Utans und Bonobos berühren solche Markierungen regelmäßig, sobald sie sie im Spiegel erblicken.

Der Schluss daraus: Sie besitzen offenbar so etwas wie ein kleines "inneres Licht". Eher dämmrig dürfte indes das Innenleben von Gorillas und Gibbons sein. Bei ihnen wurden zwar in Einzelfällen Reaktionen auf die Marke im Spiegelbild beobachtet, in der Mehrzahl der Versuche lautete das Urteil jedoch: Fehlanzeige.

Wobei man der Gerechtigkeit halber auch erwähnen muss, dass selbst bei den Schimpansen, den "hellsten" Köpfen in der Riege der Menschenaffen, nicht jedes Tier den Markierungstest besteht. Drei von vier jungen Erwachsenen erkennen sich selbst im Spiegel, bei Jungtieren und Alten ist die Rate entsprechend geringer.
Elstern mit "Vogel-Ich"
Bild: H. Prior et al./PLoS Biology
Pica pica, die kluge Elster.
Umso erstaunlicher ist es, dass nun Forscher um den Frankfurter Psychologen Helmut Prior im Fachjournal "PLoS Biology" (Bd. 6, S. e202) von positiven Resultaten bei Elstern berichten.

Drei von fünf getesteten Tieren namens "Gertie"," Goldie" und "Schatzi" erweisen sich als neugierig und lernfähig im Umgang mit dem eigenen Spiegelbild, die ersten beiden bestanden auch den systematischen Markierungstest. Sie berührten den Fleck auf ihrem Hals (Bild rechts) so regelmäßig, dass man Zufallstreffer ausschließen kann.

Das sei der "erste Hinweis auf Selbsterkennung außerhalb der Säugetier-Gruppe", schreiben die Autoren in ihrer Studie und widerlegen damit endgültig die alte Vorstellung, dass es einen kognitiven Rubikon im Tierreich gebe: Offenbar sind nicht nur die Primaten mit ihren großen Hirnen und ihrem komplexen Sozialleben zur "Ich-heit" fähig, sondern auch Elstern.

Ähnliche Ergebnisse haben im Übrigen auch verhaltensbiologische Studien mit anderen Schwerpunkten ergeben. Denen zufolge rangieren Rabenvögel auch in der Kategorie "Werkzeuggebrauch" und " Episodisches Gedächtnis" auf Augenhöhe mit den Primaten.
Intelligenz durch sozialen Wettbewerb
Das spricht wieder einmal dafür, dass im Tierreich sehr ähnliche Leistungen mit ganz unterschiedlichen Mitteln erreicht werden können. Seit der letzte gemeinsame Vorfahre von Vögeln und Säugern vor 300 Mio. Jahren gelebt hat, haben zwar beide Gruppen relativ große Hirne entwickelt, aber sie sehen im Detail völlig anders aus.

Ein in Schichten gegliederter Cortex, den wir Menschen als vornehmlichen Produktionsort unserer Intelligenz ansehen, fehlt den Vögeln beispielsweise, bei ihnen haben sich im Lauf der Naturgeschichte dafür andere Strukturen im Vorderhirn vergrößert. Viel entscheidender als die Hirnanatomie dürften ohnehin die ökologischen Lebensbedingungen sein.

Hier fällt zunächst auf: Alle intelligenten Tiere, seien es nun Vögel, Delfine, Elefanten oder Affen, leben in Sozialverbänden und haben eine relativ ausgeklügelte Kommunikation entwickelt. Bei Rabenvögeln, zu denen die Elstern gehören, war vermutlich die Gewohnheit, Nahrung an geheimen Plätzen zu verstecken, der entscheidende Faktor. Raben, Krähen und Co. halten regelmäßig strategische Wettbewerbe ab, bei denen es darum geht, Artgenossen zu manipulieren, deren Handlungen vorherzusehen und ihr Futter zu erbeuten.

Robert Czepel, science.ORF.at, 19.8.08
->   Helmut Prior
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01.01.2010