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Geburt war schon bei Neandertalern schwierig  
  Neandertaler hatten laut Schweizer Forschern bei der Geburt ein ähnlich großes Gehirn wie der moderne Mensch. Zwar war der Geburtskanal der Frauen etwas breiter, das Gesicht des Babys aber kantiger.  
Marcia Ponce de Leon und Christoph Zollikofer vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich untersuchten ein Neandertaler-Neugeborenes aus der Mezmaiskaya-Höhle in der Krim.

Dieses Kind, das kurz nach der Geburt starb, war offensichtlich so sorgfältig begraben worden, dass es nach etwa 40.000 Jahren in den eiszeitlichen Höhlensedimenten wohlbehalten geborgen werden konnte.
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Die Studie "Neanderthal brain size at birth provides insights into the evolution of human life history" erscheint zwischen 8. und 12. September 2008 in den "Proccedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).
->   Zur Studie (sobald online)
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Gleich großes Gehirn, robusteres Skelett
Die Forscher rekonstruierten das Skelett am Computer aus 141 Einzelteilen. Sie stellten fest, dass sein Gehirn bei der Geburt genau so groß war, wie das eines typischen menschlichen Neugeborenen.

Es hatte ein Volumen von etwa 400 Kubikzentimetern. Das Skelett war aber bedeutend robuster ausgebildet als das eines modernen menschlichen Neugeborenen.
Evolutionäres Geburtslimit
Bild: Ch. Zollikofer
Um die Frage zu klären, wie der Kopf eines Neandertaler-Babys bei der Geburt durch den Geburtskanal wandert, rekonstruierten sie ein weibliches Neandertalerbecken, das bereits in den 1930er Jahren gefunden wurde. So gelang es, den Geburtsprozess zu simulieren.

Die Computerrekonstruktion (siehe Bild rechts) zeigt, dass der Geburtskanal dieser Frau breiter war als der einer Homo sapiens-Mutter, der Kopf des Neandertaler-Neugeborenen aber wegen seines relativ robusten Gesichts etwas länger als der eines menschlichen Neugeborenen. Somit war bei den Neandertalern die Geburt wohl ähnlich schwierig wie bei unserer eigenen Art.

"Wahrscheinlich handelt es sich bei der Neugeborenen-Gehirngrösse von 400 Kubikzentimetern um ein evolutionäres Geburtslimit, das bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahr von Mensch und Neandertaler erreicht worden war", folgert Zollikofer.

"Das würde bedeuten, dass wir bereits seit 500.000 Jahren einen hohen evolutionären Preis in Form von Geburtsproblemen für unser großes Gehirn zahlen."
Schnelles Gehirnwachstum
Bild: Ch. Zollikofer
Rekonstruktion der Skelette: Links das Baby, rechts ein 19-monatiges Kind.
Um die Entwicklung nach der Geburt zu studieren, untersuchten die Forschenden zusätzlich zum Mezmaiskaya-Neugeborenen weitere Neandertaler-Kinder bis zu einem Alter von etwa vier Jahren. Es zeigte sich, dass das Neandertaler-Gehirn während der Kindheit noch schneller wuchs als dasjenige des Homo sapiens.

Das große Gehirn hatte Folgen für die Lebensgeschichte der Neandertaler: Damit die Kinder rasch ein großes Gehirn entwickelten, brauchten sie zusätzliche Energie und Nahrung, die die Mütter lieferten. Dazu waren nur Mütter in der Lage, weshalb sie etwas später ihr erstes Kind bekamen.

Vergleicht man die gesamte Lebensgeschichte eines durchschnittlichen Neandertalers mit derjenigen eines modernen Menschen, weicht das entstehende Bild erheblich von der gültigen Lehrmeinung ab, so die Schweizer Forscher: Die Entwicklung der Neandertaler war ebenso langsam wie die des modernen Menschen, wenn nicht sogar etwas langsamer.

[science.ORF.at/idw, 9.9.08]
->   Marcia Ponce de Leon
->   Christoph Zollikofer
Mehr über Neandertaler in science.ORF.at:
->   Das einseitige Neandertaler-Menü
->   Neandertaler: Mitochondrien-Genom sequenziert
->   Forscher lässt Neandertaler "sprechen"
 
 
 
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01.01.2010