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Mensch-Tier-Mischwesen: Auch eine Frage der Religion  
  Im April haben britische Forscher berichtet, erstmals Mensch-Tier-Mischwesen erschaffen zu haben: Die benötigten Eizellen stammten von Kühen, das Genom von menschlichen Hautzellen. Was für die Erforschung und Herstellung von Stammzellen ein großer Fortschritt war, wirft eine Reihe von bioethischen Fragen auf.  
Matthias Beck, Mediziner und katholischer Moraltheologe an der Universität Wien, hat über diese Mensch-Tier-Hybride gerade ein Buch geschrieben.

In einem science.ORF.at-Interview am Rande des Forums Alpbach betont er die Unterschiede in der Debatte zwischen den Religionen, sieht aber auch zumindest eine Übereinkunft: die Ablehnung, Menschen aus Gründen der Fortpflanzung zu klonen.
science.ORF.at: Kurz nach der Bekanntgabe der britischen Forschungsergebnisse ist der Streit losgegangen, worum es sich bei den hergestellten Wesen überhaupt handelt. Wie sehen Sie das?

Matthias Beck: Für mich sind es menschliche Embryonen mit tierischen Anteilen und einem "Ablaufdatum". Sie haben einen menschlichen Zellkern und somit 99,9 Prozent menschliche Gene sowie in jeder Zelle 0,1 Prozent tierisches Genom aus den Mitochondrien der Eizelle. Jetzt sagen viele, das ist gar kein Embryo, weil er nur 14 Tage lebt, er kann sich gar nicht implantieren und bisher haben wir den Begriff Embryo nur verwendet, wenn er als Mensch geboren werden kann.

Mein Argument hingegen ist: Das, was wir ins Sein gebracht haben, hat ein menschliches Genom. Die Eizelle ist nur dazu da, diese schon differenzierten Zellen, diesen Zellkern, bei dem gewisse Gene im Zuge der Differenzierung ausgeschaltet worden sind, wieder anzuschalten, zu reprogrammieren wie man sagt, und dann kommt eine Embryonalentwicklung in Gang. Die Forscher wollen daraus menschliche embryonale Stammzellen gewinnen.
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Das Buch "Mensch-Tier-Wesen. Anthropologisch-ethische Überlegungen zu Hybriden, Chimären und anderen neuen Lebensformen" von Matthias Beck erscheint im Schöningh Verlag.
->   Mehr über das Buch (Verlag Schöningh)
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Andere Ethiker und Forscher bezeichnen die britischen Mischwesen als Chimären oder Zybride, der Begriff "Embryo" sei erst ab der Einpflanzung in die Gebärmutter sinnvoll. Ihre Position scheint ob Ihrer Herkunft verständlich sehr "katholisch".

Chimäre ist nicht der richtige Begriff, es handelt sich um einen Hybrid, der in jeder Zelle ein gemischtes Genom hat. Ob meine Position sehr katholisch ist, das würde ich nicht sagen: Immerhin ist es in England die "Human Fertilisation and Embryology Authority", die die Erlaubnis zur Herstellung der Wesen gegeben hat. Schon ihr Name sagt es: Es geht um menschliche Embryonen, und die Forscher wollen ja gerade mit menschlichen embryonalen Stammzellen forschen.

Eine andere Frage ist es, wann menschliches Leben beginnt. Da ist die katholische Position womöglich die konservativste, aber auch die stringenteste: mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle. Das müsste man jetzt analog auf den Klon übertragen.

Meine These ist: In dem Zeitraum, wo ich das menschliche Genom in diese Eizelle verfrachte und der Reprogrammierungsprozess beginnt, beginnt dieser Klon zu leben - auch Schaf Dolly ist so zustande gekommen.
Die Fronten der Diskussion verlaufen nicht nur zwischen Religion und Wissenschaft, sondern auch quer durch die Religionen und Kulturen. Wie groß sind die Unterschiede der Standpunkte?

Sehr groß. Die ersten Versuche mit diesen Mischwesen wurden in Korea gemacht, wobei ich die religiösen Hintergründe der Forscher nicht kenne. Sicher ist aber, dass in der asiatischen Kultur mit den Wiedergeburtslehren von Buddhismus und Hinduismus andere Vorstellungen herrschen, etwa von Beginn und Ende des Lebens. Hier wird nicht gefragt, wann Leben beginnt oder endet, sondern: Wann geht das Leben weiter, in welche Reinkarnation mündet es? Dadurch bekommen sie schon sehr unterschiedliche Antworten auf bioethische Fragen.

Auch Muslime betrachten die Frage nach dem Lebensanfang anders als Christen, die ihrerseits unterschiedliche Positionen vertreten. Muslime hängen noch einer aristotelischen Philosophie der Beseelung an. Aristoteles hat gesagt, dass nach dem 40. Tag der männliche und nach 80 Tagen der weibliche Embryo mit einer Geistseele beseelt wird, Thomas von Aquin hat das im Mittelalter übernommen, ebenso die Muslime, teilweise auch die jüdischen Philosophen.

Deswegen besteht bei ihnen ein abgestufter Lebensschutz. Sie sind zwar auch gegen Abtreibung, aber ein Embryo vor dem 40. Tag unterliegt ihrer Ansicht nach noch nicht einem vollständigen Schutz.
Wie wahrscheinlich sind internationale Standards in Sachen Bioethik?

Klar ist: Wir brauchen solche Standards. Auf europäischer Ebene läuft das auch ganz gut, es gibt dort die EGE, die European Group on Ethics, weltweit wird es aber kompliziert. Es gibt in der UNESCO zwar eine Gruppe, aber hier gibt es sicher noch Aufholbedarf.

Was bereits heute eine gemeinsame Haltung ist, ist die Ablehnung reproduktiver Klone von Menschen. Gestritten wird noch über das sogenannte "therapeutische Klonen", was ich für einen falschen Begriff halte, weil der Klonprozess derselbe ist wie beim reproduktiven Klonen, aus dem Dolly hervorgegangen ist.

In dieser Frage ist es viel schwieriger, einen internationalen Kompromiss zu finden. Asiatische Religionen haben damit z.B. wenig Probleme, weil sie sagen: OK, jetzt habe ich zwar dasselbe Genom wie meine Vorfahren, aber wir fragen nicht über Anfang und Ende des Lebens, sondern wie geht es weiter?

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 3.9.08
->   Matthias Beck, Uni Wien
->   European Group on Ethics
->   Forum Alpbach
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->   Expertenstreit: Hybride, Zybride oder Embryonen?
->   London: Embryonen aus Mensch und Tier erlaubt
->   Embryonen aus Mensch und Tier hergestellt
 
 
 
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01.01.2010