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Pubs sind nach wie vor Orte "sozialen Ausgleichs"  
  Die Weihnachtsansprache von Queen Elizabeth, die Regenpausen beim Tennisturnier in Wimbledon und die roten Doppeldeckerbusse in London: Traditionen werden in Großbritannien noch immer hochgehalten. Wie sehr, zeigt eine aktuelle Studie, die sich mit Pubs beschäftigt hat. Als Institution, in der man nicht nur Bier trinken, sondern auch mit Menschen ins Gespräch kommen kann, die man anderswo gar nicht treffen würde, sind sie nach wie vor zentrale Orte des Königreichs.  
In der britischen Klassengesellschaft sorgt das Pub somit zumindest kurzfristig für einen sozialen Ausgleich, schreiben Forscher vom Social Issues Research Centre (SIRC) in Oxford.

Liberalere Sperrstunden, Rauchverbote und neue soziale Netzwerke im Internet hätten daran nichts geändert.
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Beauftragt wurde die Studie "The enduring appeal of the local" vermutlich nicht ganz uneigennützig vom britischen Pub-Betreiber und Brauer "Greene King". Sie ist auf der Website des SIRC erschienen.
->   Die Studie (pdf-Datei)
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Erste Studie in den 1930er Jahren
Es muss ein aufreibendes Stück Wissenschaft gewesen sein, das britische Sozialanthropologen um Tom Harrisson bereits in den späten 1930er Jahren unternommen haben. Im Rahmen der "Massenbeobachtungen des britischen Alltagslebens", saßen sie knapp zwei Jahre lang in Pubs von Bolton und Blackpool herum und untersuchten Verhalten und Rituale ihrer Besucher.

Ihre Arbeit "The Pub and the People" wurde erst knapp vor Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht, offensichtlich lag das Hauptinteresse des Königreichs damals doch nicht in diesem Forschungszweig.

Die von der aktuellen Studie zitierten Worte von Harrisson klingen aber bis heute sehr aktuell: "Von allen sozialen Institutionen, die das Leben der Menschen zwischen Arbeit und Wohnung bestimmen, hat das Pub mehr Gebäude, zieht es mehr Leute an, gibt man hier mehr Geld aus als in der Kirche, dem Kino, dem Tanzcafe und politischen Organisationen zusammen."
Teilnehmer der Gesellschaft und nicht Zuschauer
Es war nicht zuletzt die soziale Funktion, die Harrisson ins Auge sprang: "In anderen öffentlichen Gebäuden sind diese ganz normalen Leute Zuschauer von politischen, religiösen, sportlichen oder anderen Aufführungen. In den vier Wänden eines Pubs haben sie hingegen eine Umgebung betreten, in der sie Teilnehmer sind und nicht Zuschauer."

Rund 60 Jahre nach der Niederschrift dieser Worte sind britische Forscher nun erneut angetreten, dem Phänomen "Pub" auf den Grund zu gehen. Dazu haben sie in mehreren Focusgruppen qualitative Interviews geführt und einen Fragebogen mit den Antworten von über 2.200 Teilnehmern ausgewertet.
90 der Briten Prozent besuchen Pubs
Schon die reinen Zahlen sprechen für eine gewisse Kontinuität in der britischen Gesellschaft: 90 Prozent der Befragten gaben an Pubs zu besuchen, ein Viertel von ihnen ein- bis sechsmal pro Woche. Die Altersgruppe der unter 35-Jährigen ist dabei die "fleißigste".

Bei der Frage nach den Gründen für Lokalbesuche steht die "warme, angenehme und traditionelle Atmosphäre" ganz oben. Bei Männern folgt auf Platz zwei das "große Angebot an Fassbier", bei Frauen "das Gefühl, Teil einer lokalen Gemeinschaft zu sein".
Im Gespräch mit Menschen anderer Herkunft
Soziale Motive spielen prinzipiell für beide Geschlechter eine wichtige Rolle - besonders, dass Pubs Orte des "sozialen Ausgleichs" sind. In der bis heute nach Klassenzugehörigkeit geprägten britischen Gesellschaft scheinen die Kneipen Stätten der Begegnung zwischen Menschen höchst unterschiedlicher Herkunft, Professionen und Generationen zu sein.

Jedenfalls halten fast 50 Prozent der Befragten Pubs für "sozial neutrale Orte und soziale Gleichmacher". Dazu passt auch der Umstand, dass rund ein Drittel keine Probleme damit hat, mit Unbekannten ins Gespräch zu kommen, auch wenn diese "normalerweise nicht in meinem sozialen Umfeld vorkommen".

"Soziale Klasse" ist dabei für Jüngere ein unwichtigeres Thema, vermutlich weil sie keinen Begriff davon haben.
Gerne auch alleine ins Pub
 
Bild: EPA

Die Forscher haben auch untersucht, mit wem Mr. und Mrs. Smith am liebsten ins Pub gehen. 75 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer tun dies ausschließlich mit Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten. 30 Prozent der Männer und immerhin zehn Prozent Frauen geben aber an, auch alleine das Lokal aufzusuchen und sich damit wohl zu fühlen.

Wenn die Briten - bekannter oder unbekannterweise - ins Gespräch gekommen sind, stehen "Neuigkeiten und Politik" ganz oben auf der Agenda. Knapp dahinter - entgegen Geschlechterstereotypen noch mehr bei Männern als bei Frauen - liegen "Tratsch und Witze".

Verliebt haben sich nach Eigenaussage allerdings bisher erst weniger als zehn Prozent beider Geschlechter in einem Pub.
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Rauchverbot begünstigt "smirting"
Das seit vergangenem Jahr geltende Rauchverbot in britischen Pubs könnte sich zumindest auf das Paarungsverhalten positiv auswirken. Dadurch habe sich laut den Gesprächen der Fokusgruppen "smirting" gebildet: ein Mittelding aus "flirting" und "smoking", das durch das gemeinsame Rauchen bis zu diesem Zeitpunkt Unbekannter vor dem Lokal begünstigt wird.
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Trotz Facebook unvergleichlich
Das britische Pub ist also nach wie vor äußerst populär. Daran haben auch die neuen sozialen Netzwerke des Internets wie Myspace oder Facebook nichts geändert. Letztere werden zwar vor allem von den Jüngeren massiv genutzt - nicht selten sind in den Online-Alben aber Bilder des Pub-Besuchs vom vergangenen Abend zu finden.

Wenn sich die virtuellen und realen Freundeskreise also auch überschneiden, findet laut Studie doch eine Mehrheit, dass sich "nichts mit einem Glas Bier oder Wein mit Freunden in einem Pub vergleichen lässt".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 29.8.08
->   SIRC
->   Greene King
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01.01.2010