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Studie: Ab dem Schulalter geht "fair vor"  
  Dass Menschen Dinge miteinander teilen, ist nicht erst eine Erfindung der christlichen oder anderen Moral. Im Lauf der Evolution hat sich die Eigenschaft als äußerst vorteilhaft erwiesen. Ihre tiefe Verwurzelung haben Schweizer Forscher nun bei Experimenten mit Kindern nachgewiesen. Einen Gerechtigkeitssinn beim Teilen und eine Aversion gegen Ungleichheit entwickeln sie demzufolge im Alter von sieben, acht Jahren.  
Wie Experimente zeigen, teilen sie Süßigkeiten dann meist gerecht mit anderen Kindern, vor allem wenn sie diese kennen.

Jüngere Kinder von drei bis vier Jahren hingegen denken in erster Linie an sich selbst und verhalten sich egoistisch, berichten Ernst Fehr von der Universität Zürich und seine Mitarbeiterinnen Bettina Rockenbach und Helen Bernhard.
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Die entsprechende Studie "Egalitarianism in young children" ist am 29.8. in "Nature" (Bd. 454, S. 1079) erschienen.
->   Nature
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Gerechtigkeitsexperimente mit Schweizer Kindern
 
Bild: Helen Bernhard

Die Forscher hatten insgesamt 229 Schweizer Buben und Mädchen zwischen drei und acht Jahren zu einer Reihe spielerischer Experimente aufgefordert. Ein Beispiel für die Erklärung der Prozedur ist im Bild oben zu sehen.

Spieleinsatz waren für Kinder sehr kostbare Güter: Gummibärchen, Fizzers und Smarties. Jeweils ein Kind musste nun entscheiden, wie es eine festgelegte Menge dieser Süßigkeiten mit einem anderen Kind teilte. Dieses war zwar nicht anwesend, aber durch ein Foto "präsent".

Sie bekamen zum Beispiel die Wahl zwei Smarties für sich zu behalten und dem anderen Kind keines abzugeben oder die beiden Schokodrops miteinander zu teilen ("eins für dich, eins für mich").
Ab acht Jahren Ausprägung des Gerechtigkeitssinns
Drei- bis vierjährige Kinder verhielten sich in diesem Versuch nun fast ausnahmslos selbstsüchtig und behielten die Süßigkeiten für sich. Im Alter von fünf bis sechs Jahren teilten schon rund ein Fünftel der kleinen Probanden, mit sieben und acht Jahren teilte fast die Hälfte der Kinder gerecht.

Diese Gruppe begann mehr und mehr, an andere zu denken, das zeigten auch weitere Experimente. Sie entwickelten einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und sorgten dafür, dass ihr Spielpartner nicht mehr, aber auch nicht weniger bekam als sie selber.
Eine Frage von Kultur und Natur
Selbstlos an andere zu denken und bevorzugt mit Freunden oder Familienmitgliedern zu teilen seien Verhaltensweisen, die für den Menschen kennzeichnend seien, schreiben die Forscher.

Schon die Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften seien darauf angewiesen gewesen, ihre Beute miteinander zu teilen. Zumindest zum Teil sei die Entstehung solcher Verhaltensweisen folglich vermutlich genetisch festgelegt.

Andererseits förderten Kultur und Erziehung ihr Entstehen. So lernten kleine Kinder vom Kindergarten bis zur Schule, dass die Erzieher und Lehrer Gleichbehandlung und Gerechtigkeit gutheißen, diese Verhaltensweisen also gewünscht sind.
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Unterschied bei Geschlechtern und Geschwistern
Bei der Studie von Fehr zeigte sich, dass es Mädchen im Vergleich zu Buben egal ist, ob die Kinder, mit denen sie teilen sollen, aus einer eigenen, bekannten Gruppe stammen oder nicht. Geschwisterlose Kinder teilen im Schnitt um 28 Prozent eher mit anderen als Kinder mit Geschwistern. Die jüngsten Geschwisterchen teilen am wenigsten gerne.
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Anders als die anderen Tiere
Der Wunsch, Ungleichbehandlungen zu verhindern, unterscheide uns von anderen Tieren und auch von unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, schreiben die Forscher.

Diese teilten ihr Futter in der Regel nicht mit anderen und blieben ihr Leben lang eher selbstsüchtig.

Von Kapuzineraffen und anderen Primaten sind hingegen auch schon Fälle von in diesem Sinne sozialem Verhalten dokumentiert worden.
Grenzen der Fairness: Parochialismus
Bei der aktuellen Studie von Fehr hatte auch die Fairness der jungen Menschen ihre Grenzen. Die Wahrscheinlichkeit zu teilen sinkt nämlich, wenn es sich bei den anderen um ihnen unbekannte Kinder handelt. Dies erklären sich die Forscher mit dem recht ungebräuchlichen Begriff des "Parochialismus" - darin steckt schon etymologisch eine Mischung von Pfarre, Engstirnigkeit und Hilfsbereitschaft.

Aus Sicht der Evolutionstheorie ist damit gemeint, dass der menschliche Altruismus eine gruppenspezifische Engstirnigkeit aufweist, da sie ausgrenzend gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen ist.

Der Wettbewerb zwischen Gruppen fördere altruistische, die Gruppenzusammengehörigkeit stärkende Verhaltensregeln innerhalb der eigenen Gruppe - nicht aber altruistisches Verhalten gegenüber Mitgliedern von anderen Gruppen.

[science.ORF.at/dpa, 28.8.08]
->   Ernst Fehr, Universität Zürich
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01.01.2010